Interview

Interview mit SPD-Politiker Johannes Kahrs "Eigentlich könnten wir jeden Tag über die Agenda jubeln"

Stand: 01.10.2007 20:34 Uhr

Der Aufschwung ist - zumindest was die Arbeitslosenzahlen in Deutschland betrifft - unverkennbar da. Warum reklamieren die Sozialdemokraten die Erfolge nicht für sich - als Ergebnis der Agenda-2010-Politik? tagesschau.de fragte den Sprecher des rechten "Seeheimer Kreises" in der SPD, Johannes Kahrs.

Führende SPD-Politiker wollen die Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I wieder verlängern. tagesschau.de sprach mit dem Sprecher des rechten "Seeheimer Kreises" in der SPD, Johannes Kahrs, über mögliche Nachbesserungen bei der Agenda 2010, die Beliebtheit von Angela Merkel und den Umgang mit der Linkspartei.

tagesschau.de: Der Aufschwung ist - was die Arbeitsmarktzahlen betrifft - unverkennbar da. Warum reklamieren die Sozialdemokraten die Erfolge als Ergebnis der Agenda-2010-Politik nicht offensiv auch für sich?

Joahnnes Kahrs: Natürlich reklamieren wir die Erfolge für uns. Eigentlich könnten wir jeden Tag jubeln. Denn das, was derzeit in Deutschland passiert, ist das Ergebnis der Agenda 2010 von Gerhard Schröder und rot-grüner Regierungspolitik.

tagesschau.de: Aber wer jubelt denn außer Ihnen in der SPD? In der Wahrnehmung nach außen steht doch eher die Kanzlerin als Aufschwungs-Gewinnerin dar, während es in Ihrer Partei schon wieder zu rumoren scheint?

Kahrs: Die jetzige Wirtschaftslage, die Haushaltssituation und die sinkenden Arbeitsmarktzahlen sind in wesentlichen Teilen auf die Agenda 2010 zurückzuführen. Deswegen stehen wir dahinter, und deswegen wird das auch keiner mehr grundsätzlich ändern oder gar abschaffen wollen. Das was die CDU macht, empfinde ich hingegen als neoliberal: Selbst wenn es toll läuft, dürfen sich nur die Vorstände die Gehälter erhöhen. Die anderen sollen hingegen noch mehr Opfer bringen.

"Frau Merkel nimmt nur die Sahnetermine wahr"

tagesschau.de: Scheint außer Ihnen kaum einer zu merken. Angela Merkel steht glänzend da.

Kahrs: Ich glaube, dass die Kanzlerin im Augenblick gut dasteht, weil sie nicht führt, sich bei den wichtigen Themen abduckt und sich aus den Konflikten raus hält. Frau Merkel nimmt immer nur die Sahnetermine wahr: Sie stellt sich irgendwohin, eröffnet irgendetwas und reist durch die Weltgeschichte. Aber sie wird nicht als stellvertretende Außenministerin bezahlt, sondern dafür, dass sie führt - schließlich hat sie eine Richtlinienkompetenz. Und die soll sie gefälligst auch mal ausüben.

tagesschau.de: Kurt Beck will nun bei der Agenda 2010 nachbessern: Änderungen will er beim Arbeitslosengeld I - ältere Arbeitslose sollen ihre Bezüge länger bekommen. Der richtige Schritt?

Kahrs: Wir haben von Anfang an gesagt: Wenn die Agenda-Politk funktioniert, dann müssen die, die den Gürtel enger geschnallt und so für den Aufschwung gesorgt haben, später auch davon profitieren. Es ist doch schlau, dass man nach einer gewissen Zeit ein Gesetz noch mal auf seine Praxis-Tauglichkeit abklopft. Nur so kann man im Einzelfall nachbessern und individuelle Härten vermeiden. Das Leben ist manchmal komplizierter, als man zunächst gedacht hat. Dann gezielt nachzubessern hat mit sozialdemokratischem Gerechtigkeitsgefühl zu tun. Das macht es zwar komplizierter, ist aber notwendig.

tagesschau.de: Was würden Sie denn nachbessern wollen?

Kahrs: Es wird auf dem Parteitag Ende Oktober einen Vorschlag von der Parteiführung geben. Da geht es um die Frage, wo man was individualisiert nachbessern kann. Immer dann wenn die Regelung zu nicht angemessenen Härten führen, muss nachgebessert werden.

"Es gibt Einigkeit über den Weg"

tagesschau.de: Aber wer will denn nun was in der SPD-Spitze?

Kahrs: Natürlich ist man sich noch nicht einig. Aber es gibt eine Einigkeit über den Weg, nämlich eine Absprache zwischen Kurt Beck, Peter Struck und Franz Müntefering, einen gemeinsamen Vorschlag auf dem Parteitag zu präsentieren. Schließlich sind wir nicht die CDU: Da können Herr Jung und Herr Schäuble eine Debatte wochenlang führen, ohne dass die Kanzlerin überhaupt eingreift.

tagesschau.de: Sind die Nachbesserungsvorschläge nicht auch ein Zugeständnis an die Parteilinke? Für die war die Agenda 2010 doch von jeher ein rotes Tuch.

Kahrs: Zunächst muss man einmal festhalten, dass wir diese Agenda mit der Parteilinken gemeinsam durchgeführt haben. Klar gab es Einzelne, die immer dagegen waren. Ottmar Schreiner etwa wird auch immer dagegen bleiben. Er hat für seine Ansichten aber nie eine Mehrheit gehabt, weder in der Fraktion noch in der Partei. Dass jetzt Nachbesserungen angestrebt werden, ist doch überhaupt nichts Ungewöhnliches.

tagesschau.de: Also kein Abdriften nach links innerhalb der SPD? Oder muss die SPD nach links rücken, um eine Wählerabwanderung in Richtung der Linkspartei zu vermeiden?

Kahrs: Auf keinen Fall. Die SPD muss Kurs halten. Sie muss die Politik machen, die finanzierbar ist. Und das tut sie. Unsere Politik ist überaus erfolgreich. Früher haben wir das immer nur behauptet. Jetzt kann es jeder nachprüfen.

Das Interview führte Ulrich Bentele, tagesschau.de