Interview

Ex-Funktionär Molau steigt aus "Ich dachte, ich könnte die NPD reformieren"

Stand: 30.07.2012 19:20 Uhr

Der ehemalige NPD-Vordenker Molau ist aus der rechten Szene ausgestiegen. Sorgen um seine Zukunftschancen hätten ihn lange davon abgehalten, sagt er im Interview mit tagesschau.de. Nun gibt er sich erleichert und spricht über die Starrköpfigkeit und die Beratungsresistenz der NPD-Führung.

tagesschau.de: Wie geht es Ihnen nach dem Schritt an die Öffentlichkeit?

Andreas Molau: Ich sitze zwischen allen Fronten. Die einen sagen "Verräter", die anderen sagen, ich meine das sowieso nicht ernst. Eine merkwürdige Situation. Auf jeden Fall bin ich absolut erleichtert. Es ist wahrscheinlich kaum nachzuvollziehen, wie schwer es war, diesen Schritt zu gehen. Jeder, der Fehler einräumen muss, weiß, das ist nicht leicht. Und in meiner politischen Biografie gibt es so viele Dinge, bei denen ich jetzt sagen muss: Das war nicht richtig.

tagesschau.de: Hat Sie diese Aussicht, zwischen allen Stühlen zu sitzen, gebremst bei der Entscheidung, einen Schlussstrich zu ziehen?

Molau: Natürlich. Ich habe angefangen, meinen politischen Weg zu rekapitulieren. Und dabei habe ich festgestellt, dass es einen konkreten Moment gab, als ich fest in der rechten Szene "drin" war - nämlich als ich bei der nationalkonservativen Zeitung "Junge Freiheit" aufgehört hatte und fortan in rechtsextremen Kreisen verkehrte. An dem Punkt weiß man, es gibt kein "Danach" mehr.

Zur Person
Andreas Molau (44) verbrachte mehr als zwei Drittel seines Lebens in extrem rechten Kreisen und galt dort als wichtiger Stratege. Er war Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktionen in Schwerin und Dresden und Mitglied des NPD-Bundesvorstands. Seine rechte Karriere führte ihn zur "Jungen Freiheit", in die Redaktion der NPD-Postille "Deutsche Stimme" und an die Spitze der im rechtsextremen Milieu einflussreichen "Gesellschaft für freie Publizistik". Durch seine öffentliche Kontaktaufnahme zum Verfassungsschutz gilt der Ausstieg des früheren Waldorflehrers aus der Szene als unumkehrbar.

tagesschau.de: Wie reagiert die Szene?

Molau: Ich habe mehrere E-Mails aus der NPD bekommen von Leuten, die schreiben: "Donnerwetter, das war mutig! Wir trauen uns das nicht, weil es kein Danach gibt." Natürlich gibt es auch die Beschimpfungen wie "Verräter!". Spannender ist aber die Frage, kann man nach so einem Schritt eine Perspektive erwarten? Ich bin realistisch - und glaube, das wird sehr schwierig. Doch das hat mich eher angespornt; es gab einen Artikel über mich, in dem stand, ich werde immer in der Szene bleiben, weil mir wirtschaftlich gar nichts anderes übrig bliebe. Das war ein Punkt, an dem ich dachte: Es kann nicht sein, dass ich deshalb Dinge mache, die ich nicht für richtig halte.

tagesschau.de: Sie waren tief "drin" in der Szene, viele Aussteiger berichten von einem längeren Prozess, in dem sie sich distanziert haben. Wie war das bei Ihnen?

Molau: Wenn ich mich an Reden erinnere, die ich gehalten habe - das waren ambivalente Gefühle damals. Ich erinnere mich noch, wie ich bei einer Veranstaltung in Wattenscheid weggefahren bin und absolut unzufrieden mit mir war. Ich wusste, dass ich vor diesen Leuten Dinge von mir gegeben habe, bei denen ich mich politisch und menschlich nicht wohlfühle. Aber man war wie ein Dienstleister, der von einem Auftritt zum nächsten geschickt wurde. Hinterher sagt man, dass hält man doch gar nicht aus. Das denken auch andere Leute in der NPD. Nur sagt man sich dann: Es gibt keine andere Möglichkeit. Oder man redet sich ein: Vielleicht lässt sich so eine Partei doch reformieren.

"Die NPD definiert sich über den Nationalsozialismus"

tagesschau.de: Das klingt so, als seien Sie getrieben worden - aber Sie waren eine Führungskraft.

Molau: So einfach will ich es mir auch nicht machen. Ich verlange auch nicht, dass man das alles versteht, ich verstehe es teilweise selber nicht. Selbstverständlich habe ich ein Weltbild, das geprägt ist von der Lektüre, die ich seit meinem 16. Lebensjahr gelesen habe, also die Texte der konservativen Revolution. Die Fragen von Nation, Identität, Nationalismus, Weltordnung, Ökologie. Ich will mich jetzt nicht als Unpolitischer darstellen, der nicht gewusst hat, was er tut. Natürlich entsprangen meine Schriften meiner politischen Anschauung. Doch ich habe nach und nach gemerkt, dass das im Kern nicht richtig ist.

tagesschau.de: Was meinen Sie konkret?

Molau: Nehmen wir die zentralen rechten Themen Kultur, Nationen und Völker - ich hatte den Fokus darauf gelegt, dass es geschlossene Systeme seien. Ich habe nicht gemerkt, dass diese Systeme aber immer auch offen sind.

tagesschau.de: Kultur und Völker als offene Systeme – für die NPD eigentlich undenkbar. Haben Sie solche Ideen auch geäußert?

Molau: Zeitweise war ich Chefberater der NPD. Da habe ich dem damaligen Parteichef Udo Voigt vorgeschlagen, dass sich die Partei mit der NS-Vergangenheit auseinandersetzen solle. Die NPD könne darstellen, dass sie wirklich modern sei. Ich schlug vor, wir veranstalten eine Pressekonferenz, auf der wir unsere Position zu den nationalsozialistischen Verbrechen erklären. 

tagesschau.de: Warum kommt die NPD nicht weg von dem NS-Bezug? Warum hat Voigt diesen Vorschlag nicht umgesetzt?

Molau: Weil der Nationalsozialismus Kern seiner Anschauung ist. Die Partei definiert sich darüber. Und das Gefühl im rechten Lager sieht so aus: Man identifiziert sich über das "Dritte Reich", weil man das Gefühl hat, eine geschlagene Nation zu sein. Man hat demnach keine Identität und die Deutschen dürfen nicht stolz auf ihr Land sein. Daran schuld sind dieser Denkweise zufolge die bösen Alliierten. Da man angeblich nicht darüber reden darf, ergibt sich die Pflicht, die Geschichte reinzuwaschen, um sein Nationalgefühl zu rechtfertigen. Das hatte ich in meiner Studienzeit genauso empfunden, ich dachte, ich hätte die heilige Pflicht, für ein sauberes Geschichtsbild zu sorgen.

"Ein FDP-Politiker nannte den NPD-Antrag in der Sache respektabel"

tagesschau.de: Bei der NPD haben Sie dann die gezielten Provokationen unterstützt – beispielsweise der Fraktion im Schweriner Landtag.

Molau: Dort hatte ich einen Antrag vorbereitet, mit dem wir provozieren wollten, um die Verbrechen der Roten Armee an den Vertriebenen zu skandalisieren. Ein FDP-Abgeordneter entgegnete auf den Antrag, das sei in der Sache respektabel. Die NPD sei aber unglaubwürdig, weil sie die Würde der anderen NS-Opfer nicht anerkenne, sondern beim Gedenken an diese den Raum verlasse. In der anschließenden Besprechung habe ich gesagt: Dieser Mann hat Recht. Doch eine Fraktion, die sich dermaßen über den historischen Nationalsozialismus definiert, bis in die kleinste Verästelung, die kann das natürlich nicht nachvollziehen.

tagesschau.de: Das hätte man vorher wissen können.

Molau: Ja, das stimmt. Und es wurde nochmal in einer Fraktionssitzung deutlich, als ein Mitarbeiter mit den Nürnberger Rassegesetzen unter dem Arm gesagt hat: "Lieber Herr Molau, Du bist ein guter Typ und Du kannst viel, aber Du musst verstehen, dass Du wegen Deiner Herkunft nicht in Frage kommst." Da fragt man sich schon, in welchem Film man ist. Aber ich habe da gutes Geld verdient in der Fraktion - und mir war auch klar, was passieren würde, wenn ich einen Schlussstrich ziehen würde.

tagesschau.de: Sie wurden in der Szene im NS-Jargon ja auch als "Achteljude" bezeichnet. Ist es typisch, dass man sich bei der NPD so auf den Nationalsozialismus bezieht?

Molau: Ja. Ein anderes Beispiel: In einer NPD-Runde haben wir uns mal darüber unterhalten, was man privat so für Bücher liest. Ich sagte, mein Lieblingsautor sei Erich Kästner. Andere NPDler meinten darauf hin, gut, dass dieses "Schwein" während des Nationalsozialismus nicht publizieren durfte - genauso wie jüdische Musiker. In der internen Diskussion kann man dann schon mal sagen: "Leute, das kann doch nicht euer ernst sein!"

tagesschau.de: Auch bei den Nationalkonservativen, zu denen ich Sie zählen würde, ist oft die Rede von deutscher Identität, Heimat und Kultur. Warum wird das so wenig mit Leben erfüllt?

Molau: Weil sie zu weit von der Gesellschaft entfernt sind. Ich habe festgestellt, dass bei jedem Heimatverein, jedem Fußballverein, jeder Freiwilligen Feuerwehr, bei jedem Engagement an der Basis viel mehr für die Identität gemacht wird, als in diesen rechten Zirkeln, die das für sich in Anspruch genommen haben. 

"Ich möchte kein 'Ausstiegsevent' sein"

tagesschau.de: Haben Sie sich selbst überschätzt?

Molau: Das stimmt auf jeden Fall. Weniger in dem Sinne, dass ich bei der NPD oder PRO hätte wirken können. Bei der NPD habe ich die Auseinandersetzung um den Parteivorsitz gar nicht gesucht, weil es ein Witz gewesen wäre, wenn ich gesagt hätte, ich persönlich will eine deutsche FPÖ - und gleichzeitig werde ich in der Partei als "Achteljude" bezeichnet. Das verstehe ich auch nicht bei NPD-Chef Holger Apfel. Wie kann er sagen, er wolle eine moderne NPD - und gleichzeitig ist sein größter Verbündeter Schwerins Fraktionschef Udo Pastörs, der klar für eine NS-orientierte NPD steht? Das ist total irrwitzig. Überschätzt habe ich mich, weil ich gedacht habe, ich könnte die NPD reformieren und Dinge ändern, die so nicht zu verändern sind. 

tagesschau.de: Wie geht es weiter, wie sieht Ihre Zukunft aus? Referent, Lehrer, Journalist, Talkshow-Gast?

Molau: Ich möchte kein "Ausstiegsevent" sein. Ein Schlussstrich ist nur der Beginn eines Prozesses - und Vertrauen kommt nicht ad hoc. Ich bin Lehrer gewesen, ich bin Publizist - natürlich möchte ich mit 44 Jahren weiterleben. Das kann letztendlich nur als Lehrer oder Publizist sein. Es wäre falsch, meine Erfahrungen einfach zu begraben, ich will sie einbringen.

tagesschau.de: Das Bild, das in den Fachmedien von der NPD gezeichnet wird, ist das realistisch? Liegen die relevanten Informationen auf dem Tisch?

Molau: Es gibt sehr kenntnisreiche Berichte über diese Szene. Die wesentlichen Elemente der Ideologie sind öffentlich. So eine Partei muss nicht geheimdienstlich ausgespäht werden. Alles, was Udo Pastörs oder Holger Apfel sagen, ist bekannt. Das kann ich nur ergänzen um einzelne Geschichten. So wollte ich die Diskussion mit einem Beitrag in der NPD-Zeitung "Deutsche Stimme" um eine Position erweitern, wonach Ausländer, die sich integrieren wollen, in Ordnung seien. Apfel bekam einen Tobsuchtsanfall. Er will in Wahrheit keine moderne Partei, für ihn sind alle Ausländer unerwünscht. Es gibt natürlich auch Leute bei der NPD, die das anders sehen als Apfel oder Pastörs, aber die müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie diese Positionen mittragen - so wie ich es getan habe.

Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de