Interview

Heidemarie Wieczorek-Zeul im Interview "Die Industrieländer müssen vorangehen"

Stand: 27.08.2007 16:34 Uhr

Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe ist gemeinsam mit Bundesumweltminister Jürgen Trittin Gastgeberin der Internationalen Konferenz "Renewables 2004". tagesschau.de sprach mit ihr über die Ziele des Gipfels und das deutsche Engagement für Entwicklung im Energie-Sektor.

tagesschau.de: Erneuerbare Energien werden landläufig meist mit der Umwelt- oder Wirtschaftspolitik in Verbindung gebracht, weniger mit Ihrem Ressort. Was haben sie mit Entwicklungspolitik zu tun?

Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul: Sie sind aufs Engste verknüpft, denn zwei Milliarden Menschen, ein Drittel der Weltbevölkerung, haben keinen Zugang zu einer modernen Energieversorgung. Und wenn wir den Anteil von Menschen, die in absoluter Armut leben, bis zum Jahr 2015 mindestens halbieren wollen, dann lautet die Frage: Wie können wir einen solchen Zugang schaffen? Da liegt es im Interesse dieser Menschen, aber auch in unserem Interesse, dass das mit Hilfe von Energien geschieht, die das Klima wenig belasten und die im Übrigen die hohen Ölkosten der Entwicklungsländer reduzieren. Diese zusätzlichen Kosten allein betragen etwa 60 Milliarden US-Dollar im Jahr. Und wenn sie gesenkt werden, dann können diese Länder auch für Bildung, Gesundheit und anderes mehr Finanzmittel einsetzen.

tagesschau.de: Ziel der "Renewables2004" ist es, einen Impuls auszulösen, der den Einsatz erneuerbarer Energien weltweit stärker voran bringt. Wodurch soll das gelingen?

Wieczorek-Zeul: Durch drei Elemente: Das erste ist eine politische Erklärung, in der sich die Unterzeichnenden zu einer deutlichen Steigerung in den Bereichen "Erneuerbare Energien" und "Energieeffizienz" verpflichten. Dafür haben bereits mehr als 100 Regierungen ihre Unterstützung zugesagt. Das Zweite: Alle teilnehmenden Länder und auch die internationalen Institutionen wie die Weltbank sollen eigene Aktionspläne entwickeln und vorlegen. Dabei hoffe ich auf einen positiven Wettbewerb, wie man ihn sonst nur von Geberkonferenzen kennt. Und schließlich setzen wir auf die Wirkung gemeinsamer Empfehlungen für eine verantwortliche Politik. Diese Empfehlungen könnten beispielsweise beinhalten, die hohen Subventionen für andere Energien zu reduzieren, damit die Erneuerbaren überhaupt gleiche Wettbewerbsbedingungen vorfinden.

Netzwerke, Folgekonferenzen und Eigeninteresse

tagesschau.de: Bei dieser Konferenz wird auf Freiwilligkeit gesetzt. Damit soll verhindert werden, dass wie im Fall des Kyoto-Klima-Protokolls einzelne Staaten als "Bremser" wirken können. Wie soll gewährleistet werden, dass die angestrebten Selbstverpflichtungen auch umgesetzt werden?

Wieczorek-Zeul: Mir schwebt vor, dass wir über die Konferenzdauer hinaus ein Minister-Netzwerk behalten, das die Kommunikation sicherstellt und die strategischen Planungen miteinander verbindet. Darüber hinaus sollte in einem oder zwei Jahren eine Folgekonferenz stattfinden, auf der das Vorgehen der Länder überprüft werden kann. Eine weitere Überprüfung wird das zuständige Gremium der Vereinten Nationen, die Kommission für nachhaltige Entwicklung, vornehmen. Ich setze im Übrigen auch auf das aufgeklärte Eigeninteresse aller Beteiligten, denn ich bin es allmählich Leid, dass man immer, wenn der Ölpreis steigt, davon redet, dass wir unabhängiger vom Öl werden müssen, aber die praktischen Konsequenzen doch nie gezogen werden. Wer der Meinung ist, dass man sich nicht von einer instabilen Region wie dem Nahen Osten abhängig machen kann, der sollte dafür sorgen, dass es eine Diversifizierung der Energien gibt.

tagesschau.de: Wie sorgt die deutsche Entwicklungspolitik dafür?

Wieczorek-Zeul: Es laufen bereits 157 Projekte im Bereich erneuerbare Energien und Effizienzsteigerung, die Teil der Länderprogramme sind. Zum Zweiten hat der Bundeskanzler im Jahr 2002 zugesagt, dass für die Jahre 2003 bis 2007 sowohl erneuerbare Energien als auch Energieeffizienz mit je 500 Millionen Euro gefördert werden. Und auf der Konferenz selbst werden wir weitere Vorhaben nennen. Darunter ist beispielsweise die starke Förderung der Geothermie, also der Energiegewinnung durch Erdwärme. Das ist für viele Regionen ein Bereich mit hohem Potenzial. Darunter wird außerdem ein Fonds für kleine und mittlere Unternehmen im südlichen Afrika sein, sowie eine gemeinsame Initiative mit der Interamerikanischen Entwicklungsbank. Ein viertes Beispiel ist eine französisch-deutsch-afghanische Initiative für nachhaltige Energieversorgung in Afghanistan.

Skepsis bei Entwicklungsländern

tagesschau.de: Wie ist die Resonanz in den Entwicklungsländern? Favorisieren viele nicht eher konventionelle fossile Brennstoffe?

Wieczorek-Zeul: In manchen Ländern gibt es noch immer Skepsis. Die Partnerländer, die im Bereich der Erneuerbaren engagiert sind, sagen uns aber alle, dass durch die Nutzung erneuerbarer Energien konkrete und qualifizierte Arbeitsplätze entstehen. Und auch das bedeutet Armutsbekämpfung. Es ist deshalb ganz besonders wichtig, dass die Industrieländer auf diesem Feld glaubwürdig vorangehen. Anders ist es schwer, zu verlangen, dass die Entwicklungsländer auf diese Energien setzen.

tagesschau.de: Was tut Deutschland für diese Glaubwürdigkeit?

Wieczorek-Zeul: Zum Beispiel organisieren wir diese Konferenz. Wir bemühen uns, all diese Teilnehmer und Teilnehmerinnen zusammenzuholen und damit einen Impuls für regional verbindliche Verabredungen zu treffen. Und im Übrigen haben wir uns hohes Ansehen mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz verschafft, das der Bundestag beschlossen hat. Das wird international als beispielhaft betrachtet. Umso bedauerlicher ist es, dass der Bundesrat mit seiner CDU/CSU-Mehrheit dieses Gesetz aufgehalten hat, auch wenn er es nicht verhindern kann.

tagesschau.de: Aber zeigt nicht gerade der Streit um das Erneuerbare-Energien-Gesetz, dass es schwieriger wird, die deutsche Vorreiterrolle in diesem Bereich politisch durchzusetzen, weil die Erneuerbaren als Luxus wahrgenommen werden, den man sich nur in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität erlauben sollte?

Wieczorek-Zeul: Nein. Das ist vielleicht die Meinung von manchen, die - sagen wir mal - etwas mehr Zugang zu "Lautsprechern" haben. Umfragen zeigen aber, dass etwa 70 Prozent der Bevölkerung gegenteiliger Ansicht sind: Sie setzen ihre Hoffnungen in den Ausbau erneuerbarer Energien, die ja auch bei uns zukunftsfähige Arbeitsplätze schaffen.

Das Gespräch führte Antje Matthies, tagesschau.de