Flüchtlingskriminalität "Perspektiven sind entscheidend"
Eine neue Studie von Kriminologen um den Experten Pfeiffer legt nahe, dass der Anstieg von Gewaltstraftaten in Deutschland vor allem auf die zunehmende Zahl von Flüchtlingen zurückzuführen ist. Pfeiffers Team untersuchte Zahlen für Niedersachsen, die seinen Angaben zufolge aber bundesweit repräsentativ sind. Pfeiffer mahnt jedoch zur Differenzierung - und schlägt Lösungen vor.
NDR Info: Herr Pfeiffer, belegen diese Zahlen dass Flüchtlinge krimineller sind als Menschen, die hier schon lange leben?
Christian Pfeiffer: Auf den ersten Blick ist das so. Wir haben, seit die große Flüchtlingswelle kam, nach sieben Jahren des Rückgangs plötzlich einen Anstieg der Gewalt in Niedersachsen um zehn Prozent. 92 Prozent der ermittelten Tatverdächtigen, die zusätzlich gekommen sind, sind Flüchtlinge. Auf den ersten Blick sind also die Flüchtlinge daran schuld, dass die Gewalt steigt.
Aufenthaltsperspektive: Vor allem Flüchtlinge aus Algerien, Tunesien und Marokko begehen häufig Straftaten. Sie haben selten Chance, in Deutschland zu bleiben. Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak werden seltener straffällig. Sie sind bemüht, ihre Chancen für einen Aufenthalt in Deutschland nicht zu gefährden.
Altersstruktur: Die Gruppe der 14- bis 30-Jährigen ist bei Gewalt- und Sexualdelikten weltweit überrepräsentiert. Viele Flüchtlinge sind junge Männer. Allein in Niedersachsen gehörten 2016 knapp 27 Prozent der registrierten Flüchtlinge dazu. Fast zwei Drittel der aufgeklärten Gewalttaten von Flüchtlingen gingen auf ihr Konto.
Verzerrungsfaktor: Die Anzeigebereitschaft ist den Forschern zufolge etwa doppelt so hoch, wenn Opfer und Täter sich vorher nicht kannten oder unterschiedlichen ethnischen Gruppen angehören. Sie gehen deshalb davon aus, dass Gewaltdelikte von Flüchtlingen entsprechend häufiger angezeigt werden.
Quelle: Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen
Aber man muss genauer hinschauen. Erste Differenzierung: Die Anzeigewahrscheinlichkeit ist bei Fremden etwa doppelt so hoch wie bei Einheimischen. Wer von einem, den er aus dem Dorf kennt, gewalttätig misshandelt oder beraubt wird, der zeigt zu 13 bis 15 Prozent an. Aber wenn es ein Fremder ist, steigt es gleich auf das Doppelte. Wenn der Fremde dann nicht einmal die Sprache spricht, und man den Schadenersatz mit ihm gar nicht direkt erörtern kann, nimmt man sowieso eher die Hilfe der Polizei in Anspruch. Also ist die Flüchtlingsgewalt sichtbarer. Das erhöht die Zahlen, aber trotzdem bleibt es ein Problem. Da hilft uns bei der Interpretation der Daten weiter, dass es riesige Unterschiede innerhalb der Flüchtlingsgruppen gibt.
NDR Info: Inwiefern?
Pfeiffer: Es gibt sehr gut integrierte, relativ vorsichtige Kriegsflüchtlinge. Die Hälfte aller Flüchtlinge, 54 Prozent, kommen aus Syrien, Irak und Afghanistan und haben in Niedersachsen nur 16 Prozent aller den Flüchtlingen zugeschriebenen Raubdelikte begangen.
Aber völlig anders sind die aus Nordafrika kommenden Flüchtlinge: 0,9 Prozent ist ihr Anteil unter allen Neuankömmlingen, aber 31 Prozent unter denen, die wegen Raubes von der Polizei ermittelt wurden. Sie sind um das 35-fache überrepräsentiert.
Dämpfender weiblicher Einfluss fehlt
NDR Info: Kann man sagen, die Menschen die Kriegsflüchtlinge sind und deswegen eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, dass ihr Asylantrag bewilligt wird, die begehen weniger Straftaten als Menschen, die wahrscheinlicher abgeschoben werden?
Pfeiffer: Ganz klar. Die Perspektiven sind der entscheidende Faktor. Wer glaubt, ich kann hier bleiben, wenn ich mich brav aufführe und keinen Unsinn anstelle, weil ich mir sonst alles kaputt mache, der hält sich an unsere Regeln, so weit es irgendwie geht. Natürlich gibt es unter uns einheimischen Deutschen und auch bei den Syrern ebenfalls Gewalttäter. Aber nicht im Übermaß.
Die Gegengruppe, denen wir gleich nach der Ankunft gesagt haben: Euch Armuts- und Wirtschaftsflüchtlinge wollen wir gar nicht, wir kümmern uns am liebsten um die Kriegsflüchtlinge - die haben gleich in der Silvesternacht in Köln gezeigt, wie wütend, frustriert und enttäuscht sie sind und sich da schrecklich aufgeführt.
Und das ist leider so geblieben. Das ist eine Problemgruppe. Aber die sind nicht die böseren Menschen, sondern schlicht die chancenlosen, die viel investiert haben, ihr Leben riskiert haben auf dem Weg übers Mittelmeer. Und dann landen sie hier. Und nichts ist geworden aus allen Träumen.
Und dann kommt ein Faktor hinzu: Das Gefährlichste ist in jedem Volk immer die männliche Altersgruppe der 14- bis 30-Jährigen. Bevor die Flüchtlingswelle kam, waren sie neun Prozent unserer Bevölkerung. Aber sie waren zuständig für die Hälfte aller Gewalttaten. Und jetzt kriegen wir auf einmal bei den Nordafrikanern jeden zweiten, der zu dieser gefährlichen Gruppe gehört. Bei den Kriegsflüchtlingen ist es nur jeder Vierte. Auch das spielt eine Rolle. Die frustrierten jungen Männer sind ein echtes Problem.
NDR Info: Ist das Verhalten dieser jungen Männer in Deutschland anders, als wenn sie in ihrer Heimat wären?
Pfeiffer: Gar kein Zweifel. Wenn sie im Kontext der Familie leben, dann gibt es den dämpfenden Einfluss der Großmutter, der Mutter, der Schwestern, der Freundin. Die Abwesenheit der Frauen ist ja gerade ein Problem bei den Flüchtlingen. Je höher der Frauenanteil, umso ziviler, braver verhalten sich die Männer.
Dieses Defizit an familiärer Begleitung, das wir bei den jungen Männern aus nordafrikanischen Ländern erleben, das ist ein fördernder Faktor, was die Gewalt angeht. Das können wir auch nicht ändern, denn Familiennachzug für die, die hier keine Bleibechancen kriegen, ist völlig unsinnig und den fordert auch niemand.
Deswegen meine ich. Da müssen wir mehr tun als bisher. Denn letztes Jahr haben wir in Deutschland 327.000 Leuten gewissermaßen die rote Karte gezeigt und gesagt: Kein Asyl. Ihr habt den Antrag gestellt, aber erfüllt die Voraussetzungen nicht. 200.000 sind dann zum Verwaltungsgericht gelaufen und haben geklagt, aber auch die werden mehrheitlich deswegen keinen Aufenthalt erzwingen können. Das heißt, wir haben ein Problem mit den Verlierern unseres Flüchtlingsprozesses. Da muss was geschehen, mehr als bisher.
Ein großes Rückkehrprogramm
NDR Info: Was denn zum Beispiel?
Pfeiffer: Ausweisung ist schon weiterhin richtig - wenn man Länder hat, die die Menschen auch wieder zurücknehmen. Aber wir sehen doch, dass es mit der Ausweisung nicht so richtig läuft. 21.000 sind ausgewiesen worden - gegenüber dieser Riesenzahl von Leuten, denen wir kein Asyl gewähren wollen.
Also meine ich, es ist Zeit, ein großes Rückkehrpogramm zu finanzieren, das zum Teil über die Entwicklungshilfe laufen muss. Wir müssen wesentlich mehr Geld in der Entwicklungshilfe für die Flüchtlinge ausgeben. Dafür, dass keine kommen, indem wir zu Hause Strukturen fördern, die sie am Bleiben halten, und für die, die bei uns fälschlich gelandet sind, Rückkehrprogramme freiwilliger Art.
Das ist bisher noch nicht voll versucht worden. Innenminister de Maizière hat die Länder besucht und sein Bestes gegeben, um sie zur Kooperation zu motivieren. Aber Reden reicht da nicht. Da hätte Herr Müller dabei sein müssen mit einer Milliarde Euro, dann hätte es klappen können. Aber der Herr Müller hat als Entwicklungshilfeminister auch nicht das große Geld gekriegt, was er brauchte.
Also meine ich angesichts von 35 Milliarden Euro zu viel gezahlter Steuern, die der Staat gar nicht ausgeben konnte, ist wirklich die Situation da, wo wir für uns etwas Gutes tun und für diese Länder, indem wir Entwicklungshilfe einsetzen zur Fluchtvermeidung und zu einem Rückkehrpogramm.
Das Interview führte Regina Methler, NDR Info