U-Ausschüsse in den Ländern Noch viele Fragen im NSU-Komplex
Während der U-Ausschuss des Bundestags seinen Abschlussbericht zum NSU-Komplex vorlegt, geht die Arbeit in Thüringen und Sachsen weiter. In Bayern könnte es nach der Wahl einen weiteren U-Ausschuss geben. Ein Überblick.
Im November 2011 ist die Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" bekannt geworden. Zuvor hatten Polizei und Verfassungsschutz behauptet, es existiere kein Rechtsterrorismus in Deutschland.
Tatsächlich waren aber Neonazis, offenkundig unterstützt durch ein ganzes Netzwerk, durch die Bundesrepublik gezogen und hatten zehn Menschen ermordet. Die Neonazis Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe sollen die Taten geplant und verübt haben - und dies, obwohl sie bereits seit den 1990er-Jahren den Behörden bekannt waren und gesucht wurden.
Seitdem haben vier Untersuchungsausschüsse den NSU-Komplex untersucht: im Bund sowie in drei Ländern.
Thüringer U-Ausschuss analysiert 1990er-Jahre
Die Arbeit des Thüringer Untersuchungsausschusses "Rechtsterrorismus und Behördenhandeln" wird noch viele Monate fortgesetzt. In dem Bundesland wuchsen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe auf, radikalisierten sich, verübten ihre ersten Straftaten. In Thüringen ließen die Behörden die Neonazis weitestgehend gewähren - daher gibt es hier besonders viele offene Fragen zu beantworten.
Im März 2013 legten die Mitglieder des Gremiums einen Zwischenbericht vor, der mehr als 550 Seiten umfasst. Detailliert wird die Neonazi-Szene in dem Bundesland in den 1990er-Jahren beschrieben und die Arbeit von Polizei und Inlandsgeheimdienst analysiert.
Die Bilanz ist erschreckend: Die Behörden hätten beim Kampf gegen die Neonazi-Bewegung auf ganzer Linie versagt, die Gefahr sei über Jahre verharmlost worden, waren sich die Abgeordneten einig. Der Grünen-Politiker Dirk Adams sagte bei der Vorstellung des Berichts: "Wir müssen in Thüringen die Verantwortung dafür übernehmen, dass sie zu Mördern wurden."
Seitdem konzentriert sich das Gremium auf die NSU-Terroristen selbst. Dabei sind allerdings weitere Ungereimtheiten aufgetaucht. So observierte ein Mobiles Einsatzkommando im September 1997 Böhnhardt - gleichzeitig beobachtete aber offenbar auch der Verfassungsschutz den militanten Neonazi. "Unklar blieb, wann und aus welchem Antrieb das Landesamt die Observation Böhnhardts begann", bilanziert die Linkspartei. Auch zu den Razzien in der Bombenwerkstatt der Neonazis lägen komplett widersprüchliche Angaben vor.
Der Thüringer Ausschuss soll sich nach der Sommerpause ab September vor allem mit den Fahndungsmaßnahmen nach der Flucht von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nach Sachsen beschäftigen.
Auch hier bleibt großer Klärungsbedarf: So ist die Rolle von Juliane W. noch unklar. W. hatte laut Linkspartei "unmittelbar nach dem Untertauchen mehrfach offenkundig im Auftrag des Trios" agiert, sei aber von der Polizei "völlig unbehelligt" geblieben.
Die Freundin des in München angeklagten Ex-NPD-Funktionärs Ralf Wohlleben hatte über einen längeren Zeitraum mehrfach bezahlte Informationen an den Thüringer Verfassungsschutz geliefert. Eine Information, die den U-Ausschüssen über viele Monate vorenthalten wurde.
Wegen der zahlreichen offenen Fragen wird der Untersuchungsausschuss in Thüringen noch mindestens bis 2014 den NSU-Komplex untersuchen.
Sächsischer Ausschuss kommt nur langsam voran
Die Kontakte zwischen Geheimdienst und NSU-Unterstützern beschäftigt auch den "Untersuchungsausschuss Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen", immerhin hatten die Rechtsterroristen von hier aus über Jahre ihre Mord- und Raubserie geplant und ausgeführt.
Mit Arne Schimmer konnte auch die NPD ein Mitglied in das Gremium schicken, was angesichts der mutmaßlichen Verstrickung des langjährigen NPD-Funktionärs Wohlleben und möglicherweise weiterer Parteimitglieder in den NSU-Komplex eine gewisse Brisanz hat - und für Streit zwischen den Parteien sorgte, als es um die Einsetzung des Ausschusses ging.
Die Arbeit im Ausschuss selbst ist seitdem vom Konflikt zwischen Abgeordneten der Opposition und der schwarz-gelben Regierung geprägt. Im Gegensatz zu den anderen drei U-Ausschüssen zum NSU lehnte die Regierung in Sachsen das Gremium ab, so dass es keinen Konsens zwischen den demokratischen Fraktionen gab.
In den folgenden Monaten sorgten vor allem Skandale beim Inlandsgeheimdienst immer wieder für heftige Debatten. Im Juni 2013 stellten die Grünen-Abgeordneten Miro Jennerjahn und Johannes Lichdi sogar Strafanzeige wegen des Verdachts der Falschaussage vor dem Ausschuss - und zwar gegen den ehemaligen Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz, Reinhard Boos, sowie dessen ehemaliger Vertreter Olaf Vahrenhold. Beide hatten wegen der NSU-Affäre ihre Posten verloren.
Der Grünen-Abgeordnete Miro Jennerjahn bezeichnete gegenüber tagesschau.de die Arbeit als "äußerst zäh". Es gehe nur schleppend voran, da der U-Ausschuss gegen den Willen der Regierung durchgesetzt worden sei und zu viele Mitglieder habe. Jennerjahn sagte, er gehe aber davon aus, dass wesentliche Fragen beantwortet werden. Es müsse "überhaupt Licht ins Dunkel" gebracht werden.
Seit März 2012 gehen die Abgeordneten nun der Frage nach, warum der Freistaat als Ruhe- und Rückzugsraum für die Rechtsterroristen dienen konnte, obwohl es zahlreiche Hinweise auf ihren Aufenthaltsort gegeben hatte.
Bayern: Abschluss- oder Zwischenbericht?
Der "Untersuchungsausschuss Rechtsterrorismus in Bayern - NSU" hat seine Arbeit bereits abgeschlossen - zumindest vorerst. Das Gremium unter dem Vorsitz des SPD-Abgeordneten Franz Schindler legte am 9. Juli 2013 in seiner 31. Sitzung einen Schlussbericht vor.
Einigkeit bestand zwischen den Abgeordneten, dass Fehler begangen wurden. Von einem Versagen der Ermittlungsbehörden wollten CSU und FDP allerdings nichts hören.
SPD-Obmann Schindler betonte, dass der NSU sehr wohl auch ein bayerisches Problem gewesen sei. Er verwies darauf, dass insbesondere im Freistaat der Rechtsterrorismus kein neues Phänomen gewesen sei. SPD und Grüne meinen, der vorgelegte Bericht könne lediglich ein Zwischenbericht sein. Nach der Wahl im September müsse der nächste Landtag prüfen, ob ein weiterer Untersuchungsausschuss eingerichtet werden müsse. Insbesondere die Rolle der V-Leute sei noch nicht geklärt.
Das Gremium empfahl in seinem Bericht aber bereits, im Landesamt für Verfassungsschutz wieder eine eigene Abteilung für den Rechtsextremismus einzurichten. Zudem müsse künftig bei Gewaltdelikten gegen Menschen mit Migrationshintergrund ein "Standardprogramm" greifen, das ein mögliches rassistisches Motiv überprüft.