IS-Terror in Deutschland? "Die Ungläubigen überraschen"
Bisher sind IS-Anschläge in Europa nur in Frankreich und Belgien bekannt. Doch es gibt Indizien, die neues Licht auf den Messerangriff auf einen Polizisten in Hannover werfen. Chatprotokolle legen nahe, dass die 15-jährige Tatverdächtige Safia S. Kontakt zum IS hatte.
Deutsche drohen vom fernen Syrien aus, Rückkehrer werden festgenommen - doch der blutige Terror ereignet sich jenseits der Grenzen zu den europäischen Nachbarn - in Frankreich und in Belgien. Bislang hat der selbst ernannte "Islamische Staat" offiziell keinen Anschlag auf deutschem Boden verübt.
Chatprotokolle, die Reporter von NDR, WDR und "SZ" einsehen konnten, nähren jedoch den Verdacht, dass der Messerangriff der 15-jährigen Safia S. im Februar möglicherweise der Terrormiliz zugerechnet werden könnte. Die Generalbundesanwaltschaft ermittelt. Sollten diese Vermutungen zutreffen, wäre dies der erste IS-Anschlag in Deutschland.
Polizist lebensgefährlich verletzt
Bei einer Personenkontrolle am Westeingang des Hauptbahnhofs in Hannover hatte die Schülerin Ende Februar einen Bundespolizisten mit einem Gemüsemesser lebensgefährlich am Hals verletzt.
Die Sicherheitsbehörden gehen seither der Frage nach, ob die Attacke ein Terroranschlag war, ein Angriff einer religiösen Fanatikerin, die dem Aufruf des sogenannten "Islamischen Staates" folgte: Zuschlagen, wo immer es möglich ist, gegen wen auch immer.
Safia S. wollte ursprünglich nach Syrien
Anhand der Protokolle zeigt sich nun: Vor ihrer Tat hielt sich Safia S. nach den Ermittlungsergebnissen in der Türkei auf. Von hier schrieb sie einem befreundeten Islamisten, sie habe mit Mitgliedern aus dem IS kommuniziert. Ursprünglich habe sie nach Syrien reisen wollen, dann erwähnt sie eine "Planänderung". Die IS-Mitglieder hätten sie aufgefordert, nach Deutschland zurückzukehren, um die "Ungläubigen zu überraschen". Man habe ihr gesagt, dies habe einen "größeren Nutzen". Es könne für sie "spaßig" werden.
Die Bundesanwaltschaft ermittelt deshalb auch wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Frauke Köhler von der Generalbundesanwaltschaft sagte den Reportern: "Inwieweit der Tat ein konkreter Auftrag von Verantwortlichen des sogenannten Islamischen Staates zugrunde lag, müssen die weiteren Ermittlungen zeigen. Es gibt Verdachtsmomente, die deuten in diese Richtung."
Ähnliche Angriffe in London
In den Chatprotkollen war von einer "Märtyreroperation" die Rede: Tatsächlich wurde Safia S. aber von ihrer Mutter aus der Türkei zurückgeholt, kurz darauf verübte sie den Messerangriff auf den Polizisten.
Derartige Anschläge gab es bereits zuvor in Europa: 2013 erstachen zwei Konvertiten auf offener Straße einen Soldaten in London, im vergangenen Dezember bedrängte ebenfalls in London ein Mann mehrere Passanten in einer U-Bahnstation mit einem Messer. Bei beiden Angriffen riefen die Täter islamistische Parolen, die Taten wurden als Terroranschläge gewertet. Safia S. aber stach wortlos zu.
Safias Anwalt spricht von "Schwachsinn"
Für Mutlu Günal, den Strafverteidiger der Schülerin, ist der Vorwurf unbegründet: "Der Generalbundesanwalt tut so und unterstellt, dass es einen hoch geheimen Auftrag aus Syrien, am besten noch möglicherweise von einem hochrangigen IS-Kader gegeben hat, hier Anschläge zu verüben. Dieser Vorwurf schwingt ja immer unterschwellig mit, und das ist, ich muss es einfach mal in aller Deutlichkeit sagen: Schwachsinn."
Ob die Deutsch-Marokkanerin für einen Anschlag im Auftrag des IS verurteilt werden wird, wird auch davon abhängen, für wie glaubwürdig ein Gericht die Chatprotokolle erachtet.