Themenwoche Bildung "Es gibt keine Schule ohne Rassismus"
Die deutsche Gesellschaft wird immer vielfältiger. Der Rassismusforscher Karim Fereidooni erklärt im tagesschau.de-Interview wie ein respektvoller Schulalltag gelingen kann.
tagesschau.de: Wie groß ist das Rassismusproblem an deutschen Schulen?
Karim Fereidooni: Die genauen Prozentzahlen sind nicht bekannt. Aber ich als Rassismusforscher gehe davon aus, dass überall dort, wo Menschen zusammenkommen, auch Ungleichheitsstrukturen eine Rolle spielen. Es gibt keine Räume, die frei sind von Rassismus. Es gibt keine Schule ohne Rassismus.
tagesschau.de: Wen betrifft diese Diskriminierung?
Fereidooni: Es betrifft alle Schulen. Die Diskriminierungen, die Schüler oder Lehrer mit sogenannter Zuwanderungsgeschichte erleben, sind oft ähnlich. Beispielsweise existieren Sprachverbote und Sprachhierarchien in den Klassenräumen, aber auch in den Lehrerzimmern. In Bezug auf die Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte geht die meiste Diskriminierung von anderen Lehrkräften und von Vorgesetzten aus. Andere Lehrkräfte können auf Augenhöhe agieren, Vorgesetzte haben mehr Macht. Rassismus hat immer etwas mit Machtstrukturen zu tun. Und das äußert sich dann ganz unterschiedlich. Die zugeschriebene Herkunft, die Erstsprache oder die Religionszugehörigkeit wird abgewertet.
tagesschau.de: Wie können Lehrkräfte Diskriminierungen entgegenwirken?
Fereidooni: Rassismus sollte als ganz normale Professionskompetenz von angehenden und ausgebildeten Lehrkräften gedacht werden. Lehrkräfte sollen in der Lage sein, sich über Rassismus zu informieren und sich drei Fragen stellen. Erstens: Was hat Rassismus mit meinem eigenen Leben zu tun? Zweitens: Inwiefern befördern meine Unterrichtsmaterialien Rassismus-relevante Wissensbestände. Drittens: Was passiert eigentlich in meinem Klassenraum?
Rassismuserfahrungen thematisieren
tagesschau.de: Wie kann man sich zur Wehr setzen, wenn man im Schulalltag von Rassismus betroffen ist?
Fereidooni: Man sollte nicht schweigen, sondern die Erfahrungen thematisieren. Als Lehrkraft kann man sich an wohlgesonnene Kollegen und Vorgesetzte wenden. Das sind die primären Ansprechpartner. Natürlich kann man sich auch rechtliche Beratung einholen und sich an Antidiskriminierungsstellen wenden. Es kommt aber natürlich auch darauf an, inwiefern die einzelne Institution bereit ist, solche Diskussionen mit einem zu führen. Oft reagieren viele Schulleitungen, aber auch Lehrkräfte mit Abwehr auf die Rassismuserfahrungen.
tagesschau.de: Wie könnte man diese Situation verbessern?
Fereidooni: Man sollte nicht in eine Abwehrhaltung verfallen und so tun, als gäbe es in Deutschland keinen Rassismus. Es sollte anerkannt werden, dass Rassismus ein Strukturierungsmerkmal unserer Gesellschaft ist, genauso wie Sexismus. Außerdem sollte man sich Verbündete suchen, mit denen man gegen Rassismus vorgeht. Ferner kann man schauen, wie man die Situation für alle Personen verbessern kann, denn Rassismus beschädigt die Integrität aller Menschen.
Schulbücher analysieren
tagesschau.de: Die Lerninhalte an deutschen Schulen sind sehr dicht. Wie könnte Rassismuskritik in den Schulalltag eingebunden werden?
Fereidooni: Wir sollten im Kleinen anfangen und Rassismuskritik in den normalen Unterricht einfügen. Es geht um die Sensibilisierung der Lehrkräfte. Zum Beispiel im Geographie-Unterricht: Wie wird Afrika dargestellt? Zeigen die Schulbücher Großstädte oder dörfliche Strukturen? Im Geschichtsunterricht kann man fragen, ob es im Schulbuch auch ein Kapitel zu den Errungenschaften Afrikas gibt? Oder fängt die afrikanische Geschichte erst mit dem Zeitalter der Kolonialisierung an? Man muss nicht auf den großen Wurf warten, es kann mit dem vorhandenen Schulmaterial gearbeitet werden.
Das Interview führte Zsaklin Diana Macumba für tagesschau.de