Interview zu Online-Bewertungen "Bewertungsportale sind fast so wichtig wie Google"
Der BGH hat entschieden, dass im Internet auch anonyme Falschbehauptungen geschützt sind. Warum Online-Bewertungsportale boomen und was das für Unternehmen heißt, erklärt Marketing-Experte Christian Bachem im tagesschau.de-Interview.
tagesschau.de: Fast jeder hat schon einmal ein Bewertungsportal im Internet genutzt - sei es bei der Suche nach einem guten Arzt, einem Hotel oder einem technischen Gerät. Welche Bedeutung haben Kundenbewertungen mittlerweile für die Unternehmen, die da bewertet werden?
Christian Bachem: Eine sehr große Bedeutung. Immer mehr potenzielle Kunden machen den Kauf eines Produktes von Online-Bewertungen abhängig. Deshalb setzen Unternehmen seit etwa fünf Jahren immer mehr auf Bewertungs- und Vergleichsportale im Netz, wie zum Beispiel check24 oder holidaycheck. Solche Portale sind mittlerweile die wahrscheinlich wichtigste Anlaufstelle für Kundeninteressen - direkt nach Google.
In der Regel funktioniert es ja so: Man sucht ein Hotel in einer bestimmten Region zu einem bestimmten Preis. Ein Vergleichsportal liefert dann diverse Treffer und bei gleichem Preis entscheidet die Bewertung über den Kauf. Und dann - und das macht solche Portale für Unternehmen besonders wichtig - kann man mit wenigen Klicks das Produkt meist auch direkt buchen oder kaufen. Die Portale führen also den Unternehmen, hier den Hotelbetreibern, Kunden zu.
tagesschau.de: Kann man diese wachsende Relevanz beziffern?
Bachem: Zum einen ist festzustellen, dass es immer mehr Bewertungs- und Vergleichsportale im Netz gibt. Der Wettbewerb ist also größer geworden. Und: Die einzelnen Portale bauen ihr Angebot stetig weiter aus, nehmen zum Beispiel weitere Branchen auf.
Zum anderen investieren die Portale selbst stärker in Werbung. Das sehr verbreitete Preisvergleichsportal check24 zum Beispiel, das auch Kundenbewertungen enthält, gibt seit ungefähr drei Jahren sehr viel Geld dafür aus, die eigene Marke bekannter zu machen. Im vergangenen Jahr hat es zwischen 50 und 60 Millionen Euro in Werbung investiert.
"Im Tourismus sind Bewertungen am wichtigsten"
tagesschau.de: In welchen Branchen spielen Bewertungs- und Vergleichsportale eine besonders große Rolle?
Bachem: Vor allem im Tourismus. Der Urlaub ist ja insbesondere für die Deutschen eine sehr wichtige und somit kritische Zeit. Vielleicht will man an einen Ort reisen, den man noch nicht kennt und da will man sich auf keinen Fall hinterher ärgern. Deshalb setzen gerade in diesem Bereich sehr viele Menschen auf Kundenbewertungen im Netz, um sich ein Bild zu machen. Eine andere Branche sind Finanzdienstleistungen und Versicherungen: Hier hat man es oft mit sehr komplizierten Tarifstrukturen und Policen zu tun, da bieten Kundenbewertungen Orientierung. Als drittes sind Telekommunikationsanbieter und Energieversorger zu nennen, hier stehen vor allem Preisvergleiche im Vordergrund.
Ärzte oder Restaurants beispielsweise spielen, wenn man den gesamten Markt betrachtet, eine untergeordnete Rolle. Hier geht es ja um lokale Nahversorgung, während die anderen genannten Branchen ihre Produkte bundesweit anbieten. Bei lokalen Angeboten sind Tipps aus der Nachbarschaft oder von Freunden noch wichtiger als digitale Empfehlungen.
"Schlechte Bewertungen durch viele gute ausgleichen"
tagesschau.de: Für einen einzelnen Arzt oder Rechtsanwalt, der eine schlechte Bewertung bekommen hat, kann das aber sehr geschäftsschädigend sein. Was tun kleine oder auch größere Unternehmen, um gute Online-Bewertungen zu bekommen?
Bachem: Der Arzt kann versuchen, eine schlechte Bewertung durch sehr viele gute Bewertungen wieder wett zu machen. Das passiert auch: Kleine Hotels bitten beispielsweise ihre Gäste, nach dem Aufenthalt doch eine Bewertung abzugeben. Auch von Anlageberatern seiner Hausbank wird man schon mal zu solchen - möglichst guten - Bewertungen aufgefordert.
Größere Unternehmen versuchen mehr und mehr, sich mit den Mechanismen von Bewertungsportalen auseinanderzusetzen. Das heißt, herauszufinden, welche Plattformen nach welchen Regeln funktionieren und welche für das eigene Geschäft am relevantesten sind, um dort die Bewertungen entsprechend zu optimieren.
tagesschau.de: Und wie funktioniert das?
Bachem: Beispielsweise gibt es Personen, die in Social Media sehr aktiv sind und besonders häufig Bewertungen auf bestimmten Plattformen abgeben. Ein Unternehmen kann versuchen, diese Personen zu identifizieren und ihnen besondere Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Im Hotelgewerbe passiert dies bereits, indem solche Personen beispielsweise ein Upgrade bekommen oder einen Blumenstrauß aufs Zimmer, um sie zu animieren, später eine positive Bewertung abzugeben.
Sinnvoll kann es auch sein, wenn ein Hotelier beispielsweise auf negative Nutzerkommentare antwortet. Zumindest signalisiert es, dass ein Unternehmen sich professionell mit Kritik auseinandersetzt und diese nicht ins Leere laufen lässt.
"Bis zu 80 Prozent der Bewertungen könnten gefälscht sein"
tagesschau.de: Viele Online-Bewertungen sind allerdings auch gefälscht oder gekauft. Wie kann man das als Verbraucher erkennen?
Bachem: Es stimmt, dass ein Einfallstor für Manipulation und für Verzerrungen besteht. Wir haben einmal ein großes Vergleichsportal untersucht und den Eindruck gewonnen, dass es bei bis zu 80 Prozent der Bewertungen technische Manipulationen gegeben haben könnte. Es gibt beispielsweise Algorithmen, die Bewertungen technisch erzeugen oder variieren können. Wenn in einem Portal Bewertungen häufig ganz ähnliche Wörter und Satzstrukturen verwenden und Sätze eine ähnliche Länge haben, ist das ein Hinweis darauf, dass sie nicht von Menschen geschrieben wurden. Und es gibt natürlich auch Menschen, die dafür engagiert werden, entsprechende Bewertungen zu schreiben.
Man sollte als Verbraucher wachsam sein, wenn es zu viele gute Bewertungen gibt. Bei einem Sternchensystem, ist es beispielsweise verdächtig, wenn ein Produkt bei 500 Bewertungen im Schnitt fünf von fünf Sternen hat. Man sollte sich mehrere Bewertungen durchlesen, um zu schauen, ob einem dabei irgendetwas Auffälliges begegnet. Die Frage ist natürlich, wie viel Zeit man bereit ist, dafür zu investieren.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de