Beitrag von Peter Heine "Deutschland befindet sich in einem Kulturkampf"

Stand: 27.08.2007 12:45 Uhr

Das gemeinsame Projekt "Essays zur Sicherheitsdebatte" von tagesschau.de und der Bundeszentrale für politische Bildung eröffnet neue Perspektiven in der aktuellen Terrordiskussion. Namhafte Autoren wurden gebeten, in einem Beitrag zu schildern, wie sie persönlich - vor dem Hintergrund ihrer eigenen Geschichte und Erfahrungen - die Auseinandersetzung empfinden.

Von Peter Heine, Professor für Islamwissenschaft an der Humboldt-Univeristät von Berlin

Man hat es irgendwo einmal gelesen: Alle Telefongespräche, die über Satelliten laufen, können abgehört werden. Bei der Nennung von bestimmten Begriffen wie Irak, Saddam Hussein, Islam, Al Kaida und manchen anderen setzt ein Aufzeichnungsgerät ein und schneidet mit.

Ich habe stets - auch vor dem Einsatz solcher Wunderwerke der Technik - damit gerechnet, dass mein Telefon überwacht wurde. Denn mit dem Irak und mit radikalen Formen des Islams befasste ich mich schon, als selbst Politiker Iran und Irak nicht unterscheiden konnten und von Sayyid Qutb noch nie etwas gehört hatten.

Ergebnisse der Forschung beachten

Wer mich abhörte, war mir damals gleichgültig und ist es auch noch heute. Ich weiß schließlich, dass kein geheimer Nachrichtendienst auf der Welt genügend Personal hat, um alle auflaufenden Telefonmitschnitte auswerten zu können. Im übrigen schadet es den Diensten und den sie beauftragenden Regierungen vielleicht ja auch gar nicht, wenn sie die Ergebnisse seriöser wissenschaftlicher Arbeit zur Kenntnis nehmen, auch wenn diese den Einschätzungen ihrer Analytiker und den Erwartungen der politischen Entscheidungsträger nicht entsprechen.

Problematisch ist natürlich, dass ich nicht weiß, wie meine teilweise ja vorläufigen Erkenntnisse ausgewertet und interpretiert werden. Es würde mich jedoch interessieren, welche Kosten durch meine Telefonate entstehen und wie diese Kosten in einer Kosten-Nutzen-Berechnung dargestellt werden.

Warum diese spöttischen Bemerkungen angesichts eines sicherlich ernsten Themas? Mir ist meine privilegierte Situation gegenüber den Geheimdiensten durchaus bewusst. Von vielen der sie interessierenden Themen verstehe ich sicherlich mehr als mancher hochrangige Auswerter. Ich war 1963 zum ersten Mal im Irak und in Afghanistan, er möglicherweise noch in keinem der Länder. Meinen ersten Artikel zum radikalen Islam habe ich vor mehr als 20 Jahren geschrieben, als sein Interesse noch dem längst verblichenen Militärbündnis "Warschauer Pakt" galt.

Mangel an kompetenter Auswertung

Gesetzliche Veränderungen, die zu verschärften Eingriffsmöglichkeiten in die Intimsphäre von Bürgern führen, werden die Ergebnisse der nachrichtendienstlichen Aufklärung nicht verbessern, sondern vielleicht sogar verschlechtern, da es an kompetenter Auswertung fehlt.

Eine langfristige und kontinuierliche Beobachtung der internationalen islamistischen Szene reicht aus, um Gefahren einzuschätzen und ihnen vielleicht auch vorzubeugen. Dass hier schon vor dem 11. September Erfolge erzielt wurden, ist hinlänglich bekannt. Dass die deutschen und die europäischen Dienste besser kooperieren könnten, ist ebenfalls bekannt. Bedarf es aber dazu verschärfter Gesetze und weiterer Eingriffe in die Grundrechte?

Unkultur der Einäugigkeit

Während ich diesem Aspekt des "Kampfes gegen den internationalen Terrorismus" mit deutlicher Skepsis hinsichtlich seiner Effektivität gegenüberstehe, sehe ich andere Entwicklungen mit größerer Sorge. Auch in Deutschland hat sich - auch im wissenschaftlichen und publizistischen Bereich - in den vergangenen Jahren eine Unkultur der Einäugigkeit entwickelt.

Schon das unkommentierte Referieren von Äußerungen bekannter Islamisten wird von Vertretern dieser Einäugigkeit mit Unwillen zur Kenntnis genommen. Dass ein Vergleich keine Gleichsetzung bedeutet, ist offenbar in Vergessenheit geraten. Der Versuch, in der Öffentlichkeit umstrittene Äußerungen oder Verhaltensweisen von Muslimen zu erklären, wird als Zustimmung gewertet. Die neutrale Darstellung von religiösen, sozialen oder wirtschaftlichen Sachverhalten im Bezug auf Muslime wird als "Schönreden" beschrieben.

Die Fähigkeit zur Differenzierung, ja selbst zum genauen Hinhören geht mehr und mehr verloren. Zumindest in Bezug auf den Islam befinden wir uns in Deutschland in einem Kulturkampf. Da braucht man einfache Bilder, Feindbilder. Und das gilt für beide Seiten. Man fragt sich, ob die Milliarden-Summen, die in den "Kampf gegen den internationalen Terrorismus" investiert werden, nicht effektiver für die Integration der Muslime in die deutsche Mehrheitsgesellschaft und die Integration in die internationale Staatengemeinschaft aufgewandt würden.