Interview

Interview zur Videoüberwachung in Deutschland "Das Problem ist: Wer ist verdächtig, wer nicht?"

Stand: 25.08.2007 09:41 Uhr

Überwachungskameras auf Bahnhöfen haben geholfen, die mutmaßlichen Kofferbomben-Attentäter zu fassen. Videoüberwachung verhindert aber nur Straftaten, wenn sie sinnvoll und zusammen mit Überwachungspersonal eingesetzt wird, wie der Berliner Experte Leon Hempel vom Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen Universität im tagesschau.de-Interview erklärt. Und: Für jeden Einsatz braucht es ein genaues Konzept.

tagesschau.de: Macht Videoüberwachung zur Verhinderung von Straftaten überall Sinn?

Leon Hempel: Es gibt genügend Studien, die zeigen, dass Überwachung nur an Orten abschreckend wirkt, die übersichtlich und in der Regel auch abgeschlossen sind. Zum Beispiel Parkplätze, dort erreicht man auch einen nachweisbaren Rückgang der Kriminalität. Dabei handelt es sich aber auch um bestimmte, in erster Linie geplante Delikte.

tagesschau.de: Mehr Kameras bedeuten also nicht automatisch auch mehr Sicherheit?

Hempel: Nein. Das ist stark von den Räumen und der eingesetzten Technik abhängig. Dazu kommen organisatorische Voraussetzungen. Etwa, welche Eingriffszeiten es gibt. Außerdem hängt es von der Frage ab, welche Taten dort verübt werden können. Die Tätergruppe der Terroristen kann man in keiner Weise mit anderen Straftätern vergleichen.

tagesschau.de: Videoüberwachung kann bedeuten, dass ein Mensch das Geschehen beobachtet oder nur Bilder aufgezeichnet werden. Welchen Unterschied macht das?

Hempel: Das kann man nicht pauschal beantworten. Man muss für jeden einzelnen Fall ein eigenes „Design“ schaffen. „Die“ Videoüberwachung existiert nicht. Nur weil es am Münchner Flughafen Erfolge gibt, kann man nicht sagen, wir machen das jetzt in der Berliner U-Bahn und das wird ebenfalls Erfolg haben.

tagesschau.de: Sind Kameras für Täter, die äußerlich unauffällig bleiben oder sich gut tarnen, überhaupt ein Problem?

Hempel: Die Perspektiven der Täter sind sehr interessant, obwohl sie kaum untersucht werden. Im Grund gibt es zwei Haltungen. Einerseits Kameras vollständig zu ignorieren. Andererseits gibt es doch eine große Kenntnis, wo sich Kameras befinden und wie man sich angesichts dieser verhält. Täterbefragungen zeigen aber auch, dass für sie Videoüberwachung nicht so negativ ist, wie man annehmen möchte. Es gab auch Täter, die sich sicherer fühlten. Beispielsweise bei der Drogenkriminalität, wo sie im Schatten der Kamera agierten und gleichzeitig die Kamera zum Schutz für sich nutzten. In Oslo wollte man an einem Bahnhof die Drogenszene beobachten und gleichzeitig die Prostituierten dort verdrängen. Gerade diese suchten aber den Schutz der Kameras.

tagesschau.de: Ist es das Geld wert, wenn man Videoüberwachung ausweitet?

Hempel: Es muss auf jeden Fall umfassendere Konzepte geben. Gerade mit Blick auf das Geld braucht man eine sehr gute Organisation. Sonst wird man sehr viele Kameras haben, die werden aber maximal anzeigen, dass es sich bei den überwachten Räumen um gefährliche Orte handelt. Wenn die Überwachung aufgrund mangelnden Personals nicht organisiert ist, versanden die Gelder.

tagesschau.de: Was bedeutet es, wenn künftig mit elektronischer Bildauswertung gearbeitet wird – und funktioniert das überhaupt?

Hempel: Nach meinem Stand ist die elektronische Bildauswertung noch nicht so weit. Das gilt gerade für stark frequentierte Orte. Bilderkennung kann etwa bei der Beladung von Flugzeugen Objekte finden, die nicht ins Schema passen. Aber bei Menschen und vor allem bei Menschenmassen ist das noch nicht machbar.

tagesschau.de: Aber das wird verstärkt kommen.

Hempel: Sicher wird man sich bemühen, die Auswertung zu automatisieren. Es gibt genug Beispiele, dass die immense Flut von Bildmaterial mit Menschen nicht zu bewältigen ist. Es gibt automatische Nummernschild-Erkennung und die funktioniert teilweise auch. Bei der Verkehrsüberwachung in London sitzen aber trotz allem Leute dahinter. Vollautomatisiert läuft das noch nicht, selbst in so einem vergleichsweise einfachen Fall.

Verhalten zu erkennen, ist eine ganz andere Sache. Man muss viel mehr auf das Problem hinweisen: Wer ist verdächtig und wer nicht? Diese Kategorien spielen ja auch für Streifenbeamte eine große Rolle. Die haben allerdings andere Erfahrungswerte und auch einen anderen Zugang, wenn sie vor Ort sind.

Wenn Sie vor einem Monitor sitzen, haben Sie nur reduzierte Informationen. Studien von Transport of London auf den U-Bahnhöfen haben ergeben, dass es immer darauf ankommt, dass Personal vor Ort ist. Die Interaktion zwischen dem kontrollierten Raum und dem Kontroll-Raum ist ein ganz wichtiger Aspekt.

Leon Hempel forscht am Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin. Er initiierte unter anderem das Projekturbaneye.

Das Interview führte Wolfram Leytz, tagesschau.de