Interview

NSU-Terrorserie Für die Angehörigen geht der Albtraum weiter

Stand: 04.11.2012 05:30 Uhr

Vor einem Jahr wurde die Existenz der Terrorgruppe NSU bekannt. Bis dahin waren die Angehörigen der Opfer falschen Anschuldigungen ausgesetzt - so wie die von Süleyman Tasköprü, der 2001 in Hamburg ermordet wurde. tagesschau.de sprach mit der Anwältin Angela Wierig, die seine Schwester vertritt.

tagesschau.de: Frau Wierig, wie geht es Ihrer Mandantin heute?

Angela Wierig: Sehr schlecht - weil sie das, was Sie damals erlebt hat, extrem verletzt hat. Sie hat gehofft, dass jetzt, nachdem die Täter bekannt sind, eine Heilung eintreten kann. Aber es folgt eine Verletzung nach der anderen. Weil die Aufarbeitung der Morde so zögerlich erfolgt, weil es noch so viele unbeantwortete Fragen gibt.

Die Hamburger Anwälte der Tasköprüs haben im Zuge der Vernichtung von Ermittlungsakten Strafanzeige gestellt, aber die zuständige Staatsanwaltschaft wehrt unsere Vorwürfe ab. Wir haben den Eindruck, dass uns nicht wirklich zugearbeitet wird. Meine Mandantin möchte Antworten - und sie hat das Gefühl, dass diese ihr nicht gegeben werden.

Zur Person

Angela Wierig ist Rechtsanwältin in Hamburg. Sie vertritt die Schwester des von NSU-Terroristen ermordeten Süleyman Tasköprü vor Gericht.

tagesschau.de: Bevor man von der NSU-Terrorgruppe wusste, waren die Angehörigen über Jahre falschen Anschuldigungen und einer, zumindest in Teilen, rassistischen Berichterstattung ausgesetzt. Können Sie sagen, wie Ihre Mandantin diese Zeit erlebt hat?

Wierig: Als Albtraum. Schlicht und ergreifend als Albtraum. Wenn jemand aus Ihrer Familie getötet wird, Sie dann selbst unter Verdacht geraten und dann bemüht sind, den Ermittlungsbehörden klar zu machen, dass deren Theorien nicht stimmen können, dieser Verdacht aber weiter aufrecht erhalten wird, ist das ein albtraumhafte Situation.

tagesschau.de: Haben sich die Polizei oder die Medien jemals entschuldigt?

Wierig: Nein. Das hätte ich auch erwartet, da hätte man ein bisschen Größe zeigen können. Es gibt diese "Generalwiedergutmachung", zum Beispiel die Gedenktafeln, die es in den Städten, in denen die Morde geschahen, geben soll. Aber auch das läuft so schleppend, dass man den Eindruck von einer Pseudo-Wiedergutmachung gewinnt.

Süleyman Tasköprü

Süleyman Tasköprü wurde am 27. Juni 2001 im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld von NSU-Terroristen mit drei Kopfschüssen ermordet. Der 31-jährige Gemüsehändler hatte eine dreijährige Tochter. Die Hamburger Polizei brachte den Mord mit dem Hamburger Rotlichtmilieu in Verbindung - obwohl Tasköprü nie strafrechtlich aufgefallen war. Die Behörden hielten bis zum Bekanntwerden der NSU-Terrorserie an dieser Version fest.

tagesschau.de: Es gab ja von Seiten der Politik die zentrale Trauer- und Gedenkfeier vor einem knappen Jahr, auf der Kanzlerin Merkel um Verzeihung gebeten hat. Hat Ihre Mandantin das als angemessen und ehrlich empfunden?

Wierig: Sie hat daran gar nicht teilgenommen, weil sie es als Werbeveranstaltung für Frau Merkel empfunden hat. Da wurden Lippenbekenntnisse gemacht, denen keine Taten gefolgt sind.

tagesschau.de: Wie bewerten Sie die Arbeit der Ermittlungsbehörden?

Wierig: In der Häufung habe ich Fehler noch nie erlebt. Es kommt vor, dass Behörden schlecht arbeiten, Ermittlungen schlampig geführt werden. Das liegt wohl vor allem an einer Behördenmentalität. In diesem Fall kommt hinzu: Die Ermittler sind nicht nur auf dem rechten Auge blind, sondern ich habe das Gefühl, die kneifen beide Augen zusammen, stecken sich die Finger in die Ohren und singen laut "Lalala".

tagesschau.de: Ein Beispiel?

Wierig: Wenn Sie die Ermittlungsakten lesen und da aufgeführt ist: "Observierung nächste Woche Dienstag von 7:00 bis 8:00 Uhr und nächsten Mittwoch von 16:00 bis 17:00 Uhr" - überspitzt ausgedrückt -, dann erweckt das nicht unbedingt einen professionellen Eindruck, sondern es sieht eher wie eine Pseudoaktivität aus. Da stellt sich dann die Frage, ob die Ermittler wirklich so grenzenlos dumm sein können, oder ob nicht eine Absicht dahintersteckt.

Wenn dann noch eine Garage voller Sprengstoff gefunden wird und der Verdächtige seelenruhig davonschlendern kann, dann ist eine ungeahnte Dimension der "Schlampigkeit" erreicht.

tagesschau.de: Der Prozess gegen die NSU-Terroristin Beate Zschäpe und andere soll bald beginnen. Was erwarten Sie, was erwartet Ihre Mandantin davon?

Wierig: Meine Mandantin hat etwas von dem Prozess erwartet, und ich versuche jetzt, diese Hoffnungen ein bisschen zu dämpfen, damit sie nicht allzu heftig enttäuscht wird. Wir haben ja bereits die Aussage des Bundesgerichtshofs, wonach es nicht möglich sein wird, in diesem Prozess alle Fragen zu klären, die die Betroffenen haben.

Ich nehme an, die Strafjustiz wird sich auf die strafrechtlichen Aspekte beschränken und sich bemühen, das Verfahren schlank zu halten. Damit ist auch klar, dass die wirklich wichtigen Fragen - wurden die Opfer zufällig ausgesucht oder gab es einen Plan, warum wurden die Menschen ermordet - nicht beantwortet werden. Schlicht, weil Beate Zschäpe und die anderen Angeklagten sich darauf nicht einlassen werden. Ich befürchte, es gibt auch gar keine nachvollziehbare Antwort.

Das Gespräch führte Jan Oltmanns, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 4. November 2012 um 16:15 Uhr.