Hass im Netz "Jeder Fremde könnte theoretisch beteiligt sein"
Jasna Strick war eine der Frauen, die im Januar 2013 unter dem Hashtag #Aufschrei über Sexismus twitterten. Seitdem ist sie Zielscheibe für Hasskommentare. Ein Gespräch über ihr Leben unter digitalem Dauerbeschuss.
tagesschau.de: Wann kam der Hass aus dem Netz in Ihr Leben?
Jasna Strick: Das ging schon in den ersten Tagen von #Aufschrei los. Nach nur wenigen Stunden schrieben etliche Accounts unter dem Hashtag Hassbotschaften. Das ging von Beleidigungen bis hin zu Drohungen, aber eher allgemein gegen alle, die sich dort beteiligten. Als dann bekannter wurde, welche Personen hinter #Aufschrei stehen, wurden auch die Angriffe persönlicher und richteten sich erstmals auch gegen mich direkt, wie auch gegen die anderen.
Nachdem wir im Juni 2013 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet wurden, ging es richtig los.
tagesschau.de: Was heißt das?
Strick: Schon in der Nacht wurde der Hashtag zur Preisverleihung gekapert. Das ist ein beliebtes Mittel, um Debatten auf Twitter zu sabotieren, indem man ein Hashtag vollspammt.
"Über mein Liebesleben spekuliert, vulgär beschimpft"
tagesschau.de: Was wurde da geschrieben?
Strick: An dem Abend selbst ganz viel über unser Aussehen. Was wir anhatten wurde kommentiert und niedergemacht. Sie hatten sich zum Beispiel auf meine Strumpfhose eingeschossen und haben darüber Beleidigungen getwittert.
Zu der Zeit begannen auch solche Tweets, in denen ich sexualisiert beleidigt wurde, in denen über mein Liebesleben spekuliert wurde oder in denen ich explizit und vulgär beschimpft oder sogar bedroht wurde.
tagesschau.de: Wenn solche Sachen über einen geschrieben werden, können Sie das weg schieben?
Strick: Das kommt darauf an, ob ein Thema getroffen wird, bei dem ich sowieso verletzlich bin. Wenn etwas offensichtlich erfunden oder konstruiert ist, dann kann ich es leichter wegschieben, einfach, weil es nicht der Wahrheit entspricht.
tagesschau.de: Was für Sachen werden über Sie erfunden?
Strick: Das eine sind Verschwörungstheorien, die offensichtlich an den Haaren herbeigezogen sind. Zum Beispiel, dass Aufschrei vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk bezahlt worden sei. Oder vom Mossad. Oder dass wir mit #Aufschrei Millionen verdient hätten. Das kann ich leicht wegschieben.
"Erfundene Geschichten, um mich zu diskreditieren"
tagesschau.de: Und was können Sie nicht so leicht wegschieben?
Strick: Themen, bei denen ich sowieso empfindlich bin. Aussehen ist immer schwierig, das trifft die meisten Frauen. Es wurde alles kommentiert: Wie ich mich kleide, wie ich gucke, mein Ausschnitt. Alles, von unbekannten Männern. An manchen Tagen ist auch das okay, aber an vielen Tagen nicht. Und vor allem in der Masse nicht.
Was mir auch schwer fällt, sind Angriffe, die sich nicht direkt gegen mich richten, sondern gegen Leute, die mir wichtig sind. Oder wenn systematisch Geschichten erfunden werden, um mich zu diskreditieren.
tagesschau.de: Zum Beispiel?
Strick: Vor einigen Jahren gab es auf Twitter ein weibliches Profil, das mich und die anderen #Aufschrei-Aktivistinnen angriff. Später stellte sich heraus, dass die Fotos von einem polnischen Fotomodell stammten und die Texte von einem Mann verfasst wurden. Bevor ich das wusste, zeigte ich in einem Vortrag einzelne Tweets dieser, wie sich später herausstellte, erfundenen Frau.
Nach meinem Vortrag erfand der Mann, der hinter dem Profil steckte, einen Suizidversuch dieser Fake-Person. Zu dem Zeitpunkt hielt man diesen für echt, ich wurde also von einigen Nutzern dafür verantwortlich gemacht. Das Gefühl, für den Selbstmordversuch eines jungen Mädchens verantwortlich zu sein, das zieht an den Nerven. Und dann war das nur fingiert, um mich einzuschüchtern.
"Ohne Verdrängung geht es nicht"
tagesschau.de: Wie lebt man damit, wenn man, weiß: Da draußen sind Menschen, die einen permanent beobachten und auf den ersten Fehltritt warten, aus dem sie einem einen Strick drehen können?
Strick: Ohne viel Verdrängung hält man das nicht aus. Anders geht es gar nicht. Und natürlich habe ich auch mein Verhalten geändert. Über manche Sachen schreibe ich nicht mehr, zum Beispiel, mit wem ich mich treffe. Denn alle Menschen, die mit mir zu tun haben, sind potenzielle Ziele der Attacken, das will ich nicht verantworten. Aber auch außerhalb des Netzes hat es Konsequenzen. Zum Beispiel steht mein Name nicht an meiner Klingel.
"Ich dachte: Jetzt haben sie mich"
tagesschau.de: Hat es auch Auswirkungen auf zwischenmenschliche Beziehungen?
Strick: Ja. Sehr. Ich bin wesentlich skeptischer gegenüber fremden Menschen, gerade gegenüber fremden Männer. Je nachdem, welche Attacke gerade läuft, kann schließlich jeder fremde Mann daran beteiligt sein, theoretisch. Das kann der Mann sein, der an der Supermarktkasse abkassiert oder jemand, der mir in der U-Bahn gegenüber sitzt.
Einmal bin ich am Flughafen von einem jungen Mann angesprochen worden, der meinen Namen kannte. Da ist mir fast das Herz explodiert und ich dachte: Jetzt haben sie mich. Und wieso weiß der, wie ich heiße.
Und dann war es einfach jemand, der mich von Twitter kannte und unterwegs war zu der gleichen Veranstaltung wie ich.
Angstzustände, Nervenzusammenbrüche und Heulanfälle
tagesschau.de: Vier Jahre Betroffene von Hass zu sein - hat das gesundheitliche Konsequenzen?
Strick: Ich habe immer wieder Alpträume. Wenn eine Hochphase läuft, dann schlafe ich schlecht - wenn ich überhaupt schlafe. Ich habe körperliche Stresssymptome und häufig Kopfschmerzen. Und ich habe Angstzustände bekommen, Nervenzusammenbrüche und Heulanfälle- Und manchmal weiß ich nicht, wie es eigentlich weitergehen soll.
tagesschau.de: Wie ist das, wenn Sie darüber sprechen, so wie jetzt?
Strick: Es geht in diesem Moment, weil ich reflektiert darüber sprechen kann. Aber ich habe im Vorfeld dieses Gesprächs zwei Nächte wachgelegen. Und ich weiß auch, dass es mich im Nachgang wieder länger beschäftigen wird. Das ist jedes Mal so.
tagesschau.de: Wäre ein Weg um dem zu entkommen, nicht auf Twitter zu sein oder nicht solche Texte zu schreiben?
Strick: Twitter ist ein öffentlicher Diskussionsraum. Wenn alle Leute, die von Hatespeech betroffen sind, ihre Twitter-Accounts löschen würden, dann hätten wir dort nur noch die Perspektiven von Menschen, die nicht von Hatespeech betroffen sind, und das sind nun mal eher weiße Männer, weil die weder von Sexismus noch von Rassismus betroffen sind. Und ich denke manchmal, das ist das Ziel von den Hetzern.
Das Gespräch führte Anna-Mareike Krause, tagesschau.de