Arzneimittel fehlen Heimische Produktion gegen den Mangel?
Seit Monaten schlagen Mediziner Alarm: Viele Medikamente sind wegen Lieferengpässen nicht verfügbar. Die Ampelkoalition reagiert mit neuen Plänen. Die Produktion soll nach Deutschland verlagert werden.
Angesichts von Lieferengpässen bei wichtigen Medikamenten bringen Experten nun eine staatliche Produktion lebenswichtiger Arzneimittel in Deutschland ins Spiel. Nach der Verlagerung an günstigere Produktionsstandorte etwa in Indien und China in den vergangenen Jahrzehnten sei es Zeit für ein Umdenken, sagte Christian Karagiannidis, Mitglied der Regierungskommission für Krankenhausversorgung, im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF.
"Wir müssen jetzt schon den Weg gehen, dass wir das Ganze wieder zurückholen. Vielleicht muss man auch diskutieren, dass wir bundeseigene Produktionsstätten brauchen für lebenswichtige Medikamente", sagte er. Auch eine Vorratshaltung könne man machen. Ein Problem sei dabei aber, dass viele Medikamente ein Mindesthaltbarkeitsdatum hätten und damit nicht unbegrenzt zu lagern seien.
Ampelkoalition plant Gesetzesvorschlag
Um die Situation zu entschärfen, hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach angekündigt, in den kommenden Tagen einen Gesetzesvorschlag zu präsentieren, der den Lieferkettenprobleme entgegenwirken soll. "Dabei geht es natürlich darum, dass wir wieder mehr Hersteller in Europa und in Deutschland in die Lage versetzen, diese Medikamente herzustellen", sagte Heike Baehrens, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, im ARD-Mittagsmagazin.
Die Bundesregierung will außerdem das Vergaberecht ändern. Ziel ist es, Lieferketten breiter anzulegen, um die Abhängigkeit von einzelnen Herstellern zu verringern. Die FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus sagte: "Wir müssen die Produktion von Arzneimitteln wieder zurück nach Europa holen. Dafür sollten Anreize gesetzt werden."
Dafür sollte Lauterbach die Länder, Hersteller und Großhändler an einen Tisch holen, forderte der Unions-Gesundheitsexperte Tino Sorge. Noch vor Jahresende müsse man sich über alternative Beschaffungs- und Verteilungsmöglichkeiten abstimmen. "Es braucht jetzt schnelle Entscheidungen", sagte der CDU-Politiker. Allein die Ankündigung von Gesetzen helfe Kindern und ihren Eltern nun nicht weiter.
Engpässe bei Notfallmedikamenten
Mittlerweile warnen auch die Krankenhäuser vor wachsenden Engpässen bei wichtigen Arzneimitteln. Problematisch sei die Lage bei Antibiotika, Krebspräparaten und Notfallmedikamenten für Herzinfarkte und Schlaganfälle, sagte der Vorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Die größte Herausforderung stellen Gaß zufolge derzeit Lieferengpässe bei Notfallmedikamenten dar. Betroffen sei unter anderem bereits seit April der Wirkstoff Alteplase, der als lebensrettende Maßnahme zum Beispiel nach Herzinfarkten und Schlaganfällen eingesetzt werde. Alternativen dafür seien rar oder fehlten ganz, sagte der Vorsitzende.
Sehr problematisch seien in der derzeitigen Welle von Atemwegserkrankungen aber auch fehlende Mittel wie beispielsweise das Breitband-Antibiotikum Amoxicillin.
Baehrens: Keine Arzneimittel horten
Trotz der angespannten Lage sollten Apotheker und Arzneimittelgroßhändler nur einen Vorrat für eine Woche anlegen, betonte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Baehrens. "Das ist nicht zu verantworten in einer solchen Situation, wo bundesweit im Grunde diese Medikamente verfügbar sein müssen."
Zustimmung kommt von den Krankenversicherungen (GKV). Außerdem müsse es mehr Transparenz über die Verfügbarkeit einzelner Mittel geben. "In der aktuellen Situation sind die Apotheken und ihre Kompetenzen gefordert", sagte die Chefin des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer. "Wir vertrauen darauf, dass in dieser Notsituation das Fachpersonal den Patientinnen und Patienten mit Rat und Tat beiseite steht."
Apotheken könnten etwa auch Fiebersäfte im Rahmen einer Rezeptur selbst anfertigen und bekämen dies bezahlt. Pfeiffer plädierte für Meldepflichten für Unternehmen zu Nicht-Verfügbarkeiten durch den Pharmagroßhandel und Apotheken.