Verhandlung vor dem BGH Dürfen IP-Adressen gespeichert werden?
Dürfen Betreiber von Websites IP-Adressen speichern? Darum geht es heute vor dem Bundesgerichtshof. Zentrale Frage: Wiegt der "Schutz vor Hackerangriffen" als Begründung stark genug, um die Adressen der User zu speichern?
Worum geht es in dem Verfahren?
Wer im Internet surft, hinterlässt dort Spuren. Die Internetprotokoll-Adresse (kurz: IP-Adresse) des benutzten Geräts (PC, Tablet, Smartphone etc.) wird an den Server übermittelt, auf dem die abgerufene Internetseite gespeichert ist. Und dort werden die IP-Adressen in aller Regel gespeichert. Das habe eine "einschüchternde Wirkung" und behindere das "unbeschwerte anonyme Surfen im Internet", sagt der Kieler Piraten-Abgeordnete Patrick Breyer. Deshalb klagte er gegen die Bundesrepublik Deutschland, weil auch auf den Seiten des Bundes die IP-Adresse gespeichert wird.
Warum werden die IP-Adressen gespeichert?
Die meisten Internetseiteninhaber speichern die IP-Adressen. Damit wollen sie sich zum Beispiel gegen Hackerangriffe verteidigen. Um Straftaten aufzuklären, können die Ermittlungsbehörden unter bestimmten Bedingungen die Herausgabe der IP-Adressen verlangen. Durch Abfrage bei den Internetanbietern kann diese Adresse dann dem Inhaber des Internetanschlusses zugeordnet werden. So geschieht es zum Beispiel oft, wenn es um illegale Downloads von Musik oder Filmen geht.
Was ist der rechtliche Hintergrund?
Patrick Breyer beruft sich in erster Linie auf das deutsche Telemediengesetz. Nach bisheriger Auslegung in Deutschland dürfen "personenbezogene Daten" nur während der laufenden Verbindung gespeichert werden, nicht danach; es sei denn, sie werden im Anschluss noch zur Abrechnung benötigt. Die umstrittene Frage: Gehört eine IP-Adresse zu den personenbezogenen Daten? Ja, sagt der Kläger, schließlich könne man durch diese Ziffernfolge - wenn auch über Umwege - die Person hinter dem Gerät identifizieren. Nein, sagte die beklagte Bundesrepublik Deutschland. Schließlich sei die IP-Adresse dynamisch, werde also bei jeder Einwahl ins Internet neu vergeben.
Der Fall war zunächst am Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Weil bei diesem Thema die EU-Richtlinie zum Datenschutz eine wichtige Rolle spielt, hat der BGH den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorgelegt, wie es in derartigen Situationen üblich ist.
Was hat der EuGH entschieden?
Die Richter in Luxemburg entschieden: Auch dynamische IP-Adressen gelten als "personenbezogene Daten", wenn der Betreiber der Website die rechtliche Möglichkeit hat, den konkreten Nutzer ausfindig zu machen. Dies sei in Deutschland der Fall. Insoweit ging das Urteil zugunsten des Klägers aus.
Allerdings sagte der EuGH in einem zweiten Schritt: Die Speicherung könne nach der europäischen Datenschutzrichtlinie unter Umständen dennoch zulässig sein. Und zwar dann, wenn der Seitenbetreiber ein "berechtigtes Interesse" an den Daten habe. Das deutsche Gesetz schränke dies zu sehr ein, wenn es die Speicherung von "personenbezogenen Daten" nur während der Internetverbindung oder zur Abrechnung zulasse. Es müsse vielmehr zwischen dem berechtigten Interesse der Webseitenbetreiber und den Grundrechten und Grundfreiheiten des Nutzers abgewogen werden. Der EuGH hebt dabei hervor: Der Betreiber einer Website könne ein berechtigtes Interesse daran haben, die IP-Adresse zu speichern, um sich gegen Cyberattacken zu verteidigen.
Worum geht es nun am BGH in Karlsruhe?
Die Richter des EuGH beantworteten im Oktober 2016 die allgemeinen Fragen des BGH. Danach geht der Fall wie üblich zurück nach Karlsruhe zur abschließenden Entscheidung. Der Bundesgerichtshof muss nun klären, ob er das deutsche Telemediengesetz so auslegen kann, wie die Richter aus Luxemburg das fordern und was das für die Klage von Patrick Breyer bedeutet.
Dabei wird es zum Beispiel darum gehen, ob der vom Bund vorgebrachte Zweck der Speicherung "Schutz vor Hackerangriffen" ein "berechtigtes Interesse" ist, das die Rechte des Klägers überwiegt. Das Urteil soll am 16. Mai verkündet werden.
Piratenpartei-Mitglied Breyer meint, dass ein sicherer Betrieb von Internetportalen auch ohne Aufzeichnen des Surfverhaltens der Nutzer möglich sei. Deshalb gebe es kein berechtigtes Interesse, die IP-Adressen zu speichern. Sollte der BGH das anders sehen, will er vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.
Betrifft der Rechtsstreit nur Internetseiten des Bundes?
Nein. Der Kläger hat sich den Bund also quasi exemplarisch herausgesucht. Die juristische Frage betrifft aber alle Websites, also auch von Unternehmen und Privatpersonen.