Fall geht nach Karlsruhe BGH stellt Kinderehe-Gesetz infrage
Seit 2017 sind alle im Ausland geschlossenen Kinderehen in Deutschland unwirksam. Das verstößt laut Bundesgerichtshof gegen das Grundgesetz. Entscheiden muss nun aber das Bundesverfassungsgericht.
Es geht um ein Paar aus Syrien, das 2015 nach Deutschland geflohen war. Beide Partner sind nach syrischem Recht wirksam verheiratet. Der Ehemann war bei der Hochzeit 21, das Mädchen erst 14 Jahre alt.
In Deutschland wurde das Paar getrennt. Die junge Frau wurde in eine Jugendhilfeeinrichtung für weibliche minderjährige unbegleitete Flüchtlinge untergebracht. Das Jugendamt wurde zum Vormund bestellt. Der Ehemann wusste zunächst nicht, wo sich seine Ehefrau aufhält. Er beantragte beim Amtsgericht Aschaffenburg, dass er wieder mit seiner Frau zusammengebracht wird.
Der Bundesgerichtshof legt das Kinderehe-Gesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor.
Keine Anhaltspunkte für Zwangsehe
Anhaltspunkte für eine Zwangsehe sah das Amtsgericht nicht. Es gewährte dem Mann allerdings nur ein Umgangsrecht an den Wochenenden. In zweiter Instanz stellte das Oberlandesgericht Bamberg dann fest, dass die Ehe auch in Deutschland gültig sei und anerkannt werden müsse. Deshalb dürfe das Jugendamt nicht bestimmen, wo sich die Minderjährige aufzuhalten habe. Gegen diese Entscheidung legte das Jugendamt Beschwerde beim Bundesgerichtshof ein.
Neues Gesetz seit 2017 in Kraft
Währenddessen änderte der deutsche Gesetzgeber die Rechtslage. Seit Juli 2017 gilt: Ehen, die im Ausland legal geschlossen wurden, sind in Deutschland unwirksam, wenn einer der Ehepartner unter 16 Jahre alt ist. Der Bundesgerichtshof (BGH) muss die neue Vorschrift nun anwenden.
Er bezweifelt aber, ob die neue Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar ist. "Der Bundesgerichtshof beanstandet, dass das Gesetz sogenannte Kinderehen automatisch für unwirksam erklärt, ohne dass eine Prüfung im Einzelfall stattfindet", sagt Dietlind Weinland, Presserichterin beim BGH. "Dieser mangelnde Entscheidungsspielraum ist das, was der Bundesgerichtshof für verfassungswidrig hält."
BGH sieht Grundgesetz verletzt
Auch Fachleute hatten eindringlich davor gewarnt, dass die neue Regelung keinerlei Ausnahmen zulässt. Wenn die Ehe unwirksam sei, hätten die betroffenen Mädchen keinerlei Ansprüche, etwa auf Unterhalt und Vermögensausgleich. Dieser fehlende Schutz ist auch einer der Hauptgründe, warum der Familiensenat des Bundesgerichtshofs meint, dass das Gesetz gegen das Grundgesetz verstößt - etwa gegen Artikel 6, der Eheleute und deren Rechte, die sich aus der Ehe ergeben, unter einen besonderen Schutz stellt.
"Eine unwirksame Ehe wirft eine ganze Reihe von Fragen auf", sagt Presserichterin Weinland. "Wenn Kinder schon geboren sind, stellt sich die Frage: Wie sieht es mit dem Sorgerecht der Kinder aus? Oder mit dem Umgangsrecht? Wie sieht es mit Unterhaltsansprüchen der Ehefrau aus? Hier stellen sich eine ganze Reihe von familienrechtlichen Fragen, und die sind gänzlich ungelöst."
Richter sehen Gefahr von Doppelehen
Die neue Regelung, kritisiert der BGH, könne auch zu Doppelehen führen, wenn der Ehemann sich eine neue Ehefrau suche. Um Minderjährige bestmöglich zu schützen, müsse deshalb jeder Einzelfall genau untersucht werden. Dies gebiete auch die Menschenwürde und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf die sich Minderjährige ebenfalls berufen könnten.
Der BGH hält die gesetzliche Neuregelung von 2017 für grundgesetzwidrig.
All diese Aspekte muss nun das Bundesverfassungsgericht prüfen - und entscheiden, ob die automatische Unwirksamkeit von Kinderehen Bestand haben wird oder nicht.
Aktenzeichen: XII ZB 292/16