Grüne Kritik am Konjunkturpaket Scheel: "Wir hätten das anders gemacht"
Hohe Neuverschuldung, falsche Schwerpunkte, "Wischiwaschi": Im Interview mit tagesschau.de lässt die Grünen-Finanzexpertin Scheel kein gutes Haar am neuen Konjunkturpaket der Bundesregierung. Sie zweifelt an der gewünschten Wirkung und sieht künftige Generationen ungerechtfertigt belastet.
Hohe Neuverschuldung, falsche Schwerpunkte, "Wischiwaschi": Im Interview mit tagesschau.de lässt die Grünen-Finanzexpertin Scheel kein gutes Haar am neuen Konjunkturpaket der Bundesregierung. Die Bundestagsabgeordnete zweifelt an der gewünschten Wirkung und sieht künftige Generationen stark belastet.
tagesschau.de: Angela Merkel hat in ihrer Regierungsklärung zum Konjunkturpaket II von einem "guten Tag für Deutschland" gesprochen.
Christine Scheel: Bei den angekündigten Maßnahmen bezweifle ich das. Zunächst einmal werden jetzt sehr viele neue Schulden aufgenommen, rund 60 Milliarden Euro oder noch mehr. Das zweite Konjunkturpaket ist ein Sammelsurium von Bausteinen, um es irgendwie jedem in der Regierung rechtzumachen. Man hat den Eindruck, jede Fraktion hatte ein paar Wünsche frei, und dann wurde das Paket zusammengeschustert. Viel mehr als Wischiwaschi ist das nicht: Ein bisschen Steuersenkungen, ein wenig Beitragssenkungen; hier ein Investitionsprogramm für die Kommunen, dort 100 Euro fürs Kind - und dann noch diese unsägliche Abwrackprämie für 2500 Euro.
tagesschau.de: Wieso unsäglich?
Scheel: Ich halte von der Abwrackprämie überhaupt nichts. Sie ist ökologisch total blind, denn es ist völlig egal, ob ich einen umweltfreundlichen Neuwagen oder einen Spritfresser damit erwerbe. Der notwendige Strukturwandel der Autobranche wird ignoriert. Auch im Zusammenhang mit der KFZ-Besteuerung hätte es durchaus Möglichkeiten gegeben, hier auf stärkere Umwelt-Anreize beim Autokauf zu setzen.
"Der Preis ist sehr hoch"
tagesschau.de: Aber die Große Koalition hat mit den beschlossenen Maßnahmen zumindest staatliche Handlungsfähigkeit gezeigt.
Scheel: Aber der Preis dafür ist sehr hoch. Es wird sehr schwer werden, die gewaltige Neuverschuldung je wieder abzutragen. Dabei wissen wir noch nicht einmal, ob die konjunkturellen Maßnahmen des Pakets überhaupt ihre Wirkung entfalten.
tagesschau.de: Hätte man überhaupt keine neuen Schulden machen dürfen?
Scheel: Wir hätten es anders gemacht. Jeder Euro, der an neuen Schulden aufgenommen wird, muss auch für die Zukunft einen Sinn ergeben. Die Wirkung muss sich auch auf die kommenden Generationen entfalten. Wir hätten deshalb mehr in die Bildung und in die Forschung investiert. Auch die Unterstützung neuer, zukunftsweisender Technologien ist viel zu kurz gekommen. Das hätte die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gegenüber anderen Ländern gestärkt - gerade auch zum Vorteil künftiger Generationen.
Wir hätten zudem nicht nur durch Neuschulden, sondern auch durch Umfinanzierungen eine ganze Menge bewegen können. Es wäre sinnvoll gewesen, den Solidaritätszuschlag in einen Bildungs-Soli umzuwidmen. Dadurch hätte man Steuereinnahmen gezielt stärker für den Bildungssektor einsetzen können.
tagesschau.de: Angela Merkel hat gesagt, mit dem Konjunkturpaket unterstützte man gerade auch den Weg in die "Bildungsrepublik".
Scheel: Es wird zwar gesagt, dass in Bildung investiert wird. Doch die Gelder gehen vor allem in die Gebäudesanierung. Es ist ja sicher richtig, dass es vernünftige Schultoiletten und sauber angestrichene Schulräume gibt, so dass die Kinder gerne in die Schule gehen. Aber die Kernpunkte der Bildungspolitik werden nicht bedient: Wir brauchen mehr Lehrpersonal und kleinere Klassen. Das Bildungssystem wird durch das Konjunkturpaket nicht verbessert.
"Die Menschen zweifeln an der Wirkung"
tagesschau.de: Dagegen hat die Regierung eine in der Verfassung verankerte Schuldenbremse angekündigt.
Scheel: Ich habe den Eindruck, dass durch die vielen Schulden, die jetzt gemacht werden, die Stimmung in der Bevölkerung äußerst gespalten ist. Die meisten Menschen zweifeln, ob die von der Regierung vollmundig angepriesenen Programme überhaupt die gewünschte Wirkung entfalten werden. Die Leute sehen aber, dass der Staat immer mehr neue Schulden macht, und dass die nächsten Generationen diese Schulden abzubezahlen haben. Deswegen ist die von der Koalition zum jetzigen Zeitpunkt aufgenommene Diskussion um die Schuldenbremse mehr ein schlechtes Gewissen als ein echtes Anliegen.
Christine Scheel, geboren 1956 in Aschaffenburg. Magisterabschluss in Pädagogik, Soziologie und Psychologie. Von 1986 bis 1994 Mitglied im Bayerischen Landtag, seit 1994 Mitglied des Deutschen Bundestages. Von 1998 bis 2005 war Scheel Vorsitzende des Finanzausschusses, seit 2007 ist sie stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen.
tagesschau.de: Halten Sie die Schuldenbremse vom Grundsatz her richtig?
Scheel: Die Grünen haben schon vor Jahren eine solche Schuldenbremse eingefordert. Das wurde immer abgelehnt. Wir haben uns dabei am Schweizer Vorbild orientiert. Dass man also so viel Spielraum hat, dass man in wirtschaftlich schwierigen Zeiten investieren kann. Jetzt spricht die Koalition zumindest mal von einer Schuldenbremse. Man muss aber abwarten, wie die konkret aussehen soll. Eine Vorlage gibt es dazu noch nicht, deshalb lässt sich diese Initiative jetzt noch nicht beurteilen.
"Da steckt viel Wahlkampf drin"
tagesschau.de: Wie viel Wahlkampf steckt denn eigentlich in diesem Konjunkturpaket?
Scheel: Da steckt sehr viel Wahlkampf drin. Das sieht man allein schon einmal an dem heutigen Termin. Da werden alle Abgeordneten in einer eigentlich sitzungsfreien Woche in den Bundestag gerufen, um das Paket zu diskutieren. Hätte man eine Woche gewartet, wäre das Paket im Obama-Trubel, der ja am 20. Januar eingesetzt wird, medial sicherlich nicht ganz so groß gelaufen.
Und es ist auch kein Zufall, dass am kommenden Sonntag Landtagswahlen in Hessen sind. Koch will dort Ministerpräsident bleiben, und die SPD ist auch nicht im allerbesten Zustand, und so hat man sich in der Großen Koalition wohl gesagt: 'Machen wir diese Veranstaltung jetzt, dann beweisen wir zumindest Handlungsfähigkeit'.
Das Interview führte Ulrich Bentele, tagesschau.de