Interview

Politikwissenschaftler zu Steinbrücks TV-Auftritt "Das gute Image könnte kippen"

Stand: 24.10.2011 17:30 Uhr

Ex-Finanzminister Peer Steinbrück läuft sich als möglicher Kandidat für die SPD warm und lässt jetzt sogar Altkanzler Helmut Schmidt für sich werben. Ist das strategisch klug? Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte warnt im Gespräch mit tagesschau.de: "Wer zu sehr auf die Medien setzt, wird am Ende nicht gewinnen".

tagesschau.de: Sie haben Altkanzler Helmut Schmidt und SPD-Politiker Peer Steinbrück gestern in der ARD-Sendung "Günther Jauch" gesehen. Was haben Sie gedacht?

Korte: Das ist eine sehr clevere mediale Selbstvermarktung von allen beiden Politikern und eine sehr geschickte Retour-Kutsche zum Auftritt von Kanzlerin Angela Merkel unlängst in der gleichen Sendung.

Karl-Rudolf Korte
Zur Person
Karl-Rudolf Korte ist seit 2002 Professor für Politikwissenschaft an der Uni Duisburg-Essen und leitet dort die Forschungsgruppe "Regieren" sowie die "NRW School of Governance". Er gilt als Experte für Parteistrategien, Wahlkämpfe und Wählerverhalten.

tagesschau.de: Aber ist es von Steinbrück wirklich klug, sich zu diesem Zeitpunkt so entschieden ins Rennen zu werfen?

Korte: Er selbst hat ja nur auf das formale Verfahren verwiesen. Altkanzler Schmidt hat für ihn geworben, das hat Steinbrück nicht kommentiert. Grundsätzlich ist es gut für die SPD, wenn sie mehrere mögliche Kandidaten hat. Und es ist eine gute Dramaturgie, diese Kandidaten frühzeitig auch in den Medien vorzustellen.

Mehrere Kandidaten - aber nur eine politische Linie

tagesschau.de: Angesichts der permanenten Koalitionskrise sind vorgezogene Neuwahlen nicht ganz ausgeschlossen. Sollte die SPD vom bisherigen Zeitplan abweichen und schon bald ihren Kanzlerkandidaten küren?

Korte: Derzeit ist es richtig, mehrere mögliche Kandidaten zu präsentieren - vorausgesetzt, sie stehen für unterschiedliche Inhalte. Das zeigt das Spektrum einer Partei und macht sie interessant für die Wähler. Ideal war das in den 90er-Jahren bei Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine: Da ging es um sehr unterschiedliche inhaltliche Akzente in dem Spannungsfeld zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Auch jetzt wäre es gut, einen inhaltlichen Spannungsbogen an möglichen Kandidaten aufzubauen. Das macht eine Partei für Wähler interessant - vorausgesetzt natürlich, es gibt keine Schlammschlacht zwischen den Bewerbern.

tagesschau.de: Die beiden aussichtsreichsten Bewerber - Steinmeier, Steinbrück - stehen aber inhaltlich für das genau Gleiche: für die Ära Schröder, für Hartz IV und die Reform des Sozialstaats. Ist das strategisch klug?

Korte: Das ist in der Tat ein Problem der SPD. Beide stehen mit unterschiedlichen Nuancen für die gleiche Richtung. Da ist es schwer, inhaltliche Debatten anzustoßen. Viel besser wäre es, die Sozialdemokraten hätten zwei mögliche Kandidaten, die für unterschiedliche Ausrichtungen und Strömungen in der Partei stehen - gerade angesichts der aktuell drängenden Fragen Euro-Krise, Banken-Kontrolle und die Zukunft der EU.

Heftige Kritik von Parteilinken und Jusos

tagesschau.de: Die Jusos und Parteilinke kritisieren den TV-Auftritt. Polarisiert Steinbrück durch seine Medienpräsenz?

Korte: Bisher hat es Steinbrück verstanden, zu integrieren. Er hat Verkrustungen in seiner Partei angesprochen, ohne die SPD zu sehr zu kritisieren. Er muss nun aufpassen, diesen Kredit nicht zu verspielen.

tagesschau.de: Steinbrück gilt bei den Wählern als kompetenter Finanzexperte. Er gehört zur SPD und wird gleichzeitig als Autorität über Parteigrenzen hinweg anerkannt. Wie hat er das geschafft?

Korte: Das ist Resultat seiner medialen Inszenierung. Er präsentiert sich in seinen Büchern und Vorträgen stets aufs Neue als Finanzexperte. Steinbrück kann entsprechend formulieren und darauf verweisen, dass er in der Finanzkrise 2008 erfolgreich agiert hat. Er hat von seiner Ausstrahlung und Stil etwas Post-Heroisches: Er zeigt nicht nur Führungskraft, sondern auch Risikobewußtsein und präsentiert sich als Mensch, der nicht nur laute Töne spukt. Das kommt bei den Menschen sehr gut an.

"Das positive Image könnte kippen"

tagesschau.de: Aber verspielt Steinbrück dies nicht gerade alles, in dem er so offensiv sich selbst ins Rampenlicht rückt?

Korte: Ja, das gute Image könnte kippen. Im Moment hat man das Gefühl, dass Steinbrück eine sich seit Monaten steigernde Medienkampagne in eigener Sache führt. Er inszeniert sich zunehmend als Kanzlerkandidat, während Steinmeier sich zurückhält. Für Steinbrück besteht die Gefahr, dass man seiner schon jetzt überdrüssig wird. Das könnte zu einem Symphatieverlust führen.

tagesschau.de: Und er weckt ja hohe Erwartungen. Besteht die Gefahr, dass er genau daran scheitert?

Korte: Wer hohe Erwartungen weckt, der muss Außergewöhnliches bieten. Nehmen Sie Steinbrücks Rede im Rahmen der Bundestagsdebatte zur Euro-Krise. Die Erwartungen an ihn waren riesig, der Auftritt dann war eher durchschnittlich. Viele Sätze, die er sagte, kannte man schon aus seinen vielen öffentlichen Reden und Publikationen. Es gab nichts wirklich Neues. Die Gefahr der Ernüchterung ist da groß. Gerade in unserer Mediendemokratie verbraucht sich eine Person sehr schnell. Und Steinbrück hat ja vor allem ein Thema, mit dem er punktet: die Finanzpolitik.

"Die mediale Inszenierung allein bringt keinen Sieg"

tagesschau.de: Angesichts des Auftritts von Steinbrück bei Jauch drängt sich der Eindruck auf, dass Politik mehr und mehr in den Medien - den Talkshows - gemacht wird. Trügt der Eindruck?

Korte: Wenn inhaltliche Debatten in den Talkshows stattfinden, und wenn sie gut geführt werden, dann ist das sehr positiv. Es dient doch der Aufklärung, dass sich die Kanzlerin und der mögliche Kandidat der größten Oppositionspartei einem Millionenpublikum vorstellen und für ihre Ideen streiten. Millionen Menschen setzen sich dann mit Politik auseinander, und Politiker werden dazu gezwungen, ihre Entscheidungen zu begründen.

tagesschau.de: Wenn aber der Erfolg hat, der sich besonders gut und skrupellos inszeniert, ist das doch problematisch. Hat heute ein Politiker eine Chance, wenn er das Spiel mit den Medien nicht beherrscht?

Korte: Ein prominenter Politiker muss heute das Spiel mit und in den Medien beherrschen. Aber er muss genauso im innerparteilichen Gefüge agieren können, Mehrheiten schmieden und Mitstreiter für die eigene Position finden. Und er muss inhaltlich unter hohem Zeitdruck hochkomplex arbeiten. Das sind sehr unterschiedliche Eigenschaften, die gefragt sind. Wer sich dabei zu sehr in die Fänge der Medien begibt, der kommt in ihnen um. Oder weniger dramatisch ausgedrückt: Wer in erster Linie auf die Medien setzt, wird am Ende nicht der Sieger sein. Ob dieser Satz auf Steinbrück zutrifft, das werden die nächsten Wochen und Monate zeigen.

Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de

Christian Faul, C. Faul, ARD Berlin, 24.10.2011 12:01 Uhr