Geplante Anzeigepflicht "Wir sind keine Zensurbehörde"
Die Bundesregierung will, dass Plattformen wie Facebook rechtswidrige Hass- und Hetzposts der Staatsanwaltschaft meldet. "Das können wir so nicht leisten", sagt Christoph Hebbecker von der Zentralstelle für Cyberkriminalität.
tagesschau.de: Die Bundesregierung sieht eine Meldepflicht für Plattformbetreiber wie etwa Facebook vor. Sie sollen im Bereich der Hasskriminalität möglicherweise rechtswidrige Inhalte an die Strafverfolgungsbehörden melden. Was halten Sie davon?
Christoph Hebbecker: Da werden sehr, sehr viele Anzeigen auf uns zukommen. Das können wir mit dem aktuellen Personalbestand nicht leisten. Jetzt verlagern wir diese Anzeigepflicht auf den amerikanischen Betreiber einer sozialen Plattform. Das ist etwas Neues. Wenn man das jetzt konsequent mit dieser Anzeigepflicht zu Ende denken wollte, wäre es dann nicht auch konsequent, von Ebay zu fordern, uns dann alle Straftaten anzuzeigen, die auf Ebay begangen werden? Deswegen fragen wir uns, warum man das so ausgestaltet hat. Und wo das eventuell dann eben irgendwann hinführt.
Christoph Hebbecker arbeitet bei der nordrhein-westfälischen Zentralstelle für Cyberkriminalität in Köln. Er ist dort einer von zwei Staatsanwälten, die kriminelle Hetze im Internet bekämpfen.
"Stasi-Hebbecker" muss er sich dafür im Netz schon mal nennen lassen. Der Sonderermittler weist das entschieden zurück. "Kommentare wie "Ich mag keine Flüchtlinge", "Schiebt sie alle wieder ab" oder "Merkel muss weg" sind für uns in keiner Weise relevant", sagte er dem "Stern".
tagesschau.de: Wie sieht ihre aktuelle Arbeit bei der Staatsanwaltschaft Köln aus, wie gehen Sie vor?
Hebbecker: Wir bekommen von Medienpartnern, die in Nordrhein-Westfalen ansässig sind, Postings über einen ganz einfachen digitalen Anzeigeweg gemeldet. Und die schauen wir uns jeden Morgen an und entscheiden: Liegt hier ein Anfangsverdacht im Hinblick auf die Begehung einer Straftat vor? Oder ist das einfach nur extreme, aggressive oder auch emotionale Meinungsäußerung und noch nicht justiziabel? Und das ist die Entscheidung, die wir treffen.
Das ist mitunter sehr, sehr schwer, weil es viele Postings gibt, die sich da im Grenzbereich bewegen, aber die dann - bei der näheren juristischen Betrachtung - strafrechtlich nicht fassbar sind. Und in den Fällen leiten wir dann auch kein Ermittlungsverfahren ein. Wir sind keine Zensurbehörde.
tagesschau.de: Wie viele Verfahren haben Sie bislang geführt?
Hebbecker: Wir haben seit Beginn etwa 700 bis 800 Strafanzeigen auf diesem Weg bekommen. In etwa der Hälfte der Fälle - daran sieht man, wie genau wir da differenzieren - haben wir ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Das heißt, in allen anderen Fällen sind wir nach der Prüfung zu dem Ergebnis gekommen: Hier liegt kein Anfangsverdacht vor.
Wir haben bislang in etwa 120 Beschuldigte identifizieren können. Diese Beschuldigten kommen aus dem gesamten Bundesgebiet. Wir können da örtlich keinen Schwerpunkt festmachen. Und in den ersten Verfahren ist es jetzt auch schon zur Hauptverhandlung gekommen und zu rechtskräftigen Verurteilungen.
tagesschau.de: Schildern Sie mal so einen Fall?
Hebbecker: Ich hatte einen Fall, bei dem habe ich fünf Volksverhetzungen angeklagt. Da war beispielsweise ein Posting, das zeigte einen Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg mit Maschinengewehr. Das war unterschrieben mit "Das schnellste Asylablehnungsverfahren aller Zeiten - lehnt bis zu 1400 Asylanträge in der Minute ab." Und das war zusätzlich kommentiert von dem Beschuldigten - etwa in der Richtung: "Die Räder müssen wieder rollen, macht die Öfen wieder an." Das ist so der Inhalt. Das ist eines der klassischen Postings, die wir so sehen. Und der Beschuldigte ist im Rahmen dieser Hauptverhandlung zu einer Bewährungsstrafe in Höhe von acht Monaten verurteilt worden und zusätzlich zu einer Geldauflage von 1500 Euro.
tagesschau.de: Sie sagen, oft sei es nicht möglich, klar strafrechtlich relevante Äußerungen zu verfolgen. Was sind die Hürden?
Hebbecker: Wir erleben, dass wir in fast jedem Verfahren, das wir führen, darauf angewiesen sind, dass wir Daten von den Anbietern der sozialen Plattformen bekommen. Das ist einfach der zentrale Ermittlungsansatz für uns. Und wir fragen diese Daten auch regelmäßig an, müssen aber gleichzeitig feststellen, dass nur in einem Bruchteil der Fälle auch tatsächlich Daten geliefert werden von den Anbietern der sozialen Plattformen.
tagesschau.de: Sie sehen das Vorhaben einer Anzeigepflicht auch aufgrund des Personalmangels in der Justiz kritisch und sagen, es sei besser, sich zu konzentrieren. Worauf?
Hebbecker: Unser Vorschlag wäre, dass wir uns auf die Extremfälle konzentrieren - und dass wir uns in einem konsensualen Vorgehen möglicherweise auch mit den Anbietern der sozialen Plattformen auf diese Extremfälle konzentrieren. Man könnte sich beispielsweise diejenigen aussuchen, die von den Betreibern der sozialen Plattformen rausgeworfen werden von ihrer Plattform. Vielleicht könnte man sich mit den Betreibern der sozialen Plattformen darauf einigen, dass diese Extremfälle bei uns angezeigt werden - und dass wir diese Extremfälle schnell, konsequent verfolgen und dann auch sanktionieren. Damit würden wir deutliche Zeichen setzen - und man hätte nicht gleichzeitig den negativen Nebeneffekt, dass sich die Betreiber der sozialen Plattformen als "Hilfssheriffs" in der Breite sehen müssten, indem sie alles anzeigen müssten, was sie sehen.
Das Interview führte Marie von Mallinckrodt, ARD-Hauptstadtstudio Berlin.
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