Netanyahu kommt nach Berlin Staatsbesuch unter "dunklem Schatten"
In Berlin wird Israels Ministerpräsident Netanyahu erwartet - begleitet sowohl von Kritik an der Reise als auch an der von seiner Regierung geplanten Justizreform. Der Aufenthalt wird aber nicht so lange dauern wie zunächst geplant.
Noch bevor Israels Regierungschef überhaupt ins Flugzeug gestiegen ist, gibt es Kritik an dem geplanten Staatsbesuch von Benjamin Netanyahu in Deutschland - heute kommt er an. Morgen soll er Bundeskanzler Olaf Scholz treffen.
Die Reise wird von Protesten begleitet. Grund ist die von Netanyahu angestrebte Justizreform. Per Brief an die Botschafter Deutschlands und Großbritanniens in Tel Aviv forderten etwa 1000 israelische Künstler, Schriftsteller und Akademiker die Regierungen beider Länder auf, die angesetzten Besuche Netanyahus wieder abzusagen, wie die Zeitung "Haaretz" berichtete. Nach seiner Reise nach Berlin wird Netanyahu Medien zufolge noch im März in London zum Staatsbesuch erwartet.
Die Verfasserinnen und Verfasser der Schreiben warnten, Israel befinde sich derzeit in "der schwersten Krise seiner Geschichte" und "auf dem Weg von einer lebendigen Demokratie zu einer theokratischen Diktatur". Netanyahu warfen sie eine "gefährliche und zerstörerische Führung" vor. Er und seine rechts-religiös ausgerichtete Regierung betrieben mit ihrer Gesetzgebung den Abbau staatlicher Institutionen. Daher müssten Deutschland und Großbritannien die geplanten Staatsbesuche Netanyahus sofort absagen, andernfalls würden diese von einem "dunklen Schatten" überzogen werden.
Das Auswärtige Amt äußerte sich bislang nicht zu diesen Forderungen. Die Behörde bestätigte lediglich, dass das Schreiben in der deutschen Botschaft in Tel Aviv eingegangen sei.
Netanyahu verkürzt Besuch
Inzwischen wurde öffentlich, dass Netanyahu seinen Besuch in Berlin verkürzen wird. Statt wie ursprünglich geplant am Freitagmorgen werde er bereits am Donnerstagabend abreisen, erklärte die israelische Botschaft in Berlin auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa. Ein Grund wurde nicht genannt. Nach israelischen Medienberichten soll ein Sicherheitsvorfall am Montag im Norden Israels der Hintergrund sein. Auch Reuters berichtet, dass Netanyahu seine Reise abkürzt. Sein Büro teilte demnach mit, er habe Konsultationen "über Entwicklungen in der nationalen Sicherheit" geführt. Die Erklärung enthielt keine weiteren Details.
Seit Wochen Proteste in Israel
In Israel kommt es seit rund zehn Wochen immer wieder zu Massenprotesten, die sich gegen Netanyahus Regierung und vorrangig gegen die geplante Justizreform richten. Mit den Gesetzesänderungen soll es etwa dem Parlament des Landes ermöglicht werden, mit einfacher Mehrheit Beschlüsse des Obersten Gerichts wieder außer Kraft zu setzen. Regierungskritiker sehen dadurch die Gewaltenteilung und damit die demokratischen Prinzipien in Israel gefährdet.
Am Montagabend stimmte das Parlament in erster Lesung für einen besonders umstrittenen Teil der Reform, der es dem Gremium deutlich erschweren soll, einen Ministerpräsidenten für amtsunfähig zu erklären. Das wäre künftig nur noch mit einer Dreiviertelmehrheit unter den Abgeordneten möglich, sollte die Gesetzesänderung auch in zwei weiteren Lesungen gebilligt werden. Israelischen Medien zufolge will die Regierung noch in diesem Monat alle Kernelemente der Justizreform im Schnellverfahren durchsetzen.
Auch am Montagabend demonstrierten Gegner der Reform vor einem Haus eines Parlamentsabgeordneten in Tel Aviv. Gleichzeitig versammelten sich Unterstützer der Regierung zu einer Gegendemonstration.
Israels Präsident stellt sich gegen Reformpläne
Auch von höchster politischer Stelle wurden die Reformpläne der israelischen Regierung kritisiert. Der Präsident des Landes, Isaac Herzog, hatte sich in der vergangenen Woche öffentlich gegen die geplanten Gesetzesänderungen gestellt und Netanyahus Regierung aufgefordert, ihre Bestrebungen zu stoppen, um die Reform durchzusetzen.
Ebenfalls am Montag hatte Herzog angesichts der wachsenden Spannungen gewarnt, sein Land befinde sich "in einer schlimmen, sehr schlimmen Lage", welche gravierende gesellschaftliche, wirtschaftliche, diplomatische und sicherheitspolitische Folgen haben könne. Der Streit um die Justizreform führe in Israel zu einem "inneren Kampf, der uns zerreißt".
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte sich bereits mit Sorge über den "geplanten Umbau des Rechtsstaats" durch die israelische Regierung geäußert.
Netanyahu ein "normaler Gast in Deutschland"
Und trotzdem steht für Donnerstag neben dem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz auch ein Gespräch mit Steinmeier auf Netanyahus Agenda. Die Gespräche zwischen Scholz und Israels Ministerpräsident sollen in Berlin bei einem "Arbeitsmittagessen" stattfinden, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit ankündigte. Kernthemen seien internationale sowie regionale Sicherheitsthemen. Auch der Iran und dessen mutmaßliche Anreicherung von atomwaffenfähigen Uran werden wohl eine Rolle spielen.
Mit Blick auf die lauter werdende Kritik an dem Staatsbesuch betonte Hebestreit, Netanyahu sei der "gewählte Premierminister Israels und damit auch normaler Gast in Deutschland". Die Sicherheit Israels sei weiterhin deutsche Staatsräson und zwar unabhängig davon, wer das Land regiere.
Doch Hebestreit räumte auch ein, dass die Bundesregierung "grundsätzlich überzeugt" sei, "dass jegliche Veränderung einer Verfassung vorsichtig diskutiert werden muss". Dies sei aber "jetzt erst einmal Sache der Israelis".
In Berlin wappnet sich bereits die Polizei für den Staatsbesuch. Angaben der Gewerkschaft der Polizei zufolge sollen ab Mittwoch bis zum Freitagmorgen etwa 3000 Kräfte im Einsatz sein. Laut der Nachrichtenagentur dpa rechne die Polizei mit Protesten. Es werde die höchste Sicherheitsstufe verhängt. Zahlreiche Straßen sollen abgesperrt werden.