"Menschenverachtende Brutalität" Bundesweit Ermittlungen wegen Kindesmissbrauchs
Ein Mann aus NRW soll über Jahre Kinder missbraucht und enorme Datenmengen an kinderpornografischen Aufnahmen gesammelt haben. Das jüngste Opfer war einen Monat alt. Die Polizei ermittelt gegen 70 weitere Verdächtige.
Die Polizei ermittelt in einem neuen Großkomplex von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie gegen bundesweit mehr als 70 Tatverdächtige aus 14 Bundesländern. Nur Bremen und das Saarland seien bislang nicht betroffen, hieß es auf einer gemeinsamen Pressekonferenz von Staatsanwaltschaft und Polizei Köln. Sie haben zur Aufklärung der Taten die Sondereinheit "BAO (Besondere Aufbauorganisation) Liste" gegründet. Der neue Missbrauchskomplex hat laut der Ermittler eine Dimension an Brutalität, die die von Lügde noch übersteigt.
Ausgangspunkt war demnach ein Fall aus Berlin. Bei den dortigen Ermittlungen seien die Fahnder auf einen 44-Jährigen aus Wermelskirchen in NRW gestoßen, der selbst Kinder schwer sexuell missbraucht haben soll und in Untersuchungshaft sitzt. Er soll sich als Babysitter im Kölner Raum angeboten haben und bei diesen Gelegenheiten zwischen 2005 und 2019 zwölf Kinder missbraucht haben. Die Hälfte der Kinder sei dabei höchstens drei Jahre alt gewesen. Er hat die Taten "im Kern eingeräumt", sagte Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer.
Riesige Datenmenge beschlagnahmt
Der Mann sei verheiratet und ohne einschlägige Vorstrafen gewesen. Bei seiner Festnahme im Dezember hatte die Kölner Polizei ein Spezialeinsatzkommando eingesetzt, um den Computer des Mannes im angeschalteten und unverschlüsselten Zustand sicherzustellen.
Sie fand riesige Datenmengen an Kinderpornografie und Missbrauchsdarstellungen, die vor Ort gesichert wurden. Um die 32 Terabyte Daten von der Rechneranlage des Verdächtigen zu kopieren, habe die Polizei 18 Tage gebraucht. Allein auf einer einzigen Festplattenpartition befinden sich 3,5 Millionen Bilder und 1,5 Millionen Videos, sagte Jürgen Haese, Ermittler bei der Kölner Kriminalpolizei.
Die ältesten Aufnahmen seien im Jahr 1993 entstanden. Um selbst den Überblick nicht zu verlieren, soll der Mann detaillierte Listen geführt haben, die nun bei der Ermittlung der anderen Tatverdächtigen helfen.
"Ein solches Ausmaß an menschenverachtender Brutalität und gefühlloser Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid von kleinen Kindern, ihren Schmerzen und ihren Schreien und ihrer offensichtlichen Angst ist mir noch nicht begegnet und ich habe es mir auch nicht vorstellen können", sagte Kölns Polizeipräsident Falk Schnabel.
Bisher 33 Opfer identifiziert
Bei den Aufnahmen handele es sich um Abbildungen und Videos schwersten Missbrauchs und Vergewaltigungen. "Wir müssen sogar annehmen, dass zur Durchführung dieser Handlungen Substanzen eingesetzt wurden, die betäubend wirken", erklärte Haese. Dies werde gerade weiter ermittelt.
Bislang seien 33 Opfer identifiziert worden, die zur Tatzeit im Alter von einem Monat bis 14 Jahren waren. Die früheste bislang belegbare Tat fand im Jahr 2005 statt, sagte Haese. Einige der identifizierten Opfer seien demnach heute erwachsen und hätten erst durch die Polizei erfahren, dass sie als Kinder missbraucht wurden.
Nach Aussage der Ermittler gibt es bislang keine Hinweise, dass eine Gruppe oder ein Pädophilenring hinter den Taten stehen könnte. Der Hauptbeschuldigte habe allein gehandelt und individuelle Kontakte zu anderen mutmaßlichen Tätern gepflegt, hieß es.
Mehrere Großverfahren in NRW
Nordrhein-Westfalen ist in den vergangenen Jahren zu einem Ermittlungsschwerpunkt bei sexuellem Kindesmissbrauch geworden. Nach dem Missbrauchsfall Campingplatz Lügde im Kreis Lippe folgten die Ermittlungen zu den Komplexen Bergisch Gladbach und Münster. Der aktuelle Fall lasse befürchten, er könne diese in seinen Ausmaßen übersteigen, sagte Polizeipräsident Schnabel.
Im Fall Bergisch Gladbach befreiten die Ermittler 65 Kinder aus der Gewalt von Sexualstraftätern. Die Ermittlungsgruppe in dem Fall, die "BAO Berg", hatte seit ihrem Start im Herbst 2019, ausgehend von einem Familienvater in Bergisch Gladbach, ein weit verzweigtes Geflecht rund um schweren Kindesmissbrauch aufgedeckt. Mit Stand vom Anfang des Jahres gab es in dem Komplex 439 Tatverdächtige und bundesweit 27 Festnahmen.
In dem 2020 aufgedeckten Missbrauchskomplex Münster waren Kinder in einer Gartenlaube und an anderen Orten vergewaltigt worden. Bislang hat die Polizei mehr als 30 Opfer identifiziert und über 50 Verdächtige ausfindig gemacht, die zum Teil schon verurteilt wurden.