Gertrud Höhler über Kristina Schröder "Sie hat keinen Spielraum für große Aktionen"
Die Ministerin werde nur deshalb so heftig angegangen, weil sie eine Frau ist, meint die Politikberaterin Gertrud Höhler. "Sie hat von Ursula von der Leyen eine Menge uneingelöster Versprechen übernommen," sagt sie im Interview mit tagesschau.de. Eine große Politikerkarriere sagt sie ihr dennoch nicht voraus.
tagesschau.de: Macht Kristina Schröder einen guten Job?
Gertrud Höhler: Sie macht einen besseren Job, als ihre Kritikerinnen zugeben möchten. Sie ist realistischer als die Frauen, die sie kritisieren.
tagesschau.de: Woran machen Sie das fest?
Höhler: Nachdem sie das Ministerium von Ursula von der Leyen übernommen hatte, hat die ihr immer wieder in das Ressort hineinregiert. Schröder wurde von einer strategisch geradezu besessenen Vorgängerin immer wieder in den Schatten gestellt. Sie selbst ist ein sehr ausgeglichenes Temperament, duldsam und - was die Parteiverpflichtungen angeht - sehr diplomatisch. Sie kann nicht das Gegenteil von dem planen, was in der Partei durchsetzbar ist.
tagesschau.de: Wie kann es sein, dass ausgerechnet die Frauenministerin so viele Frauen gegen sich aufbringt?
Höhler: Die aufgeregten Frauen wollen eine aufgeregte Ministerin. Aber Schröder ist eine gemäßigte Politikerin. Das ist auch eine Form der Überlegenheit – und so etwas verschärft immer die Feindseligkeit der anderen, die aufgeregt bleiben wollen. Viele Frauen sind ja hochemotional im Verfolgen ihrer Projekte, zum Beispiel der Quote. Oder sie finden, man muss gegen das Betreuungsgeld sein, man muss für Kitas für Ein-bis Zweijährige sein. Dabei ist das doch erschreckend, so kleine Kinder in die Kita zu stecken. Diese emotionale Frauenszene stellt Forderungen an diese Ministerin, die zum Teil nicht mit Vernunft zu begründen sind.
"Nur weil sie eine Frau ist, wird sie so heftig angegangen"
tagesschau.de: Gerade das Thema Betreuungsgeld hat ihrer Beliebtheit noch mehr geschadet. Zu Recht?
Höhler: Nein. Sie vertritt ja die Parteilinie. Die Bayern haben das als ein Stück Symbolpolitik eingesetzt, um zu sagen: 'Nein, wir rücken nicht von der alten Wertewelt ab, bitte wählt uns weiter!' Die Kanzlerin hat sich ebenfalls dafür ausgesprochen. Was soll Frau Schröder da machen? Sie hat nicht verschwiegen, dass sie keine leidenschaftliche Verfechterin des Betreuungsgeldes ist.
Aber warum wird ausgerechnet sie so heftig dafür angegangen? Wenn Herr Kauder das Kauderwelsch redet, das man ihm parteipolitisch vorschreibt, dann gibt es nicht solche Feindseligkeiten. Schröder passt sich in dem Maße an, wie es in ihrem Amt unerlässlich ist. Nur weil sie eine Frau ist, wird sie so heftig kritisiert, während die Kauders und Altmaiers den ganzen Tag genormte Sprachbausteine ausspucken können und nicht angefeindet werden.
"Hinterlassenschaft von uneingelösten Versprechen übernommen"
tagesschau.de: Aber es scheint als könne sie mit keinem ihrer Themen punkten. Auch für die Flexi-Quote und ihr Buch "Danke, emanzipiert sind wir selber!" musste sie vor allem Kritik einstecken.
Höhler: Sie ist einfach in eine Flaute gekommen, was die Möglichkeiten angeht, Neues in diesem Ministerium zu bewirken. Da lagert zum Beispiel immer noch das Versprechen von Frau von der Leyen für die vielen Kita-Plätze. Hunderttausende fehlen noch. Dafür wird jetzt Frau Schröder verantwortlich gemacht. Da ist eine große Hinterlassenschaft von uneingelösten Versprechen.
Für das Familienministerium war eine Art Funkstille vorgesehen, nachdem man in der großen Koalition in einer Ankündigungspolitik einen Haufen sozialdemokratischer Forderungen auf den Weg gebracht hat. Die Vätermonate sind schon durchgesetzt. Im Moment ist kein Spielraum für große Aktionen. Aber eins muss man sagen: Mit dem Bundesfreiwilligendienst hat sie einen unerwartet großen Erfolg eingefahren. Der wurde von ihrem Ministerium angestoßen.
tagesschau.de: Ihre Kritiker werfen ihr vor, zu unerfahren zu sein und viele Fehler zu machen.
Höhler: Sie ist jung, das stört viele. Aber sie ist nicht in dem Maße unerfahren, wie beispielsweise damals Claudia Nolte, die Kohl als Familienministerin in sein Kabinett geholt hat. Schröder ist sehr belastbar und hat ein großes Stehvermögen. Man muss sich klarmachen, dass diese Frau jeden Tag Gegenwind bekommt.
"Die besten Mitarbeiter hat von der Leyen mitgenommen"
tagesschau.de: Wird sie denn gut beraten?
Höhler: Ich weiß nicht, wen sie informell – neben den offiziellen Posten - noch als Berater hat. Aber wir dürfen davon ausgehen, dass sie da nicht gerade die Brillanz Deutschlands um sich versammelt hat. Die gehen lieber ins Wirtschafts- oder Außenministerium, um dort Karriere zu machen. Zudem hat sie nicht mehr die qualifiziertesten Mitarbeiter. Die besten Mitarbeiter hat nämlich Frau von der Leyen mitgenommen. Da war wirklich Tabula rasa im Familienministerium. Und dann kam diese junge Ministerin ins Trommelfeuer der Erfolge ihrer Vorgängerin und hatte nicht die Crew zur Verfügung, die sie gebraucht hätte.
tagesschau.de: War die Besetzung Schröders ein Schachzug, das konservative Profil der Union zu schärfen?
Höhler: Selbstverständlich. Frau Merkel muss auch darauf achten, eine bestimmte Klientel zu bedienen. Dabei hilft ihr beispielsweise das Thema Betreuungsgeld und die Besetzung von Frau Schröder enorm. Merkel muss dafür sorgen, dass ihr die traditionsorientierten, heimwehkranken CDU/CSU-Leute nicht weglaufen.
tagesschau.de: Wird sie in der Union genügend unterstützt?
Höhler: Was heißt genügend. Sie wird gar nicht unterstützt. Weil viele sagen, da möchten sie nicht in einer Reihe stehen. Die Mehrheiten in der Partei haben sich bereits anders verteilt. Im momentanen gesellschaftlichen Klima ist sie auf einer Verliererstraße, weil ihre Themen unpopulär sind. Dass jemand anders in diesem Amt unter diesen Voraussetzungen einen besseren Job machen würde, muss erstmal bewiesen werden.
"Sie hat keine Leidenschaft für eine große Politikerkarriere"
tagesschau.de: Mit 34 Jahren ist sie noch sehr jung. Hat sie noch eine große politische Karriere vor sich?
Höhler: Zunächst mal kommt es sehr darauf an, wie die Konstellation nach der nächsten Wahl aussehen wird. Wenn es wieder zu einer großen Koalition kommt, dann könnte es sein, dass die SPD-Frau Manuela Schwesig das Amt übernimmt. Ich glaube nicht, dass Schröder eine große Politikerkarrierre machen wird. Ich glaube aber auch nicht, dass sie das überhaupt will. Sie hat keine große Leidenschaft für eine solche Karriere.
tagesschau.de: Woran machen Sie das fest?
Höhler: Wer so moderat und ausgleichend unterwegs ist, macht keine große Karriere. Wenn sie das wollte, müsste sie mal auf den Stuhl springen und sagen: 'Jetzt reicht's mir, das machen wir nicht mit den ganz kleinen Kindern in den Kitas!' Das wäre etwas, das würde in der ganzen Republik Wellen schlagen.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.