Interview

Ex-Generalinspekteur im Interview Kujat kritisiert Guttenbergs Krisenmanagement

Stand: 24.01.2011 14:48 Uhr

Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, hat das derzeitige Krisenmanagement von Verteidigungsminister zu Guttenberg kritisiert. "Ich sehe erhebliche Probleme", sagte er im tagesschau.de-Interview. Die Regeln der Inneren Führung müssten strenger eingehalten werden.

tagesschau.de: Wie beurteilen Sie aus Ihrer langjährigen Erfahrung mit der Bundeswehr den Fall des Soldaten, der Mitte November in Afghanistan durch einen Schießunfall starb?

Harald Kujat: Es gab immer Unfälle in der Bundeswehr, sei es in der Waffenausbildung oder in anderen Zusammenhängen. Das ist bei einer Armee dieser Größe überhaupt nicht auszuschließen. Aber die Situation hat sich, seitdem die Soldaten im Auslandseinsatz sind, etwas gewandelt. Mittlerweile hantieren die Soldaten im tagtäglichen Einsatz mit scharf geladenen Waffen und nicht nur auf dem Schießstand, wo viele Augen auf die Einhaltung der Sicherheitsregeln achten. Dadurch verändert sich die Distanz zu den Waffen und die damit verbundenen Risiken.

Zur Person

Harald Kujat war von 2000 bis 2002 der Generalinspekteur der Bundeswehr und damit höchster Offizier der Bundeswehr. Von 2002 bis 2005 hatte er den Vorsitz des Militärausschusses der NATO.

tagesschau.de: Halten Sie es für wahrscheinlich, dass es in der Folge einen größeren Leichtsinn oder, wie es jetzt heißt, einen "spielerischen Umgang" mit Waffen gibt?

Kujat: Dieser Begriff "spielerischer Umgang" ist interpretationsbedürftig. Zunächst muss man festhalten, dass auch im Einsatz Sicherheitsvorschriften gelten. Aber wo Menschen unter Stress handeln oder Stress verarbeiten müssen, kann es zu Unachtsamkeiten und Nachlässigkeiten kommen. In der Regel sind unsere Soldaten im Einsatz sehr, sehr diszipliniert. Was in jenem Fall in Afghanistan geschehen ist, weiß ich nicht. Aber es handelt sich wohl um einen Unglücksfall.

"Gorch-Fock"-Ausbildung ist körperliche Herausforderung

tagesschau.de: Der abgesetzte Kommandant der "Gorch Fock" wird damit zitiert, dass er in seiner Jugend auf Kirschbäume geklettert sei, die heutige Jugend sitze eher vor dem Computer. Glauben Sie, dass Rekruten ehemals körperlich leistungsfähiger waren?

Kujat: Ich halte das für eine sehr unbedachte Äußerung - vor allem in diesem Zusammenhang. Die Ausbildung an Bord des Schiffes ist auch körperlich fordernd. Bei der Bundeswehr ist eine gewisse körperliche Leistungsfähigkeit Voraussetzung dafür, dass man bestimmte Positionen erreichen und als Vorbild dienen kann. Aber natürlich muss auch darauf geachtet werden, dass niemand überfordert wird. Ob das hier der Fall war, kann ich nicht beurteilen. Neben der körperlichen Anforderung ist ein wesentlicher Zweck dieser Ausbildung, den Zusammenhalt in der Gruppe zu stärken, sich einander zu unterstützen und zu vertrauen.

tagesschau.de: Die beiden angesprochenen Fälle sind zwei Hauptkritikpunkte an der Amtsführung von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Wenn Sie über die Jahrzehnte einen Vergleich ziehen, hat sich der ministerielle Führungsstil verändert?

Schmidt, Leber und Scharping prägten die Bundeswehr

Kujat: Ich kann sehr weit zurückblicken. Ich will die einzelnen Personen nicht direkt miteinander vergleichen, aber ich kann sagen, wer auf mich einen besonderen Eindruck gemacht hat. Da war zum einen Helmut Schmidt als Verteidigungsminister aufgrund seiner besonderen Führungsqualitäten sowie seiner großen sicherheitspolitischen und strategischen Kenntnisse. Georg Leber machte ebenfalls einen besonderen Eindruck auf mich. Er leistete in einer Zeit der Konsolidierung und der Erweiterung des Aufgabenspektrums einen enormen Beitrag zur Qualitätssteigerung der Bundeswehr. Das sind die beiden Minister, die mir spontan einfallen.

tagesschau.de: Und wenn Sie an die jüngere Geschichte denken? Wer fällt Ihnen dann ein?

Kujat: Als Generalinspekteur habe ich eng mit Rudolf Scharping zusammengearbeitet. Er hat die Umgestaltung der Bundeswehr unter dem neuen sicherheitspolitischen Rahmen nach Ende des Ost-West-Konflikts eingeleitet. Da wurde eine grundlegende Reform angegangen. Diese Schritte waren nach meiner Überzeugung viel tiefgreifender und umwälzender als das, was nun als Reform geplant wird - abgesehen von der Aussetzung der Wehrpflicht.

tagesschau.de: Was hören Sie über den derzeitigen Verteidigungsminister aus der Truppe?

Kujat: Was bei Minister zu Guttenberg hervorzuheben ist, dass er auf Kritik reagiert und Verbesserungen etwa bei der Ausrüstung für Afghanistan vorgenommen hat. Positiv ist auch, dass er die Reform, die unter Scharping ausgearbeitet worden war, wieder aufgegriffen hat. Ich denke, dass wird in der Truppe genauso gesehen. Auch wenn diese Reform unter dem Diktat des Finanzministers und nicht unter dem Diktat der Aufgabenbewältigung zustande gekommen ist. Was derzeit allerdings passiert, steht auf einem anderem Blatt.

tagesschau.de: Und was steht auf diesem Blatt?

Kujat: Ich muss vorausschicken, dass es in der Bundeswehr immer Situationen gegeben hat und geben wird, die man nicht vorhersehen konnte und die schwierig zu handhaben sind. Das verlangt dann eine straffe und entschlossene Führung. Das ist in diesem Fall so. Wenn aber Verstöße gegen die Grundsätze der Bundeswehr, gegen die sogenannte Innere Führung, geahndet werden, dann muss ich mich als Vorgesetzter auch an die Innere Führung halten und zwar mehr als der kritisierte Untergebene. Da sehe ich zurzeit erhebliche Probleme - zumindest so wie ich die Vorgänge in den Medien lese und höre.

Die Fragen stellte Alexander Richter, tagesschau.de