Interview

Interview mit Grünen-Innenexperte Wieland "Online-Durchsuchungen braucht man nicht"

Stand: 22.10.2015 12:52 Uhr

Kommt die Online-Durchsuchung beim Terrorismusverdacht, kommt sie später auch bei anderen Ermittlungen. Davon zeigt sich der Grünen-Innenexperte Wolfgang Wieland im tagesschau.de-Interview überzeugt. Rund ein Dutzend Mal wurden nach Angaben des Innenministeriums seit 2005 Privatcomputer heimlich durchsucht.

Kommt die Online-Durchsuchung beim Terrorismusverdacht, kommt sie später auch bei anderen Ermittlungen. Davon zeigt sich der Grünen-Innenexperte Wolfgang Wieland im tagesschau.de-Interview überzeugt. Die Grünen lehnen Online-Durchsuchungen daher grundsätzlich ab. Schäubles Rechtsauffassung bei der Online-Durchsuchung ist für Wieland "schizophren".

tagesschau.de: Rund ein Dutzend Online-Durchsuchungen gab es laut Bundesinnenministerium seit 2005. Da saßen die Grünen noch in der Regierung. Kann ein SPD-Innenminister Online-Durchsuchungen anordnen, ohne dass es der Koalitionspartner mitbekommt?

Wolfgang Wieland: Ganz offensichtlich. Man hat nur das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) informiert – mit einer sehr harmlos klingenden Bezeichnung zur Verbesserung der Überwachung des Internets. Unser Mitglied im PKG, Hans-Christian Ströbele, ging mitnichten davon aus, dass es sich um staatliches Hacken handelt.

tagesschau.de: Also muss man im PKG misstrauischer gegenüber allem sein, was von der Regierung kommt?

Wieland: Ströbele ist an Misstrauen bestimmt nicht zu überbieten. Wir haben im Innenausschuss im September etwas Ähnliches erlebt. Wegen der Kölner Kofferbomber wurde im Haushalt 2007 ein Programm Innere Sicherheit aufgelegt. Da ging es um die Ferndurchsuchung von Computern. Darunter habe ich mir auch erst nicht staatliches Hacken vorgestellt. Nach einer Serie von Nachfragen haben wir endlich diese Woche erfahren, dass es Online-Durchsuchungen auch auf geheimdienstlicher Ebene gab. Das Ganze ist nie in der notwendigen Klarheit dem Parlament unterbreitet worden. Es wurde niemals gesagt: Wir wollen in die Festplatten rein, und zwar so, dass man es nicht merkt.

tagesschau.de: Otto Schily ist Jurist. Hätte er nicht wissen müssen, dass sich die Online-Durchsuchungen zumindest in einer rechtlichen Grauzone bewegen?

Wieland: Ja, hätte er.

tagesschau.de: Wolfgang Schäuble ist auch Jurist. Und es gab bereits ein Urteil, das Online-Durchsuchungen verworfen hat. Diese Ermittlungspraxis hat erst erst jetzt gestoppt. Hält sich der Innenminister nicht an Recht und Gesetz?

Wieland: Für Schäuble gibt es zwei völlig getrennte Schubladen: Auf der einen Seite das Vorgehen nach der Strafprozessordnung, dort gilt die Unschuldsvermutung. Auf der anderen Seite der Bereich Gefahrenabwehr der Polizei und der Nachrichtendienste. Da gilt für ihn sozusagen Freistilringen. In dieser Art Schizophrenie wird er keine Skrupel gehabt haben, zu sagen: Mir wurde es zwar bei der Strafverfolgung verboten, aber das heißt noch lange nicht, dass es meine Nachrichtendienste nicht tun sollen.

tagesschau.de: Jetzt kommt der dritte Jurist ins Spiel, nämlich Sie: Diese Trennung zwischen Ermittlungen nach einer Straftat und vor einer Straftat können Sie also nicht nachvollziehen?

Wieland: So sicher nicht. Auch in dem Gefahrenabwehrbereich gelten Recht und Gesetz. Jeder Eingriff in die Rechtssphäre des Bürgers bedarf einer klaren rechtlichen Grundlage. Man kann nicht sagen, man darf nachrichtendienstliche Mittel anwenden und das Nähere regelt der Innenminister durch Dienstanweisung - und die bleibt geheim.

tagesschau.de: Das Grundgesetz schützt die Unverletzlichkeit der Wohnung. Fällt darunter auch der Laptop im Park?

Wieland: Der Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche sagte im Innenausschuss, Artikel 13 – die Unverletzlichkeit der Wohnung - brauche uns nicht zu kümmern, denn Laptops könne man ja überall benutzen. Das war eine der dümmsten, pennälerhaftesten Ausreden, die ich im politischen Bereich je gehört habe. Wäre das richtig, könnte man jederzeit Akten ohne richterliche Durchsuchung in einem Büro mit der Begründung beschlagnahmen, diese würden ja auch manchmal mit in den Zug genommen - daher gelte nicht der Schutz des Wohn- bzw. Bürogebäudes. Genauso hanebüchen war die Begründung, warum Artikel 10 - der Schutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses - nicht berührt werde. Da wurde allen Ernstes gesagt, dadurch würde nur die laufende Kommunikation geschützt . Artikel 10 schützt aber auch den Inhalt.

tagesschau.de: Online-Durchsuchungen wurden offenbar ausschließlich im Bereich Terrorismus oder anderer schwerer Vergehen eingesetzt. Warum soll man den Ermittlern das verwehren?

Wieland: Weil unsere Erfahrung ist, dass alles was im Bereich Terrorismus begonnen wurde, in relativ kurzer Zeit auf weitere Felder ausgeweitet wurde. Als nächstes kommt immer der Bereich Organisierte Kriminalität. Da widerspricht man ja nicht gerne. Dann kommt Kinderpornografie, dann kommt Pornografie insgesamt. Niemand kann guten Gewissens sagen, dass es erstmalig auf Terrorismus beschränkt bliebe.

tagesschau.de: Können Sie sich eine Regelung vorstellen, bei der die Grünen Online-Durchsuchungen zustimmen?

Wieland: Nein. Man braucht das nicht. Wir sehen auch keine Sicherheitslücke. Wir gehen auch davon aus, dass das noch nie richtig geklappt hat. Es gab technische Schwierigkeiten. Das Einschleusen hat nicht geklappt und gerade die gefährliche Szene wird Wege finden, sich vor Bundestrojanern zu schützen.

Das Interview führte Wolfram Leytz, tagesschau.de