Corona-Proteste Verbot von Demos vor Politiker-Häusern rechtens?
Mehrfach sind Gegner der Corona-Maßnahmen mit Fackeln, Trommeln und Pfeifen vor die Wohnhäuser von Politikern gezogen. Die Behörden reagierten darauf mit pauschalen Verboten. Mit Recht?
Für ihren Protest gegen die Corona-Politik versammeln sich Demonstranten immer häufiger an ganz besonderen Orten: vor den privaten Wohnhäusern von Politikerinnen oder Politikern. In Baden-Württemberg traf es vor einer Woche Ministerpräsident Winfried Kretschmann, in Halberstadt im Harz Oberbürgermeister Daniel Szarata.
Die Demonstranten machen Krach mit Trillerpfeifen und Trommeln. Im Harz hatten sie auch Fackeln dabei - wie bereits im Dezember bei einem Aufmarsch vor dem Haus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping. Und die Beispiele mehren sich. Weitere betroffene Politiker sind etwa Boris Palmer in Tübingen und der Oberbürgermeister von Gera, Julian Vonarb. Baden-Württembergs Innenminister sprach von "Psychoterror".
Versammlungsverbote für mehrere Wochen
Die Landratsämter in Kretschmanns Wohnort Sigmaringen und im Harz haben reagiert - sie verboten Versammlungen per Allgemeinverfügung im näheren Umfeld der Wohnhäuser von Politikern. Die Verbote gelten präventiv für mehrere Wochen: In Sigmaringen im Umkreis von Kretschmanns Haus, im Harz gleich an einer ganzen Reihe von Orten.
Die Corona-Proteste stellen die Behörden nämlich auch deshalb vor eine Herausforderung, weil sie - anders als gesetzlich vorgeschrieben - häufig nicht angemeldet werden. Das macht es für die Behörden schwierig, Auflagen zu erlassen oder auch Verbote auszusprechen. Sie bekommen von den Veranstaltern keine Angaben zu Ort, Zeit und Teilnehmerzahlen und müssen sich im Wesentlichen auf Erfahrungen aus der Vergangenheit stützen.
Auch andere Städte haben zuletzt mit pauschalen Versammlungsverboten für Corona-Proteste an bestimmten Orten reagiert, die für mehrere Wochen gelten. Im Fall der Stadt Freiburg hatte das Bundesverfassungsgericht eine solche Allgemeinverfügung in einer Eilentscheidung nicht beanstandet. Dabei blieb aber offen, ob ein solches vorsorgliches Versammlungsverbot mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Von der Versammlungsfreiheit geschützt?
Entscheidend ist hier die in Artikel 8 des Grundgesetzes garantierte Versammlungsfreiheit. Sie schützt das Recht, sich "friedlich und ohne Waffen zu versammeln". Das Verwaltungsgericht Hannover hatte im Frühjahr 2021 in einem Eilverfahren entschieden, dass ein Protest von Kritikern der Corona-Politik vor dem Wohnhaus des niedersächsischen Ministerpräsidenten nicht unter den Schutz des Artikel 8 fällt. Denn geplant gewesen sei eine "unfriedliche" Demonstration: Schon die Wahl des Versammlungsortes am Wohnhaus zeige, dass es um eine direkte persönliche Einschüchterung des Ministerpräsidenten gehe.
Die Juristin Karoline Maria Linzbach von der Universität Bonn bezweifelt dagegen, dass "rein psychischer Druck" ausreicht, um eine Demonstration als unfriedlich einzustufen. "Vorausgesetzt werden vielmehr Handlungen von einiger Gefährlichkeit, wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten", schreibt sie in einem Gastbeitrag auf "Legal Tribune Online" zu Protestmärschen vor Privathäusern. Auch die Behörden, die mit Corona-Protesten vor Wohnhäusern von Politikern befasst sind, gehen in der Regel davon aus, dass die Versammlungsfreiheit greift.
Hohe Hürden für ein Verbot
Die Versammlungsfreiheit kann aber eingeschränkt werden - auch durch Verbote oder Auflösungen. Die Hürden dafür sind allerdings hoch, weil die Versammlungsfreiheit in einer Demokratie ein wichtiges Rechtsgut ist. Für ein Verbot braucht es eine "unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung". Das können jegliche Verstöße gegen die Rechtsordnung und die Rechte Einzelner sein.
Im Fall der Corona-Proteste vor Privathäusern "geht es um das Allgemeine Persönlichkeitsrecht von Politiker*innen und auch die körperliche Unversehrtheit - nämlich dann, wenn die Proteste psychische Auswirkungen haben, die sich körperlich manifestieren, wie etwa in Angstzuständen", sagt die Juristin Eva Maria Bredler von der Universität Münster.
"Außerdem kann die Unverletzlichkeit der Wohnung betroffen sein, wenn Protestierende zum Beispiel über eine Hecke oder einen Zaun steigen." Das Landratsamt Sigmaringen begründet das Versammlungsverbot vor Kretschmanns Haus mit dessen Persönlichkeitsrecht sowie dem seiner Familie: "Auf Herrn Kretschmann soll in seinem privaten Lebensbereich Druck ausgeübt werden."
Nur Einschüchterung?
Verbote müssen außerdem im Einzelfall verhältnismäßig sein. Das heißt, es muss abgewogen werden zwischen den Rechten der betroffenen Politikerinnen und Politikern und der Versammlungsfreiheit. Dabei ist zu beachten, dass die Versammlungsfreiheit auch das Recht schützt, den Ort der Versammlung frei zu wählen. Ein bestimmter Ort kann für den Zweck einer Demonstration von wesentlicher Bedeutung sein. So hatten Demonstranten 2012 vor dem Wohnhaus des damaligen Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit, Fluglärm simuliert. Damit wollten sie Wowereit klar machen, was sie bei einem Ausbau des Flughafens Schönefeld als Anwohner erleben müssten. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte diesen Protest für zulässig erklärt.
"Entscheidend finde ich, ob man - bei objektivierender Betrachtung - wie im Fall Wowereit wirklich 'nur' sein Kommunikationsanliegen unterstreichen will, oder ob man auch gerade die Einschüchterung bezweckt", sagt die Juristin Linzbach. "Je persönlicher es wird, desto weniger Schutz kann eine Versammlung und die mit ihr bezweckte Meinungskundgabe für sich in Anspruch nehmen."
Gehe es den Demonstrierenden mehrheitlich um eine Form der "Rache", um ein "Politiker zur Verantwortung ziehen", spreche das eher dafür, dass es primär um einen persönlichen Angriff gehe und nicht um plakative Kritik an den Corona-Maßnahmen. Das zeigten auch die mitgebrachten Trommeln und Fackeln, die an militärische Aufzüge erinnerten.
Machtkritik und ihre Grenzen
Wichtig im Rahmen der Abwägung ist auch, dass Machtkritik - also die Kritik an politischen Entscheidungsträgern - für das Funktionieren der Demokratie entscheidend ist. Politiker müssen deshalb grundsätzlich mehr aushalten als Privatpersonen. Das heißt aber nicht, dass sie gezielte Angriffe auf ihre Person oder reine Stimmungsmache hinnehmen müssen.
Auch "Politiker*innen sind darauf angewiesen, einen Rückzugsbereich zu haben", sagt Bredler. "Die Fackelmärsche zielen gerade darauf ab, für Angst und Schrecken zu sorgen. Das wird auch von anderen Politiker*innen beobachtet und geht damit über den Einzelfall hinaus. Das sind Bilder, die durch die Republik gehen. Und das darf nicht normalisiert werden."
Erst vor Kurzem hat das Bundesverfassungsgericht auf eine Verfassungsbeschwerde der Grünen-Politikerin Renate Künast hin entschieden, dass ein wirksamer Schutz von Politikern auch im öffentlichen Interesse liegt. Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft könne nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist.