Interview

Interview mit Politikwissenschaftler von Alemann "Basis wird sich fragen: Haben wir das gewollt?"

Stand: 27.08.2007 23:41 Uhr

Mit seinem Rückzug von der SPD-Spitze hat Kanzler Schröder heute ein politisches Beben ausgelöst. Wohl kaum jemand hatte damit gerechnet. Warum schwächt sich der Kanzler selbst? Was wird das an der Basis auslösen? Und wie ist der Rücktritt von Olaf Scholz zu bewerten? tagesschau.de sprach darüber mit dem Düsseldorfer Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann.

tagesschau.de: Überrascht Sie der Rückzug Schröders von der SPD-Spitze?

Ulrich von Alemann: Selbstverständlich überrascht mich das, das überrascht alle. Es ist vorher ja wirklich nichts an die Öffentlichkeit gedrungen. Müntefering und Schröder haben auf der Pressekonferenz gesagt, sie hätten das bereits seit Januar diskutiert. Und Schröder hat sich diebisch gefreut, dass keiner der Journalisten ihm auf die Schliche gekommen ist. Es ist auch eine Überraschung, weil es eine freiwillige Schwächung seiner eigenen Position ist. Und es ist schon relativ selten, dass ein Spitzenpolitiker ein so wichtiges Amt abgibt.

tagesschau.de: Warum tut er das?

von Alemann: Er tut es offensichtlich, weil er eingesehen hat, dass er der Doppelbelastung nicht ganz gewachsen ist, um optimale Ergebnisse zu erzielen. In gewisser Weise hat er die Stärke, sich selbst zu schwächen. Allerdings um damit wiederum seine gesamte Politik, die der Partei und die der Regierung, zu stärken. Natürlich ist er als Persönlichkeit geschwächt, wenn er nur dieses eine Amt hat. Aber er nimmt es offensichtlich in Kauf, weil seine Lage zunehmend prekär wird.

tagesschau.de: Was, glauben Sie, wird dieser Schritt bei der Basis bewirken?

von Alemann: Ich glaube, er wird große Betroffenheit auslösen. Man wird sich fragen: Haben wir das wirklich gewollt? War die Situation wirklich so schwer, dass der Parteichef zurücktreten muss? Ich glaube, der Rücktritt und die Nominierung von Müntefering werden ein gewisses Umdenken in der SPD bewirken.

tagesschau.de: Franz Müntefering soll nun übernehmen. Welches Signal wird damit ausgesendet?

von Alemann: Dass es Kontinuität gibt in der Politik – aber mit mehr Herz und mit mehr Gefühl. Denn Müntefering kennt die Seele der Partei, er kann sie begeistern – das hat er auf dem letzten Parteitag erst wieder demonstriert. Eigentlich ist das unerklärlich, weil er in den politischen Positionen absolut loyal ist zu seinem Kanzler. Trotzdem wird ihm viel mehr Vertrauen in seiner Partei entgegengebracht als Schröder.

tagesschau.de: Fast in einem Nebensatz wurde auch der Rücktritt von Olaf Scholz verkündet. Was sagen Sie dazu?

von Alemann: Als ich heute Vormittag hörte, dass Schröder zurücktreten wird, war mir sofort klar, dass das auch den Rücktritt von Scholz bedeuten würde. Als Generalsekretär ist er für das, was Schröder in der Pressekonferenz "das Vermittlungsproblem" nannte, voll und hauptverantwortlich. Er hat die Politik der Regierung in der Partei zu vermitteln – das ist ihm nicht gelungen. Die Partei steht bei 24 Prozent. Wenn die Lage so ernst ist, dass der Parteivorsitzende glaubt, zurücktreten zu müssen, ist es selbstverständlich, dass auch der Generalsekretär ebenfalls abtritt. Das hat er konsequenterweise getan.

Das Interview führte Andrea Krüger, tagesschau.de