Reform des Mordparagrafen Entnazifizierung im Strafgesetzbuch
Welche Strafe soll ein Täter bekommen, der einen anderen Menschen getötet hat? Auf diese Frage gibt es im deutschen Strafgesetzbuch zwar eine Antwort, sie ist aber alles andere als zeitgemäß. Die entsprechenden Regelungen stammen aus dem Jahr 1941 und sollen nach dem Willen des Bundesjustizministers grundlegend reformiert - manche sagen "entnazifiziert" - werden.
Welche Regelung gilt bislang?
Wenn ein Gericht entscheiden muss, wie hoch das Strafmaß im Falle eines Tötungsdeliktes ausfallen soll, muss es vorab klären: Können dem Täter bestimmte Mordmerkmale nachgewiesen werden - etwa Heimtücke, Grausamkeit oder Habgier? Falls ja, handelt es sich um Mord. Das Strafgesetzbuch sieht dann eine lebenslange Freiheitsstrafe vor. Können dem Täter diese Merkmale nicht nachgewiesen werden, so ist nicht von Mord, sondern von Totschlag die Rede. Ein Beispiel dafür ist die Tötung im Affekt. Das Strafmaß liegt dann in der Regel zwischen mindestens fünf Jahren und lebenslanger Freiheitsstrafe.
Warum ist die bisherige Regelung umstritten?
Die einzelnen Mordmerkmale wie Heimtücke seien von völkischen Vorstellungen geprägt, sagt Stefan König vom Deutschen Anwaltsverein gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio, "vom Bild des mit offenem Visier kämpfenden Mannes und dem Gegenbild des hinterhältigen (Unter)Menschen". Auch wenn es der Rechtsprechung in den vergangenen Jahrzehnten zweifellos gelungen sei, die Anwendung der Norm rechtsstaatlichen Erfordernissen anzupassen, "ist es doch ein schier unerträglicher Zustand im Kernbereich des Strafrechts mit Normen zu operieren, die nur mit allerlei Verbiegungen in einigermaßen akzeptabler Weise angewendet werden können", so König.
Auch Justizminister Heiko Maas sprach bei einer Veranstaltung zu diesem Thema vor wenigen Wochen von einem "Konstruktionsfehler des Mordparagrafen“, der dringend beseitigt werden müsse. Der entscheidende Punkt für ihn: Die Strafe müsse an der Tat anknüpfen, nicht am Täter. Die Befürchtung vieler Juristen: Die bisherigen Regelungen könnten zu ungerechten Ergebnissen führen. Der Deutsche Anwaltsverein hält diese Gefahr sogar für "erheblich".
Wie wird der Mordparagraf angewandt?
Warum der Mordparagraf bei seiner Anwendung zu ungerechten Ergebnissen führen könnte und wie die deutschen Gerichte versuchen, dies zu vermeiden, zeigt nach Ansicht des DAV der sogenannte "Haustyrannen-Fall". Eine Angeklagte hatte ihren schlafenden Ehemann erschossen, nachdem er sie über viele Jahre hinweg durch zunehmend aggressivere Gewalttätigkeiten und Beleidigungen immer wieder erheblich verletzt und gedemütigt hatte. Sie wurde wegen Mordes verurteilt. Soll heißen: Der gepeinigten Frau, die ihren prügelnden Ehemann tötet, kann Heimtücke nachgewiesen werden. Deshalb wird sie wegen Mordes veruteilt.
Im besagten Haustyrannen-Fall wurde die Frau aber nicht zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Das zuständige Landgericht und der Bundesgerichtshof fanden "unterschiedliche Auswege aus dem Dilemma der absolut angedrohten lebenslangen Freiheitsstrafe", so König. Das Ungewöhnliche an diesem Fall: "Hätte der Mann es vorher 'geschafft', seine Frau nicht nur zu verprügeln, sondern dabei noch umzubringen, wäre er voraussichtlich nur wegen Totschlags verurteilt worden." Er hätte also ein milderes Urteil bekommen als die Frau.
Dass die Gerichte Wege und Möglichkeiten finden müssen, den Mordparagrafen immer wieder neu auszulegen, ist nach Ansicht des DAV keine Lösung. "Die erfolgte Ausdifferenzierung hat die Norm völlig unübersichtlich, ihre Anwendung widersprüchlich und bisweilen schwer kalkulierbar gemacht", so König gegenüber dem ARD Hauptstadtstudio.
Welche neuen Vorschläge für eine Reform gibt es?
Eine Forderung lautet: Abkehr vom Mordparagrafen! Statt der Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag fordert der DAV "einen einheitlichen Tötungsparagrafen" im Strafgesetzbuch. Die Strafandrohung solle fünf bis 15 Jahre oder lebenslange Freiheitsstrafe betragen.
Welche Bedenken gibt es gegen eine Reform?
Während die Rechtsanwälte also eine Art Vereinfachung fordern, sehen Richter und Staatsanwälte zumindest noch viele offene Fragen. So gilt zum Beispiel bislang die Regel: Mord verjährt nicht. Aber was, wenn es keine Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag mehr gibt und nur noch von einem einheitlichen Tötungsparagrafen die Rede ist? Wie soll dann mit der Verjährung umgegangen werden?
Wann wird das Strafgesetz reformiert?
Offene Fragen dieser Art soll nun das Expertengremium klären. 15 Mitglieder - darunter Wissenschaftler, Richter, Anwälte, ein Bundesanwalt und ein Kriminalhauptkommissar - werden ein Jahr lang immer wieder tagen und dabei Vorschläge ausarbeiten.
Der Bundesjustizminister hat sich für die Umsetzung seiner Reform einen engen zeitlichen Rahmen gesetzt. Er will, dass der Bundestag die Neuregelung noch in dieser Legislaturperiode umsetzt. Ab dem Jahr 2017 könnte also mit der Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag im deutschen Strafrecht Schluss - und der Mordparagraf entnazifiziert sein.