Interview zu Ermittlung in NSA-Affäre Eine verfrühte Entscheidung?
Die Bundesanwaltschaft will offenbar nicht in der NSA-Affäre ermitteln. Dabei sei die Schwelle für ein Verfahren eigentlich niedrig, sagt ARD-Rechtsexperte Bräutigam im tagesschau.de-Interview. Nun könnte der Eindruck entstehen, die Anwaltschaft gibt zu früh auf.
tagesschau.de: Warum will die Bundesanwaltschaft keine offiziellen Ermittlungen in der NSA-Affäre aufnehmen?
Frank Bräutigam: Ein offizielles Statement, ob sie das will, steht noch aus. Ich vermute aber, dass die Bundesanwaltschaft aus ihrer Sicht zu wenig belastbare Beweise hat: Keine Dokumente, wer wann von wo aus zum Beispiel das Handy von Kanzlerin Angela Merkel abgehört hat oder belastbare Zeugenaussagen. Die Bundesanwaltschaft hat bereits bei ihrer Jahrespressekonferenz im Dezember deutlich gemacht, dass es da Probleme geben könnte. Mein Eindruck in den vergangenen Monaten war aber auch, dass die Diskussionen innerhalb der Behörde hin und her gingen, ob man die Schwelle für ein offizielles Ermittlungsverfahren überschritten sieht oder nicht.
tagesschau.de: Dass es schwierig werden würde für die Ermittler, an Geheimdienstinformationen zu kommen, war aber von vornherein klar.
Bräutigam: Ja, man durfte von vornherein nicht unbedingt davon ausgehen, dass man es wirklich schaffen würde, am Ende bestimmte Personen anzuklagen und nach Deutschland zu bringen. Dazu bräuchte man stichfeste Beweise und wäre auf Rechtshilfe - zum Beispiel der USA - angewiesen.
tagesschau.de: Aber gibt es nicht genau dafür Ermittlungen: um Beweise zu suchen?
Bräutigam: Genau das ist der problematische Punkt. Die Bundesanwaltschaft ist ja nicht untätig geblieben. Sie ist in intensive sogenannte Vorermittlungen eingestiegen. Das bedeutet, es gibt noch kein offizielles Ermittlungsverfahren. Sie hat bei Geheimdiensten nachgefragt und versucht, Informationen zu bekommen. Solche Vorermittlungen gibt es immer wieder in brisanten Fällen. In diesem Fall waren sie aber aus meiner Sicht ungewöhnlich lang. Und man hat darin möglicherweise schon ziemlich viel abgearbeitet, was eigentlich in ein förmliches Ermittlungsverfahren gehört. Vielleicht dachte man, dies sei ein ganz praktischer Mittelweg: Keine offizielle Beschuldigten aus einem Partnerstaat, aber schon mal prüfen, was so an Beweisen verfügbar ist.
tagesschau.de: Wäre die Entscheidung, kein Verfahren einzuleiten, verfrüht?
Bräutigam: Ich kann zwar verstehen, dass nicht sofort nach den ersten Meldungen über eine mögliche Geheimdienstspionage im vergangenen Sommer ein Ermittlungsverfahren gegen hohe US-Beamte eingeleitet wurde, das ist ja eine heikle Sache. Aber wir reden jetzt über viele Monate. Und vor allem: Die Schwelle für den Beginn eines solchen offiziellen Ermittlungsverfahrens ist eher niedrig. Es braucht nur einen sogenannten Anfangsverdacht, also gerade noch keine handfesten Beweise. Die soll man im Verfahren ja erst suchen. Sollten die Ermittlungen nun tatsächlich offiziell gar nicht beginnen, drängt sich der Eindruck auf, dass die Ermittler sehr vom Ende her gedacht haben. Dass es letztlich nicht für eine Anklage reichen würde, ist natürlich möglich. Aber in diesem Stadium ist man ja offiziell noch gar nicht. So kann bei der Öffentlichkeit schnell der Eindruck entstehen: Die fangen ja gar nicht erst richtig an zu ermitteln, geben zu früh auf.
tagesschau.de: Was würde das für die Aufklärung der NSA-Affäre in Deutschland bedeuten?
Bräutigam: Es gibt noch den NSA-Untersuchungsausschuss. Den muss man strikt von Ermittlungen der Bundesanwaltschaft trennen. Der Untersuchungsausschuss ist frei, trotzdem intensiv nachzuforschen, auch wenn die strafrechtlichen Ermittlungen eingestellt werden sollten. Allerdings: Dass der politische Wille in der gesamten Regierung so groß ist, den Untersuchungsausschuss zu unterstützen, habe ich bislang nicht unbedingt wahrgenommen. Deswegen verstehe ich auch nicht ganz den Unmut darüber, dass die Bundesanwaltschaft offenbar nicht ermitteln will. Im Untersuchungsausschuss hat die Regierung alle Möglichkeiten, tatkräftig zur Aufklärung der Affäre beizutragen, wenn dieser Wunsch so groß ist.
tagesschau.de: Kritik kommt von allen Seiten: Die Grünen fordern ein Eingreifen von Justizminister Heiko Maas, auf dass doch Ermittlungen aufgenommen werden. Der Rechtsausschuss des Bundestages will von Generalbundesanwalt Harald Range so schnell wie möglich über den Stand des Verfahrens aufklärt werden. Und Netzaktivisten drohen mit Klagen und empören sich über die vermeintliche Begründung, dass kein belastbares Material vorliege. Können Sie die Kritik nachvollziehen.
Bräutigam: Ich kann verstehen, dass der Wunsch nach Aufklärung riesig ist, und dazu gehört auch die strafrechtliche Seite. Für eine abschließende Bewertung sollte man aber abwarten, welche Argumente Herr Range in seiner anstehenden Stellungnahme genau auf den Tisch legt.
Das Interview führte Thomas Reinhold, tagesschau.de