Bundespräsidenten-Nachfolge "Es gab keinen Machtkampf um Wulff"
Vier Tage lang suchte die Union intensiv einen Nachfolger für den zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler. Viele Namen wurden genannt, dann nominierte die Partei Niedersachsens Ministerpräsidenten Christian Wulff. Über die Entscheidungsfindung kursieren viele Gerüchte, entsprechend unterschiedlich wird die Nominierung Wulffs gewertet. tagesschau.de sprach mit dem CDU-Kenner Gerd Langguth darüber, was der Wechsel des stellvertretenden CDU-Vorsitzenden in das Amt des Staatsoberhaupts für die Partei bedeutet.
tagesschau.de: Welche Eigenschaft von Christian Wulff hat in Ihren Augen den Ausschlag für den niedersächsischen Ministerpräsidenten gegeben?
Gerd Langguth: Wulff wollte Bundespräsident werden und ich nehme an, dass er diesen intensiven Wunsch auch der Bundeskanzlerin deutlich gemacht hat. Merkel hatte abzuwägen, ob sie mit Ursula von der Leyen eine beliebte, durchsetzungsfähige Ministerin verlieren oder ob ihr einzig verbliebener Konkurrent unter den Ministerpräsidenten ins Schloss Bellevue gehen sollte. Sie hat sich dafür entschieden, dem Wunsch Wulffs nachzugeben.
Gerd Langguth ist politischer Publizist und Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bonn. Er beschäftigt sich mit den politischen Parteien und analysiert politische Entscheidungsprozesse. Langguth war lange im Bundesvorstand der CDU und ist Biograph von Bundeskanzlerin Merkel.
tagesschau.de: Für die Kanzlerin war also ausschlaggebend, dass ihr größter potenzieller Konkurrent ihr nicht mehr gefährlich werden kann?
Langguth: Es gibt vorerst niemanden in der CDU mehr, der Merkel in einer Krise gefährlich werden könnte. Ein weiterer Vorteil für Merkel: Wulff ist katholisch. Die Kritik der kirchlichen Presse an der Protestantin Merkel ist an der Partei nicht spurlos vorüber gegangen. Trotz aller Säkularisierung: Die CDU hat auch heute noch in der katholischen Bevölkerung viele treue Wähler, und das spielt für die Kanzlerin eine Rolle. Im übrigen wird Wulff ein guter Präsident sein, weil er gut repräsentieren kann, die Herzen der Menschen erreicht und nicht polarisiert.
"Merkel hätte keinen Putschversuch akzeptiert"
tagesschau.de: Es gibt viele Versionen darüber, wie die Entscheidung für Wulff zustande kam. Eine lautet: Die Ministerpräsidenten haben Merkel gezwungen, Wulff auf den Schild zu heben. Eine andere: Wulff hat mit Rücktritt gedroht, sollte er das Amt nicht bekommen.
Langguth: Beide Version halte ich für falsch. Es gab keinen Machtkampf zwischen Merkel und den Ministerpräsidenten. Die Länderchefs sind keine geschlossene Einheit, sondern untereinander uneins. Ich glaube nicht, dass Roland Koch ein besonderes Interesse daran gehabt hätte, dass Wulff Bundespräsident wird. Ich glaube auch nicht, dass Wulff gegenüber Merkel mit Rücktritt gedroht hat, um dieses Amt zu bekommen. So funktioniert Politik nicht, und es entspräche auch nicht dem Stil Wulffs, Merkel die Pistole auf die Brust zu setzen. Das wäre ein Putschversuch gegen sie gewesen. Das hätte sie nie akzeptieren können.
tagesschau.de: Die CDU verliert innerhalb weniger Tage einen weiteren erfahrenen Ministerpräsidenten. Was bedeutet das für die Partei?
Langguth: Die CDU leidet unter personeller Verarmung. Es gibt immer weniger Leute, die über eigenes politisches Gewicht verfügen und Merkel Paroli bieten können. Aber sie hat machtpolitisch ihre Position in der Partei gestärkt.
"Wulff war amtsmüde"
tagesschau.de: Nicht nur für Parteifreunde hatte Wulff das Zeug zum Kanzler. Nun entscheidet er sich für ein Amt, das deutlich weniger einflussreich ist. Ist das in Ihren Augen eine nachvollziehbare Entscheidung?
Langguth: Wulff war nach sieben Jahren wohl amtsmüde. Diese Vermutung haben viele Parteifreunde in Niedersachsen schon seit langem. Da kam ihm der Rücktritt Köhlers gerade recht.
tagesschau.de: Wulff hat wenig internationale Erfahrung. Ist das in diesen Tagen ein Nachteil?
Langguth: Horst Köhler brachte viel internationale Erfahrung mit - und es hat trotzdem nicht funktioniert. Ein Ministerpräsident, der so viele Auslandsreisen wie Wulff absolviert hat, kann auch auf internationalem Parkett bestehen. Und als Wulffs Vorvorgänger Gerhard Schröder vom Amt der Ministerpräsidenten ins Bundeskanzleramt wechselte, brachte er genau so viel oder wenig internationale Erfahrung wie Wulff mit - er hat sie sich dann angeeignet. Entscheidend ist, ob Spitzenpolitiker in der Lage sind, sich gute Berater zu holen. Und das traue ich Wulff zu.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de