Die Linkspartei in der Krise "Jammern hilft nichts"
Saft- und kraftlos? Mit dieser Kritik kann Linkspartei-Chef Bernd Riexinger nichts anfangen. Im Gespräch mit tagesschau.de erklärt er, wie seine Partei mit der AfD umgehen will und warum die Republik einen Lagerwahlkampf braucht.
tagesschau.de: Am Wochenende trifft sich Ihre Partei das erste Mal nach ihren herben Niederlagen bei den Landtagswahlen im März. Sie und Ihre Co-Vorsitzende Katja Kipping wollen sich als Parteichefs bestätigen lassen. Mit was für einem Ergebnis rechnen Sie?
Bernd Riexinger: Ich hoffe auf ein gutes Ergebnis. Unsere Mitglieder sehen ja, dass wir die Partei in den vergangenen vier Jahren gut geführt haben und dass wir eine klare Agenda für die nächsten zwei Jahre vorlegen. Ich hoffe, dass die Delegierten uns mit einem entsprechenden Mandat ausstatten.
tagesschau.de: Ihre Analyse teilen nicht alle Genossen. Ex-Fraktionschef Gregor Gysi nannte den Zustand der Partei gerade "saft- und kraftlos". Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?
Riexinger: Jammern hilft nichts. Von dem Parteitag wird ein Signal des Aufbruchs ausgehen. Die ganze Partei, von der Basis bis zur Führung, ist alles andere als kraftlos, wie die letzten Monate gezeigt haben: Vom Engagement in der Flüchtlingshilfe bis zu den Wahlen sehe ich überall Engagement und Dynamik statt Frust und Kraftlosigkeit.
tagesschau.de: Wenn Sie die Partei so gut geführt haben, warum stehen Sie dann in den Umfragen trotz Dauerstreit in der Großen Koalition wie festgebacken bei gerade einmal neun Prozent?
Riexinger: Wir beobachten in der Parteienlandschaft derzeit ein völlig neues Bild. Durch die Etablierung der AfD ist es zu weitreichenden Verschiebungen gekommen. Da ist es schon ein Erfolg, dass wir stabil bleiben, während beispielsweise die Volksparteien erodieren. Aber natürlich sind wir damit nicht zufrieden. Wir wollen weiterkommen und haben uns deshalb für die kommenden beiden Jahre einiges vorgenommen.
tagesschau.de: Mit welchen Themen wollen Sie punkten?
Riexinger: Ich bin davon überzeugt, dass die sozialen Fragen in der Gesellschaft wieder nach oben kommen werden. Das Thema Rente ist so ein Beispiel. Vielen Menschen ist klar geworden, dass die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung in wenigen Jahren im Alter nur mit Bezügen auf Sozialhilfeniveau rechnen kann. Auch die Frage der Verteilungsgerechtigkeit wird uns weiter beschäftigen. Laut einer Umfrage sind 76 Prozent der Bevölkerung der Meinung, dass höhere Vermögen zur Finanzierung des Gemeinwohls stärker herangezogen werden sollten. Das sind die Markenkerne linker Politik. Die müssen wir wieder stärker nach vorne stellen.
"Wir sind mit unseren Inhalten nicht mehr durchgedrungen"
tagesschau.de: Was Sie da aufzählen sind doch die Themen, mit denen Die Linke seit zehn Jahren Wahlkampf macht. Warum sollen sie jetzt plötzlich zu Wahlkampfrennern werden?
Riexinger: In den vergangenen eineinhalb Jahren standen medial überwiegend andere Themen im Vordergrund – etwa die hohe Zahl der Flüchtlinge, die Ukraine-Krise oder der IS. Natürlich sind das wichtige Themen, aber die Menschen hatten anscheinend nicht den Eindruck, dass wir uns noch ausreichend um sie kümmern. Wir sind mit unseren Inhalten anscheinend nicht mehr durchgedrungen.
tagesschau.de: Dafür kam die neue Konkurrenz von der AfD zunehmend gut beim Wähler an. In den bundesweiten Umfragen steht die Partei deutlich vor Ihnen - auch bei Ihrer ehemaligen Stammwählerschaft, den Arbeitslosen. Wie wollen Sie sich gegen die rechte Konkurrenz durchsetzen?
Riexinger: Wir müssen die AfD verstärkt auf dem sozialen Feld angreifen. Sie ist nicht nur eine rassistische, fremdenfeindliche und autoritäre Partei, sie hat auch für Beschäftigte und Arbeitslose nichts zu bieten. Ihr Programm würde die Armen ärmer machen, die Reichen verhätscheln und die Kommunen finanziell austrocknen. Die AfD hat keine Lösungen anzubieten. Die Linke übt dagegen nicht nur Kritik an den bestehenden Verhältnissen, sondern zeigt auch sinnvolle Alternativen auf.
tagesschau.de: Vielleicht trieb ja auch Ihr Kurs in der Flüchtlingspolitik Ihre ehemaligen Wähler zur AfD?
Riexinger: Bei einigen Menschen haben die Antworten der AfD offensichtlich verfangen. Verkürzt gesagt behauptet die Partei: Es geht euch nicht gut, jetzt kommen von außen noch welche dazu, also geht es euch bald noch schlechter. Das ist einfach, aber falsch. Der Konflikt verläuft nicht zwischen denen drinnen und denen draußen, sondern zwischen oben und unten! Deshalb fordern wir eine andere Steuer- und Sozialpolitik, um Wohlstand für alle durchzusetzen. Ich gebe zu: Das ist komplizierter als die Antworten, mit denen die Rechten auf Stimmenfang gehen.
"Wir müssen ein Bollwerk gegen rechts sein"
tagesschau.de: Auch aus der Linken kamen im Zuge der Flüchtlingsfrage umstrittene Töne. Oskar Lafontaine sprach von einer Obergrenze, Sahra Wagenknecht von Gastrecht. Wie einig sind Sie sich in der Flüchtlingspolitik?
Riexinger: Wir werden von unserem bisherigen Kurs nicht abweichen. Wir müssen ein klares Bollwerk gegen rechts, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sein. Da gibt es auch gar keine Differenz zu Sahra Wagenknecht. Ich bin davon überzeugt, dass auch der Leitantrag zum Thema Flüchtlinge auf dem Parteitag eine eindeutige Mehrheit bekommen wird.
tagesschau.de: Im September stehen die nächsten Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin an. Schließen Sie aus, dass sich Ihr Kurs in der Flüchtlingspolitik ändert, wenn Sie auch dort hinter der AfD landen?
Riexinger: Ich weiß nicht was wir gewinnen sollten, wenn wir in dieser Frage plötzlich unsere Haltung ändern. Man hat doch in Österreich oder bei der SPD gesehen, dass dieses Rumgeeiere in der Flüchtlingsfrage nicht hilft, sondern die Rechten nur stärker macht. Unser Kurs ist richtig. Deshalb können wir ihn auch nicht aus Opportunitätsgründen ändern.
tagesschau.de: Zum Erfolgsrezept der Linken gehörte in der Vergangenheit auch, Protestwähler anzusprechen. Warum gelingt Ihnen das nicht mehr so gut?
Riexinger: Vielleicht haben wir den Eindruck erweckt, dass wir zu angepasst sind. Die Wähler dürfen nicht glauben, dass wir nur auf Regierungsämter schielen – auch wenn wir seit einem Jahrzehnt fest zum Parteiensystem gehören. Wir müssen darauf achten, die Interessen unserer Wähler mit aller Konsequenz widerständig, frech und angriffslustig zu vertreten.
"Im Bund haben wir derzeit keine realistische Regierungsoption"
tagesschau.de: Die Linke stellt den Ministerpräsidenten von Thüringen, regiert in Brandenburg seit Jahren mit und war auch sonst mehrfach Teil von Landesregierungen. Sind Sie damit nicht deutlich mehr Establishment als freche Alternative?
Riexinger: Das steht ja nicht im Widerspruch zueinander. Wenn man regiert, kommt es immer darauf an, wie man regiert. Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass wir ihre Interessen vertreten. Das machen wir in Thüringen und Brandenburg sehr gut.
Auf der Bundesebene sieht das anders aus. Dort haben wir derzeit keine realistische Regierungsoption. Deshalb müssen auf dieser Ebene unsere Inhalte auf einem anderen Weg durchsetzen. Durch gesellschaftlichen Druck kann man viel bewegen - das zeigt etwa das Beispiel der Proteste gegen TTIP. Die Linke muss der Motor für solche Entwicklungen sein.
tagesschau.de: Würde am Sonntag ein neuer Bundestag gewählt, hätte Rot-Rot-Grün keine Mehrheit. Erwarten Sie, dass sich das bis zur Wahl im kommenden Jahr noch ändert?
Riexinger: Das kann man heute noch nicht sagen. Ob es eine rot-rot-grüne Mehrheit geben wird, dürfte jedoch vor allem davon abhängen, welchen Kurs SPD und Grüne einschlagen. Wenn es sich beide Parteien offenhalten, in jede Richtung zu koalieren, dann wird es keine linke Mehrheit geben. Wenn es jedoch gelingt, eine gemeinsame Alternative zu den Parteien rechts der Mitte aufzuzeigen, dann hätten wir eine Chance. Wenn die Linke jedoch allein gegen fünf neoliberale Parteien steht, dann reicht das nicht, um einen Politikwechsel herbeizuführen.
Was wir brauchen, ist ein Lagerwahlkampf. Doch dafür fehlen zur Zeit die Verbündeten. Die Grünen verstehen sich als Regierungsreserve für die CDU und was die SPD will, weiß ich nicht. Vor wenigen Wochen drängte sie noch weiter in die Mitte, dann schwenkte sie plötzlich nach links. Ob das jetzt ein echter Kurswechsel ist, vermag ich nicht zu sagen.
tagesschau.de: Wo hat sich die Linke eigentlich in den vergangenen Jahren bewegt, um ein rot-rot-grünes Bündnis zu ermöglichen?
Riexinger: Wir haben nicht nur in den Ländern ständig Angebote gemacht – insbesondere an die SPD. Aber wir wollen nicht in die Rolle eines Bittstellers kommen. Wenn SPD und Grüne bereit sind, eine inhaltliche Plattform mit uns zu zimmern, dann sind wir bereit. Dafür müssen wir selbst stärker werden und so den Druck auf SPD und Grüne erhöhen, damit sie ihre Politik ändern.