Debatte um Klar-Begnadigung "Deutsche Seele hat die RAF noch nicht überwunden"
Kein Fall eines ehemaligen RAF-Terroristen hat die öffentliche Meinung so erregt wie die Debatte um die Begnadigung von Christian Klar. "Die deutsche Seele hat die RAF noch nicht überwunden", erklärt der Jurist und RAF-Experte Butz Peters gegenüber tagesschau.de.
Kein Fall eines ehemaligen RAF-Terroristen hat die öffentliche Meinung so erregt wie die Debatte um die Begnadigung von Christian Klar. "Die deutsche Seele hat die RAF noch nicht überwunden", erklärt der Jurist und RAF-Experte Butz Peters.
tagesschau.de: Bundespräsident Horst Köhler hat das Gnadengesuch von Ex-RAF-Terrorist Christian Klar abgelehnt. Wie beurteilen Sie diese Entscheidung?
Butz Peters: Der Bundespräsident hat sich in dieser Frage ein umfangreiches Bild gemacht. Er hat mit Herrn Klar gesprochen, er hat die Generalbundesanwältin angehört, das seinerzeit urteilende Gericht. Er hat alles getan, was man von ihm erwarten kann. Es gibt ja keine Regularien für das Zustandekommen der Gnadenentscheidung.
tagesschau.de: Könnte Ihrer Ansicht nach der politische Druck, der von einigen Seiten auf den Bundespräsidenten ausgeübt worden ist, seine Entscheidung beeinflusst haben?
Peters: Ich möchte die aktuelle Politik nicht kommentieren. Aus juristischer Sicht kann ich dazu nur sagen: Aus Artikel 60 unseres Grundgesetzes ergibt sich, dass der Bundespräsident das Gnadenrecht des Bundes in „freiem politischen Ermessen“ ausübt. Wenn die Verfassung dem Bundespräsidenten diesen weiten Entscheidungsspielraum einräumt, dann sollte man ihm da auch nicht reinreden.
RAF brachte den Staat an den Abgrund des Wahnsinns
tagesschau.de: Warum kocht die Debatte gerade jetzt so hoch?
Peters: Die RAF schien viele Jahre fast vergessen zu sein, nachdem sie sich vor fast einem Jahrzehnt aufgelöst hat. Aber in diesem Jahr, 30 Jahre nach dem "Deutschen Herbst", wird offenbar, dass die deutsche Seele die Rote Armee Fraktion noch nicht richtig verwunden hat. Es war ja damals eine absolute Ausnahmesituation in der Geschichte dieser Republik, dass eine Handvoll Terroristen den Staat erpresste und diese Gruppe nicht zu fassen war. Der Staat wurde damals fast an den Abgrund des Wahnsinns getrieben.
Im Januar 2007 hat dann die Boulevardpresse angefangen zu spekulieren, ob es richtig sei, dass man Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar vorzeitig aus der Haft entlässt. Viele andere Medien sind darauf eingestiegen, und jetzt ist die RAF ein dominierendes Thema.
"Die letzten beißen die Hunde"
tagesschau.de: Auch in der Vergangenheit haben Bundespräsidenten schon ehemalige RAF-Mitglieder begnadigt, ohne dass es einen großen Widerhall in der Öffentlichkeit gab.
Peters: Es wurden insgesamt acht ehemalige RAF-Mitglieder von Bundespräsidenten begnadigt . Das waren damals immer nur ganz kleine Zeitungsmeldungen in der "taz" und der "Frankfurter Rundschau". Ich bin selbst überrascht, dass es jetzt so ein großes Thema ist. Von den 18 ehemaligen RAF-Mitgliedern der zweiten "Generation“, die wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden sind, waren Anfang des Jahres 16 wieder frei - bis auf Klar und Mohnhaupt. Dann brach die Debatte wieder los. Man kann auch sagen: Die letzten beißen die Hunde.
tagesschau.de: Liegt es vielleicht an der Persönlichkeit Klars? Weil er keine Reue gezeigt hat?
Peters: Bei Christian Klar kommt schon einiges zusammen. Er war einer derjenigen, die am aktivsten waren, was das Morden anbelangt. Er ist wegen neun Morden und elf Mordversuchen verurteilt worden. Aber im Gnaden- und im Vollstreckungsrecht zählt dieses Argument nicht, wenn es um die vorzeitige Begnadigung geht. Aus dem Urteil ergab sich eine besondere Schwere der Schuld. Es wäre eine unzulässige "Doppelverwertung“, wenn diese Aspekte nun auch bei der vorzeitigen Begnadigung berücksichtigt würden. Denn das Strafgesetzbuch gilt für alle – es gibt keine Sondervorschriften für einstige Terroristen.
"Reue verlangt das Gesetz nicht"
tagesschau.de: Wie entscheidend ist denn der Aspekt der Reue?
Peters: Da muss man differenzieren: Wenn die Mindestvollstreckungsdauer einer lebenslangen Strafe vorbei ist - wie bei Frau Mohnhaupt - dann stellt sich für die Richter nur noch die Frage, ob bei dieser Person ein Sicherheitsrisiko besteht, also ob sie wieder rückfällig werden könnte. Reue verlangt das Gesetz nicht.
Bei einem Gnadengesuch wie im Falle Klar ist es dem Bundespräsidenten natürlich unbenommen, auch diesen Aspekt mit in die Waagschale zu werfen. Vom Gesetz als solches ist er aber nicht gefordert. In der Vergangenheit sind auch Mitglieder der RAF entlassen worden, die keine Reue gezeigt, sondern nur erklärt haben, dass sie nicht zum bewaffneten Kampf zurückkehren werden.
tagesschau.de: Glauben Sie, dass mit der Entscheidung Köhlers die RAF-Debatte in Deutschland weitgehend abgeschlossen ist?
Peters: Nein, das glaube ich nicht. Es gibt es ja noch einige unaufgeklärte Punkte. Beispielsweise wer beim Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback den Fluchtwagen besorgt hat oder wer Hanns-Martin Schleyer ermordet hat. Ich glaube, die RAF wird uns noch viele, viele Jahre begleiten.
Die Fragen stellte Carolin Ströbele, tagesschau.de