Fall Lübcke Warnung vor "Hass der Rechten"
Nach dem Mord an Lübcke zeigen sich Politiker und Experten besorgt über die Gewaltbereitschaft rechter Gruppierungen. Die Kölner Oberbürgermeisterin Reker appelliert, "keinen Zentimeter zurückzuweichen".
Mit Blick auf den Fall des getöteten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke warnen Politiker und Rechtsextremismus-Experten vor der Gewaltbereitschaft und wachsenden Gefahren rechtsradikaler Gruppierungen.
"Für alle, die Widerstand gegen Neurechte organisieren, bedeutet dies, dass man auch längere Zeit danach, selbst wenn alles scheinbar wieder ruhig geworden ist, vom Hass der Rechten getroffen werden kann", sagte der frühere Bürgermeister im sachsen-anhaltischen Tröglitz, Markus Nierth dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland". Er selbst hatte sich für Flüchtlinge eingesetzt, war 2015 massiv von Rechtsextremisten bedroht worden und trat schließlich aus Sorge um seine Familie zurück.
Botschaft: "Irgendwann kriegen wir euch"
Die Botschaft im Fall Lübcke sei: "Irgendwann kriegen wir euch", betonte Nierth. "Natürlich wird dies einige Widerständler vorsichtiger und leiser werden lassen." Er kritisierte in diesem Zusammenhang auch die staatlichen Maßnahmen gegen rechten Terror als nicht ausreichend. Man werde den Verdacht nicht los, dass in manchen Gegenden sogar in Polizei und Justiz Verstrickungen mit rechtsradikalen Strukturen immer weiter wüchsen: "Damit schneidet sich unsere Demokratie selbst die Halsschlagader durch."
Auch die schweigende Mitte der Gesellschaft müsse klare Stellung beziehen. Jeder müsse in seinem Umfeld etwas tun und der Verrohung im Umgang miteinander widersprechen, sagte Nierth.
Reker fordert Zusammenhalt
Ähnliche Appelle kommen von der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Die Feinde der offenen Gesellschaft würden keine Grenzen kennen. "Sie sind bis auf das Äußerste zu allem bereit. Das muss uns wachsam machen, aber nicht ängstlich. Es muss uns zusammenhalten, aber nicht zusammenschrecken lassen", sagte Reker. "Denjenigen, die unsere offene und freie Gesellschaft bedrohen, muss klar sein, das wir keinen Zentimeter zurückweichen.
Reker war 2015 im Oberbürgermeister-Wahlkampf von einem rechtsextremistischen Attentäter mit einem Messer in den Hals gestochen und lebensgefährlich verletzt worden. Die heute 62-Jährige lag mehrere Tage im künstlichen Koma. Der Attentäter wurde wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu 14 Jahren Haft verurteilt.
Experte warnt vor neuem Neonazi-Terror
Der Rechtsextremismus-Experte Gideon Botsch warnt vor neuem Neonazi-Terror. Das Potenzial für rechten Terror in Deutschland sei "ein enorm hohes", sagte der Wissenschaftler des Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrums dem Berliner "Tagesspiegel". Die Neonazi-Szene habe bereits bewiesen, dass sie "zu Mordanschlägen willens und in der Lage" sei. Mit dem Abflauen der Aufmerksamkeit für rechte Straßenproteste drohe nun eine Zunahme terroristischer Akte.
Aktuell versuche die rechte Szene auch, ihre internationalen Kontakte wiederzubeleben. "Die nächsten zwölf bis 18 Monate werden besonders gefährlich", sagte Botsch: "Die Feindbilder sind markiert." Daran hätten sich auch die AfD und "Pegida" beteiligt.
Von Notz vermutet rechtsextremes Netzwerk
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Konstantin von Notz, vermutet ein rechtsextremes Netzwerk hinter der Tat. Die These, dass ein einzelner Täter hinter dem Mord stecke, halte er für "unwahrscheinlich", sagte von Notz im Morgenmagazin von ARD und ZDF. Er forderte die Sicherheitsbehörden auf, "stärker in der Analyse der Netzwerkstrukturen" zu werden.
Der Mord müsse "für uns alle ein Weckruf sein", erklärte er. Der Vorwurf, Behörden seien "auf dem rechten Auge blind", könne aber in der Form nicht mehr gemacht werden, erklärte er.
Was wussten die Geheimdienste?
Die Linken-Innenexpertin Martina Renner verlangt Aufklärung darüber, was die Geheimdienste über den mutmaßlichen Täter Stephan E. und sein Umfeld gewusst hätten. Die Kasseler Szene sei "so virulent militant, gewalttätig, dass ich glaube, dass die auf jeden Fall im Fokus auch der Sicherheitsbehörden stand", sagte Renner im Deutschlandfunk.