Interview

Interview zum Umbruch der SPD "Linksschwenk ist alternativlos"

Stand: 02.10.2009 16:40 Uhr

Nach dem Desaster bei der Bundestagswahl liegt für die SPD laut dem Politikwissenschaftler Michael Koß die Rettung im linken Lager. Sie müsse ihr Verhältnis zur Linkspartei normalisieren, sagt er im Interview mit tagesschau.de. Gabriel und Nahles seien dafür die richtige SPD-Spitze.

tagesschau.de: Sigmar Gabriel soll nach der Wahlniederlage der SPD neuer Parteichef werden und Andrea Nahles neue Generalsekretärin. Steht die SPD vor einem Linksruck?

Michael Koß: Linksruck würde ich das nicht nennen, aber sie steht zumindest vor einem Linksblinken. Ob sie links überholt, muss man abwarten. Die SPD wird ihr Verhältnis zur Linkspartei überdenken und normalisieren. Dafür stehen auch Gabriel und Nahles.

Parteienforscher Michael Koß
Zur Person
Michael Koß ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für "Politik und Regieren in Deutschland und Europa" der Universität Potsdam. Sein Forschungsschwerpunkt sind Parteien und deren Finanzierung. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit der Partei Die Linke.

tagesschau.de: Gabriel gehört den Netzwerkern an, Nahles dem linken Parteiflügel. Wie können sie künftig eine gemeinsame Richtung vorgeben?

Koß: Es heißt, sie hätten jahrelang nicht miteinander gesprochen und seien sich nicht ganz grün. In dieser Situation sind die beiden aber die richtigen. Gabriel wird vorgeworfen, er sei ein Irrlicht innerhalb der SPD. Man kann das auch positiv sehen: Er hat einen guten Draht zu allen Flügeln und kann sie zusammenbringen. Und er ist in der Lage, die Linkspartei auch mal auf ihrem Feld zu schlagen, und zwar auf dem Feld der großen Worte. Das sollte Eindruck machen innerhalb der Partei. Nahles ist diejenige, die ihm innerparteilich den Rücken frei halten muss. Wenn die beiden eine gute Chemie miteinander hinbekommen, bestehen gute Chancen, dass man die Partei mitnimmt und zumindest verbal auf die Linkspartei zugeht.

"Gabriel ist ein Alpha-Tier"

tagesschau.de: Gabriel ist bei der Wahl zum SPD-Präsidium 2007 durchgefallen. Wie hat sich seither sein Verhältnis zur Partei gewandelt?

Koß: Der Wandel hat nicht auf Gabriels Seite stattgefunden, sondern auf Seite der Partei. Es läuft eher auf ihn zu, als dass er sich hinstellt und laut nach Posten schreit. Gabriel hat einfach die rhetorischen, genuin politischen Fähigkeiten. Ob er innerhalb der Partei so viel besser vernetzt ist als vorher, bezweifle ich. Er ist schon ein Schröder-Typ: kein Kotau vor Mächtigen, keine dauerhafte Unterordnung. Das kann man auch andersherum betrachten: Er ist ein Alpha-Tier. Jemand anderes als einer mit sehr ausgeprägtem Selbstbewusstsein kann die Aufgabe, die gerade vor dem neuen SPD-Parteichef liegt, nicht wuppen.

tagesschau.de: Als niedersächsischer Ministerpräsident führte Gabriel die SPD 2003 in einer Wahlniederlage mit einem Verlust von 14,5 Prozentpunkten. Wie kann er die Partei jetzt aus dem Tief führen?

Koß: Damals hat er nicht die Zeit gehabt, sich im Amt des Ministerpräsidenten groß einzufügen, er musste gleich eine Wahl bestehen und der Bundestrend blies ihm mitten ins Gesicht. Das Vorergebnis war zudem das aufgepumpte Schröder-Ergebnis von 1998 gewesen, das ein Plebiszit über die Kanzlerschaft war. Diesmal ist die Partei schon am Boden. Er hat auch viel mehr Zeit. Die nächste Wahl auf Bundesebene findet erst in vier Jahren statt.

tagesschau.de: Sie sehen keine Alternative einer Öffnung zur Linkspartei. Was sind die Hürden auf diesem Weg?

Koß: Bei der Linkspartei klar die Außenpolitik. Das wird interessanterweise bei der SPD auch als einziges erwähnt. Ich habe niemanden in der SPD gehört, der sagt: Die Linkspartei muss sich bei Hartz IV oder der Rente mit 67 bewegen. Interessant ist oft, was nicht gesagt wird. Aber genau das sind die Positionen, die von der SPD ernsthaft überdacht werden und die sie vielleicht auch als Fehler ansieht, vor allem die Rente mit 67. Auf dem Feld der Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik wird die SPD kompromissbereit sein. Aber die Vorleistung werden Kurskorrekturen in der Außenpolitik bei der Linkspartei sein.

tagesschau.de: Die Thüringer SPD hat sich für eine Große Koalition und gegen Rot-Rot-Grün entschieden. Konterkariert das die ganze Entwicklung?

Koß: Bund und Länder sind etwas Unterschiedliches. Ein größeres Problem sehe ich auf der Kreisebene in Thüringen: Die ganz große Mehrheit der SPD-Funktionäre neigt wohl Rot-Rot-Grün zu. Und es entsteht der Eindruck, dass der kleine SPD-Landesvorsitzende Matschie dem großen Ramelow von der Linkspartei die Butter vom Brot nehmen wollte und das nicht hinbekommen hat.

"Im Saarland wächst der Druck"

tagesschau.de: Wie wichtig sind jetzt die Koalitionsentscheidungen im Saarland, wo Rot-Rot-Grün möglich wäre, und in Brandenburg, wo Rot-Rot zur Debatte steht?

Koß: Für die SPD wäre es sehr wichtig, in mindestens einem Bundesland eine Koalition einzugehen, die zumindest theoretisch auch auf Bundesebene möglich ist. Gerade im Saarland wächst jetzt nach der Entscheidung der Thüringer SPD der Druck.

tagesschau.de: Ist ein klares Bekenntnis zum linken Lager die einzige Rettung für die SPD?

Koß: Mit allen Vorbehalten: ja. Man weiß noch nicht, wie sich Schwarz-Gelb auf Bundesebene entwickelt. Je stärker der FDP-Anteil der Bundesregierung, desto alternativloser ist der Linksschwenk der SPD. Eine Normalisierung des Verhältnisses zur Linkspartei ist für die SPD unabdingbar. Ich sehe keine Möglichkeit, wie die SPD sonst für die nächsten zehn Jahre realistisch mit einem Kanzlerkandidaten ins Rennen gehen will. Denn für eine Ampel-Koalition müsste sich die FDP selbst aufgeben.

"Soziale Gerechtigkeit mit Realitätssinn"

tagesschau.de: Welche Themen kann die SPD besetzen, um Wähler zurückzugewinnen?

Koß: Sie müsste das spielen, das Merkel jetzt offenbar in der schwarz-gelbe Koalition zu spielen versucht: die Stimme der Vernunft. Merkel versucht, die FDP von ihren marktliberalen Träumen zu befreien und auf einen gemäßigten Kurs zu führen. Genau das müsste die SPD mit der Linkspartei machen: soziale Gerechtigkeit mit Realitätssinn. Diesen Kurs müsste die SPD einschlagen und sagen: Da gab es in der Vergangenheit auch Fehler. Aber nicht alles, was die Linkspartei will, ist umsetzbar. Und wir sorgen dafür, dass die zentralen Forderungen des linken Lagers auch umsetzbar sind. Wenn die SPD versucht, die Linkspartei als Partner zu behandeln und gleichzeitig zu domestizieren, kann sie Wähler zurückgewinnen.

tagesschau.de: Wie kann die SPD dabei mit Alleinstellungsmerkmalen punkten, ohne Gefahr zu laufen, als Kopie der Forderungen von Linkspartei und Grünen wahrgenommen zu werden?

Koß: Das ist die Sechs-Millionen-Dollar-Frage. Im Moment hat sie das nicht, das ist auch die Essenz dieser Wahlniederlage. Es ist aber weniger wichtig, fundamental Inhalte zu verändern, sondern die Entscheidungen aus der Partei heraus zu treffen. Andrea Nahles muss als Generalsekretärin dafür sorgen, dass die Partei auch hinter dem steht, was sie tut. Die SPD hatte auch innerhalb der Großen Koalition wichtigen Einfluss. Aber die guten Dinge sind der Union zugeschrieben worden und die schlechten mehrheitlich der SPD. Das liegt daran, dass die Partei oft das Gefühl hatte, von ihrer Führung übergangen zu werden. Das muss sich ändern.

Das Interview führte David Rose, tagesschau.de.