Interview zum Fall Hinz "Parteiausschluss nur im Extremfall"
Dass die SPD der Abgeordneten Hinz ein Ultimatum gestellt hat, ihr Mandat niederzulegen, ist aus Sicht des Politologen Kronenberg ein Fehler: Rechtlich habe die Partei kein Druckmittel in der Hand, sagt er im tagesschau.de-Interview. Auch ein Parteiausschluss habe hohe Hürden.
tagesschau.de: Petra Hinz hat ihr Bundestagsmandat bisher nicht nieder gelegt. Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, Frau Hinz dazu zwingen?
Volker Kronenberg: Es gibt keinen Zwangsmechanismus seitens der Partei, dies zu erreichen. Die Abgeordneten des Bundestages sind frei von Weisungen und Anordnungen. Ein Abgeordnetenmandat ist sehr geschützt, die Grundrechte sind extrem hoch. Die Partei wird in diesem konkreten Fall keinen Sanktionsmechanismus haben.
"Es liegt an der Abgeordneten, ihr Mandat niederzulegen"
tagesschau.de: Am Montag hatte die SPD in Essen Hinz ein Ultimatum gestellt, sie solle ihr Mandat in den nächsten 48 Stunden zurückgeben. Sie hat es verstreichen lassen. Wie sinnvoll war dieses Ultimatum überhaupt?
Kronenberg: Man sollte ein Ultimatum in meinen Augen nur dann stellen, wenn man auch etwas sanktionieren kann. Und es zeigt sich ja hier, dass es nicht zu sanktionieren ist. Es liegt an der Abgeordneten, ihr Mandat niederzulegen. Die Partei kann sie nicht dazu zwingen, und die Partei kann sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht zwingen, ihr Parteibuch zurückzubringen.
tagesschau.de: Die Partei überlegt aber nun, ein Parteiordnungsverfahren gegen Hinz anzustreben, bei dem Strafen aber auch ein Ausschluss aus der Partei verhängt werden können. Welche Hürden gibt es da?
Kronenberg: Es muss ein schwer parteischädigendes Verhalten vorliegen. Nur in diesem Extremfall kann der Ausschluss aus einer Partei erfolgen. Es wird jetzt Aufgabe des Schiedsgerichts sein, genau zu prüfen, ob das vorliegt. Das Ganze wird sich hinziehen und am Ende, wenn es zu einem Ergebnis kommt, gegebenenfalls auch noch durch ordentliche Gerichte überprüft werden. Ein Parteiordnungsverfahren ist ein sehr langwieriges Verfahren. Wenn am Ende ein Parteiausschluss - das schärfste Schwert - stehen soll, dann liegen die Hürden auch in diesem Fall sehr hoch.
"Schwere Parteischädigung muss vorliegen"
tagesschau.de: Ist diese Lüge im Lebenslauf von Petra Hinz denn tatsächlich ein parteischädigendes Verhalten?
Kronenberg: Die schwere Schädigung muss in der Außenwirkung der Partei vorliegen. Das festzustellen, wird sehr schwer sein, da sie inhaltlich nicht gegen wichtige Positionen der Partei verstoßen hat, oder gar zur Wahl einer anderen Partei aufgerufen hat. Sondern sie hat bei ihrer eigenen Biografie die Unwahrheit gesagt.
tagesschau.de: Das Verfahren hat aber keine Bedeutung für die Frage, ob sie ihr Bundestagsmandat niederlegt oder nicht. Warum strebt die SPD es an?
Kronenberg: Die SPD kann sich durch das Verfahren, was sie gerade initiiert, von ihrer Abgeordneten distanzieren und symbolisieren: "Wir wollen, dass du nicht mehr zu uns gehörst." Es ist ja auch ein Fraktionsausschluss denkbar. Wir sind im Sommerloch, die ganze Republik diskutiert sehr intensiv darüber. Jetzt stehen wieder die Politikerinnen und Politiker im Scheinwerferlicht, die Integrität der Politik.
Auf der anderen Seite dürfen wir nicht vergessen, in Nordrhein-Westfalen stehen im Mai 2017 Landtagswahlen vor der Tür. Wir haben es mit der SPD im Ruhrgebiet, der SPD Essen zu tun. Hier ging die letzte Oberbürgermeister-Wahl für die SPD verloren. All das ist sehr kompliziert für eine SPD, die ohnehin auch auf Landes- und Bundesebene mit den Umfragewerten kämpft.
"Sehr viele Unwägbarkeiten"
tagesschau.de: Die Staatsanwaltschaft prüft, ob sie Ermittlungen aufnehmen soll. Was für ein Gewicht könnte eine Ermittlung bekommen?
Kronenberg: Die Frage der Ermittlungen spielt eine Rolle für die Frage, ob die Immunität der Abgeordneten beim Bundestagspräsidenten aufgehoben werden kann oder nicht. Und erst in dem Fall, wenn die Immunität aufgehoben wurde, könnte Petra Hinz strafrechtlich auch verfolgt und dann belangt werden.
Aber auf diesem Weg sind sehr viele Unwägbarkeiten - und damit wird die Debatte um die Abgeordnete, um ihre Verfehlungen und um die Politiker und die Politik nicht enden. Stattdessen läuft die SPD nun Gefahr, diese Diskussion über quälende Wochen und Monate führen zu müssen, die in keiner Weise in ihrem Interesse liegt.
Das Interview führte Ingrid Bertram, WDR. Mitarbeit: Caroline Hoffmann.