WHO-Experte im Interview "Unzureichende Kontrolle an Pekings Flughafen"
Der WHO-Virologe Wolfgang Preiser hat fünf Wochen in China verbracht. Seine Einschätzung gegenüber tagesschau.de: Die Kontrollen an Pekings Flughafen seien immer noch unzureichend. Er warnt, dass SARS zu einer dauerhaften weltweiten Seuche werden könnte, wenn China die Krankheit nicht bald in den Griff bekommt.
tagesschau.de: Herr Preiser, Sie waren als Mitglied der WHO fünf Wochen lang in China. Worin genau bestanden Ihre Aufgaben dort?
Wolfgang Preiser: Die WHO konnte nicht glauben, dass die Lage in China so war, wie sie offiziell dargestellt wurde und dass der Ausbruch von SARS in der Provinz Guangdong im Februar vollkommen zum Erliegen gekommen war. Zum einen sollten wir feststellen, inwieweit das chinesische System überhaupt in der Lage ist, die Verdachtsfälle adäquat zu erfassen und zu melden. Zum anderen, ob die Krankenhäuser in der Lage sind, die Kranken angemessen zu behandeln.
tagesschau.de: Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
Preiser: Die gemeldeten Angaben entsprachen nicht der wahren Situation und es gab gravierende Mängel. Das Erfassungssystem war unzureichend, die Klassifizierung der Patienten in Verdachts- und bestätigte Fälle hat nicht funktioniert.
"Atmosphäre des Abwiegelns"
tagesschau.de: Wie war die Zusammenarbeit mit den chinesischen Behören?
Preiser: Anfänglich gab es tatsächlich eine Atmosphäre des Abwiegelns, der Verleugnung, des Nicht-Wahrhaben-Wollens. Doch in der vergangenen Woche hat sich diese Einstellung enorm gewandelt. Unser WHO-Team hatte uneingeschränkten Zugang zu allen Einrichtungen, die wir sehen wollten - auch ohne Vorankündigungen. Daher glauben wir auch, dass die jetzigen Zahlen stimmen.
tagesschau.de: Was war der Auslöser für den Sinneswandel?
Preiser: Wir entdeckten im Stadtgebiet von Peking erhebliche Mängel beim Meldesystem für SARS und kamen zu dem Schluss, dass die damaligen Zahlen eine erhebliche Unterschätzung darstellen. Das meldeten wir auch so an das Gesundheitsministerium und diverse Stellen in Peking. Zwei Tage später (am 20. April, Anm. d. Red.) gab es dann diese Pressekonferenz, auf der die Zahlen auf einmal auf das Zehnfache gesteigert wurden. Da gab es plötzlich das Bewusstsein, dass doch einiges im Argen liegt und man reagieren muss.
"Bedrohung für Deutschland nicht sehr groß"
tagesschau.de: Wie schätzen Sie die Gefahr der Krankheit ein, insbesondere im Bezug auf Deutschland?
Preiser: Es wird immer noch nicht ausreichend kontrolliert, wer ein Flugzeug besteigt. Es gibt zwar auf dem Pekinger Flughafen Geräte, die die Temperatur der Passagiere messen, aber die beobachtet keiner. Oder so genannte Gesundheitsbögen, die man ausfüllen muss, die aber nicht nachgeprüft werden. Die Bedrohung für Deutschland schätze ich jedoch nicht als sehr groß ein. Unser Gesundheitssystem ist dem gewachsen. Hier wird schnell gehandelt, eher schon überreagiert.
tagesschau.de: Und wie beurteilen Sie den Kampf gegen die Krankheit in China?
Preiser: Wenn China das SARS-Problem nicht in den Griff bekommt, dann kann es die Welt nicht in Griff kriegen – diese Aussage gilt. Die reichen Provinzen Peking oder Shanghai dürften die Krankheit in den nächsten Monaten eindämmen können. Ein großes Problem sind jedoch die unterentwickelten, ländlichen Provinzen, die haben oft gar nicht die Möglichkeiten, das Problem anzugehen. Das wird dazu führen, dass auch in deutschen Krankenhäusern bei der Versorgung von Patienten mit relativ harmlosen Symptomen wie Fieber und Husten immer die Möglichkeit einer SARS-Erkrankung in Betracht gezogen werden muss.
Das Gespräch führte Carolin Ströbele, tagesschau.de