"Pegasus"-Recherche Scharfe Kritik an Überwachungssoftware
Die Spähsoftware "Pegasus" wurde gegen Journalisten und Oppositionelle eingesetzt. Politiker und Verbände reagieren empört. Ungarische Oppositionspolitiker fordern eine Untersuchung, Frankreich kündigte bereits eine Überprüfung an.
Nach Berichten über den Einsatz einer Spähsoftware gegen Aktivisten und Reporter haben deutsche Journalisten-Verbände Aufklärung und Gegenmaßnahmen gefordert. Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Frank Überall, sprach von einem "nie da gewesenen Überwachungsskandal". Geheimdienste und Sicherheitsbehörden müssten Auskunft darüber geben, ob die berüchtigte Software "Pegasus" der israelischen Firma NSO auch gegen deutsche Journalisten eingesetzt worden sei.
Hofmann: EU hat Chance auf Regulierung verpasst
Die Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju), Monique Hofmann, forderte Einschränkungen für den Export von Überwachungstechnologie. "Autoritäre Staaten nutzen 'Pegasus', um kritische und oppositionelle Stimmen zum Schweigen zu bringen", betonte sie. "Ausspäh-Software darf nicht an Staaten geliefert werden, in denen immer wieder Menschenrechte verletzt werden." Erst in diesem Jahr habe die Europäische Union mit der Reform der Dual-Use-Verordnung die Chance auf eine solche starke Regulierung verpasst.
Ein Journalistenkonsortium, an dem auch NDR, WDR, "Süddeutsche Zeitung" und "Die Zeit" beteiligt sind, veröffentlichte Recherchen, wonach auf Smartphones von Journalisten, Menschenrechtlern, deren Familienangehörigen sowie Geschäftsleuten Spuren von Angriffen mit der "Pegasus"-Software der israelischen Firma NSO entdeckt wurden.
Quellen von Journalisten nicht mehr geschützt
"Pegasus" infiltriert Smartphones, späht persönliche Daten aus und kann auch Kamera und Mikrofon des Handys aktivieren. Im Fall von Journalisten können Hacker so die Kommunikation mit Quellen verfolgen. NSO konterte - wie schon bei früheren Vorwürfen -, die Software werde "ausschließlich an Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste von geprüften Regierungen verkauft, mit dem alleinigen Ziel, durch Verhinderung von Verbrechen und Terrorakten Menschenleben zu retten".
EU und Bundesregierung betonen Pressefreiheit
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen forderte eine Überprüfung der Enthüllungen über die weltweite Ausspähung von Journalisten, Aktivisten und Oppositionellen. "Wenn es stimmt, dann ist es komplett inakzeptabel", sagte von der Leyen vor Journalisten in Prag. "Eine freie Presse ist einer der Grundpfeiler der Europäischen Union."
Auch die stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, Martina Fietz, betonte die Bedeutung der Pressefreiheit. Eine freie Presse und ein freier Rundfunk seien "von besonderer Bedeutung für das Funktionieren eines demokratischen Staates und einer demokratischen Gesellschaft".
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, in Deutschland gälten Recht und Gesetz, "und sämtliche Maßnahmen der Ermittlungsbehörden müssen sich genau danach richten". Er verwies zudem darauf, dass für besondere Ermittlungsmaßnahmen, etwa eine Telekommunikationsüberwachung, ein Richtervorbehalt gelte.
Scharfe Kritik von den Grünen
Der stellvertretende Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Konstantin von Notz, sprach im NDR von einem "ultimativen Spionageangriff" und "massiven Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit". Er nannte das "einen ernsten und problematischen Vorgang". "Wenn Unrechtsstaaten diese Technik einsetzen, um Oppositionelle und Journalisten auszuforschen und gegebenenfalls am Ende in die Folterkeller zu führen, dann sieht man, wie groß das Problem ist und wie schlimm diese Technik missbraucht werden kann." Man müsse dann genauso über mögliche Konsequenzen diskutieren, wie wenn EU-Staaten wie Ungarn solche Software einsetzten.
Von Notz forderte eine strenge Regulierung des Umgangs mit Spionageprogrammen - etwa durch internationale Abkommen oder Exportverbote.
Frankreich will Vorwürfe untersuchen
Frankreichs Regierungssprecher Gabriel Attal reagierte erstaunt und entrüstet auf die Enthüllungen. "Das ist natürlich ein äußerst schockierender Sachverhalt", sagte Attal dem Sender Franceinfo. Er kündigte - nicht näher detaillierte - Untersuchungen an. "Wir hängen sehr an der Pressefreiheit", fügte er hinzu.
Forderungen nach einer Untersuchung kommen auch aus Ungarn, wo Journalisten und Oppositionelle mit der Software bespitzelt wurden. Drei Mitglieder des Parlamentsausschusses für nationale Sicherheit beantragten eine Sondersitzung, um Regierungsbehörden zu ihrer möglichen Verwicklung in die Überwachungstätigkeiten zu befragen.
Der Vorsitzende des Ausschusses, János Stummer, ein Abgeordneter der rechtsgerichteten Oppositionspartei Jobbik, erklärte, eine Überwachung wie von den Journalisten aufgedeckt, sei in einem Rechtsstaat nicht legal. Der Ausschuss wolle Sicherheitsbehörden und Geheimdienste zu den Vorwürfen befragen.
Stummer verwies jedoch darauf, dass eine Mehrheit der Ausschussmitglieder Abgeordnete der Regierungspartei seien, die mit einem Boykott eine Untersuchung verhindern könnten. "Unsere Sichtweise ist, dass ein Schweigen im Wesentlichen ein Eingeständnis wäre, dass die Regierung tatsächlich in diese Sache verwickelt ist", sagte Stummer.