Melnyks Abberufung Der Spiegelvorhalter wird fehlen
Eben weil der ukrainische Botschafter Melnyk mit seiner Kritik an der deutschen Russland-Politik meist richtig lag, war er im politischen Berlin so unbeliebt. Er wird deshalb, trotz eines schweren Fehlers, fehlen.
Es gibt manchmal nichts Schlimmeres, als dem eigenen Spiegelbild in die Augen sehen zu müssen. Genau deshalb war Andrij Melnyk für die Berliner Politik so unbequem: Er war der Spiegelhalter, der die Bundesregierung - und nicht nur die aktuelle - dazu zwang, sich mit sich selbst und den Fehlern ihrer Russland-Politik auseinanderzusetzen.
Es war Andrij Melnyk, der die von Angela Merkel geführte Große Koalition ebenso beständig wie vergeblich vor der Ostseepipeline Nord Stream 2 warnte.
Es war Andrij Melnyk, der die Sozialdemokraten an die historischen Irrtümer ihrer russlandfreundlichen Politik erinnerte.
Es war Andrij Melnyk, der nach dem Beginn von Putins Angriffskrieg die Ampel und auch den Bundeskanzler heftig dafür kritisierte, wie zögerlich die sein angegriffenes Land mit schweren Waffen versorgten. Der so undiplomatische Diplomat vergriff sich dabei bisweilen im Ton - doch in der Sache hatte er meist recht.
Bandera - der schwere Fehler
In einer Hinsicht jedoch lag Melnyk völlig daneben: Dass er im Interview mit dem Journalisten Tilo Jung den ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera reinzuwaschen versuchte, war ein schwerer Fehler.
Bandera hatte nicht nur mit den Nazis zusammengearbeitet, dessen Partisanen trugen eine Mitverantwortung für den Massenmord an Polen und Juden im Zweiten Weltkrieg.
Es war richtig, dass sich das ukrainische Außenministerium hier schnell von einem seiner wichtigsten Diplomaten distanzierte. Doch der Schaden war damit schon angerichtet: Schien Melnyk doch das von der Kreml-Propaganda gern - und zu Unrecht - verbreitete Bild zu bestätigen, die Ukraine gehe zu unkritisch mit ihren Ultranationalisten um. Damit machte es der 46-Jährige seinem Ministerium praktisch unmöglich, ihn auf seinem so wichtigen, deutschen Posten zu halten. Selbst wenn es das gewollt hätte.
Kein Anlass für Häme und Schadenfreude
Für irgendwie geartete und in sozialen Medien nun tausendfach geäußerte Häme oder Schadenfreude über den Weggang Melnyks besteht jedoch nicht der geringste Anlass.
Dass sich Teile der deutschen Politik, aber auch der Medienlandschaft seit Kriegsbeginn mit weit größerer Hingabe am ukrainischen Botschafter und dessen Stil abarbeiteten, als an der eigenen Haltung gegenüber Russland, war ebenso verräterisch wie erschreckend.
Wer will ihm das verübeln?
Dabei wurde zeitweise völlig ausgeblendet, dass es die Melnyk-Kritiker hier mit einem Mann zu tun hatten, dessen Heimat die Vernichtung droht, dessen Land Russlands Präsident Putin das Existenzrecht abspricht, dessen Bevölkerung täglich Opfer brutalster Kriegsverbrechen wird.
Wer also wollte dem Diplomaten verübeln, dass er hier mit allen - verbalen - Mitteln, sein Land zu retten versucht?
Dass viele hierzulande sich mehr über jenen Mann aufregten, der ihnen den Spiegel vorhielt, als über sich selbst, sagt jedenfalls mehr über Deutschland als über Andrij Melnyk. Der wird - als ebendieser Spiegelvorhalter - fehlen, trotz seiner Fehler.
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