Skifahrer und Lawinengefahr "Es bleibt immer ein Restrisiko"
Skifahren bei großer Lawinengefahr - mehrere Menschen sind dabei in den vergangenen Tagen ums Leben gekommen. Der Alpenexperte Bucher sagtim Interview , dass es gerade bei extremen Bedingungen auf eine gute Vorbereitung ankommt.
tagesschau.de: Wir berichten derzeit täglich von dramatischen, auch tödlichen Unfällen in der Alpenregion, von Rettungseinsätzen - und das, obwohl die kritische Situation in den Alpen bekannt ist. Beobachten wir ein Übermaß an Leichtsinn?
Thomas Bucher: Das kann man so pauschal nicht sagen. Die meisten Unfälle passieren ohnehin bei der mittleren Lawinenwarnstufe 3. Da sind viele unterwegs, obwohl die Lage schon heikel ist. Bei den aktuellen Warnstufen 4 oder 5 trauen sich die wenigsten nach draußen. Deshalb geschieht derzeit relativ wenig - gemessen daran, wie kritisch die Situation ist.
tagesschau.de: Gibt es bestimmte Gruppen von Skireisenden oder Fahrern, die häufiger in Gefahr geraten?
Bucher: In der Nähe der Skipisten sieht man immer wieder Fahrer ohne Notfallausrüstung, die nicht wissen, was sie tun. Sie glauben, wenn man in der Nähe eines Skigebietes ist und irgendwelchen Spuren hinterherfährt, wird es schon gutgehen. Das sind oft jüngere, unerfahrene Fahrer, die sich von Videos oder Werbung mit tollem Pulverschnee haben verleiten lassen.
"Prävention ist das A und O"
tagesschau.de: Wie kann man sich noch retten, wenn eine Lawine auf einen zurast?
Bucher: Eine solche Situation muss man auf jeden Fall vermeiden, Prävention ist hier das A und O. Wenn ich in einer Lawine bin, bin ich dem Schicksal ausgeliefert. Man kann theoretisch zwar ein, zwei Dinge tun, sollte möglichst mit Schwimmbewegungen an der Oberfläche bleiben, sollte versuchen, Skier und Stöcke von sich zu bringen, weil die wie ein Anker wirken. Unbedingt den Airbag auslösen. Aber trotzdem wird man panisch und denkt gewiss nicht mehr an die Notfallregeln, die man irgendwann gelernt hat. Es hat schon tödliche Unfälle gegeben, in denen die Opfer den Airbag nicht ausgelöst haben.
tagesschau.de: Erkenne ich denn immer, dass ich in einer Lawine bin?
Bucher: Meist gibt es keinen lauten Knall, sondern allenfalls ein Zisch-Geräusch. Dass man in einer Lawine ist, bemerkt man oft erst, wenn alles um einen herum in Bewegung ist und wenn der Schnee Schollen bildet. Wie groß die Lawine ist, sieht man dabei übrigens oft nicht, weil das meiste davon oft im Rücken liegt. Der Moment, in dem die Erkenntnis da ist, wirklich in einer Lawine zu sein, kommt daher oft sehr, sehr spät.
tagesschau.de: Sind Sie auch schon in so brenzlige Situationen geraten?
Bucher: Das hat vermutlich jeder, der viele Jahre in den winterlichen Bergen unterwegs ist. Ich bin noch nie verschüttet worden, habe aber schon Lawinen erlebt. Ich habe auch schon Schneebretter ausgelöst, die dann an mir vorbeigerauscht ist. Ich gehe seit 40 Jahren Skitouren, bin auch als Free Rider unterwegs, und ich weiß: Auch erfahrene Fahrer haben nicht immer alles im Griff. Auch Experten können sich verschätzen. Aber das ist eben die Wildnis, die ja auch den Reiz des Skifahrens ausmacht. Da bleibt immer ein Restrisiko. Im Übrigen: Wir haben in den Alpen im Jahr etwa 100 Lawinentote. Man muss aber bedenken, dass viele Millionen Skifahrer unterwegs sind. Insgesamt geschieht also relativ wenig.
"Wissen, was man tut"
tagesschau.de: Wie bereitet man sich optimal auf Skitouren vor - insbesondere auf Touren abseits der Skipisten?
Bucher: Man muss sich zunächst klarmachen, dass es einen Unterschied gibt zwischen gesichertem und ungesichertem Gelände. Wenn man die gesicherten Pisten verlässt, ist man in der Wildnis. Da ist man auf sich selbst gestellt. Genau das ist auch der Reiz, den das Gebirge ausmacht - sich der Natur zu stellen und sie unmittelbar zu erleben. Man muss also wissen, was man tut. Man sollte also nicht gleich schwierige Touren unternehmen, sondern sich Schritt für Schritt herantasten; einen Kurs machen, mit erfahrenen Leuten auf Tour gehen, vielleicht mit einem Bergführer.
tagesschau.de: Welche Ausrüstung gehört unbedingt dazu, welche ist empfehlenswert?
Bucher: Es gibt eine Notfallausrüstung, die jeder abseits der Pisten dabeihaben sollte. Dazu gehört ein Lawinen-Verschütteten-Suchgerät, eine Lawinensonde und eine Schaufel. Ohne diese drei Dinge ist die Wahrscheinlichkeit gering, in einer Lawine rechtzeitig gefunden zu werden. Zudem gibt es inzwischen spezielle Rucksäcke mit Lawinen-Airbags, die man mit einer Reißleine auslösen kann. Das ist eine sinnvolle zusätzliche Ausrüstung.
In vielen österreichischen Orten herrscht Lawinengefahr, und in den Bergen sind Skifahrer zu äußerster Vorsicht aufgerufen.
Das eigene Können richtig einschätzen
tagesschau.de: Was muss man bei der Planung einer Tour beachten?
Bucher: Man muss sich zunächst die richtige Tour für das eigene Können und für die eigene Gruppe aussuchen. Dann muss man die Verhältnisse vor Ort in die Planung einbeziehen: Ist genug Schnee da, wie hoch ist die Lawinengefahr? Dadurch grenzt sich schon vorher die Tourenauswahl ein. Dann muss man am Vorabend den aktuellen Wetter- und Lawinenwarnbericht einholen, ebenso am Tourentag selbst.
tagesschau.de: Wenn man unterwegs ist - welche Aspekte sollte man berücksichtigen?
Bucher: Unterwegs überprüfe ich immer wieder, ob die Verhältnisse, die ich vorfinde, zu meiner Planung passen. Im Zweifel muss ich bereit sein, abzubrechen. Es ist ein ständiger Prozess des Abgleichens und Überlegens.
tagesschau.de: Gibt es klassische Gefahrenmuster, die man erkennen kann?
Bucher: Man lernt mit den Jahren, das zu erkennen. Man schaut zum Beispiel, ob man Lawinenabgänge sieht. Das setzt gutes Wetter und Sicht voraus. Bei schlechtem Wetter mit einer Sicht von hundert Meter oder weniger muss ich schon sehr genau wissen, was ich tue, ich erkenne sonst Gefahrenanzeichen nicht. Ein anderes klassisches Warnzeichen sind dumpfe "Wumm"-Geräusch aus der Schneedecke beim Darübergehen im flachen Gelände. Man muss die Physik der Lawinen kennen - Wind, Schneefall und Schneedeckenaufbau. Viel Neuschnee und Wind erhöhen die Lawinengefahr - zsammen, aber auch einzeln.
tagesschau.de: Gibt es klassische Fehler in der Vorbereitung und unterwegs?
Bucher: Der klassische Fehler ist, sich falsch einzuschätzen. Die falsche Tour auszuwählen zum Beispiel. Oder Leute in der Gruppe zu haben, die überfordert sind, auf die aber nicht genug Rücksicht genommen wird. Oft sind es übrigens nicht die großen Fehler, die zu Unfällen führen, sondern eine Kette kleiner. Zum Beispiel erst Zeitprobleme, dann Konditionsprobleme, dann Stress, dann sieht man Gefahrenanzeichen nicht mehr und dann folgt einen Lawinenunfall.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de