Baden-Württemberg Anschlag in Magdeburg: BW-Polizeigewerkschaft fordert mehr Befugnisse
Schärfere Gesetze und mehr Befugnisse für die Polizei - das will die Deutsche Polizeigewerkschaft in BW nach dem Anschlag von Magdeburg. Auch an Informationen mangele es häufig.
Nach dem Anschlag in Magdeburg verlangt die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPoIG) in Baden-Württemberg schärfere Sicherheitsgesetze und mehr Befugnisse. Der stellvertretende Bundesvorsitzende und BW-Landesvorsitzende der DPolG, Ralf Kusterer, kritisierte, die Polizeibehörden würden oft die notwendigen Informationen nicht bekommen und seien häufig sogar auf Hinweise von befreundeten ausländischen Geheimdiensten angewiesen. "Deshalb müssen wir in dem Bereich der Kommunikation und der Kommunikationsüberwachung deutlich zulegen."
Wir brauchen einen Wechsel vom Täter- zum Opferschutz. Hier muss auch die Politik handeln. Besuche der Tatorte alleine reichen nicht. Ralf Kusterer, stellvertretender Bundesvorsitzender Deutsche Polizeigewerkschaft
Videoüberwachung und Poller auf Weihnachtsmärkten
Für Kusterer ist es eine klare Aufgabe der Politik, Gesetzesänderungen zu veranlassen, sodass die Polizei wieder ihre Arbeit machen könne. Auch eine Videoüberwachung sei dringend geboten. "Es kann nicht sein, dass wir bei Vorfällen wie in Magdeburg auf private Handy-Filme angewiesen sind. Wir brauchen einen Wechsel vom Täter- zum Opferschutz. Hier muss auch die Politik handeln. Besuche der Tatorte alleine reichen nicht", so Kusterer.
Zu den vielerorts verschärften Sicherheitsvorkehrungen am Wochenende sagte Kusterer: "Wer in den letzten Tagen Feuerwehrfahrzeuge oder andere Fahrzeuge zum erweiterten Schutz von Weihnachtsmärkten aufgestellt hat, muss nachbessern." Mobile Polleranlagen wie die beim Weihnachtsmarkt in Stuttgart, seien eine gute Lösung. "Eine ideale Lösung sind festverbaute Poller, die man für Zulieferer und Rettungsdienste bei Bedarf öffnen kann", sagte der DPolG-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg. Denn Poller schützen Weihnachtsmärkte vor unautorisierter Einfahrt von Kraftfahrzeugen.
Mehr als 2.700 Polizeibeamte fehlen in BW
Nach Ansicht des Gewerkschaftsvorsitzenden fehlen in Baden-Württemberg 2.700 Polizeibeamtinnen und -beamte. "Wir können nicht überall stehen und schon gar nicht den Schutz bieten, den beispielsweise technische Anlagen bieten können." Ralf Kusterer fordert, dass Betreiber den technischen Schutz dringend ausweiten, damit sich die Polizei vermehrt dem "Innenschutz" zuwenden könne.
Die DPolG kritisierte generell fehlende Konsequenzen und politische Maßnahmen nach Amoktaten. Das hätten schon die Vorfälle in Mannheim und Solingen gezeigt. "Dabei gehe es auch um Videoüberwachung und gesetzliche Grundlagen der Vorratsdatenspeicherung. Aber auch um Rechtsanpassungen, um wirksam vorbeugend tätig werden zu können", so die Polizeigewerkschaft.
Der BW-Datenschutzbeauftrage Tobias Keber, sieht eine stärkere Videoüberwachung kritisch. Dem SWR sagte er, es gelte, die Bedürfnisse von Sicherheit gegenüber Grundrechtseingriffen sorgsam abzuwägen. Zudem stelle sich die Frage, "wie eine Videoüberwachung im Fall eines Angriffs auf eine Person überhaupt helfen kann", so Keber.
Nach Kritik: BW- und Bundespolitiker diskutieren Maßnahmen
Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) forderte die Bundesregierung auf, in Bezug auf Fragen zur Inneren Sicherheit und Terrorismusbekämpfung endlich den Vermittlungsausschuss anzurufen. Im Vermittlungsausschuss arbeiten Vertreter von Bundestag und Bundesrat an Kompromissen. "Vor allem die dringend zur Terrorismusbekämpfung notwendige Speicherung von Telekommunikationsdaten könnten wir dann schnell beraten und beschließen", teilte Strobl auf SWR-Anfrage mit. Die FDP habe hier bisher blockiert. Nachdem diese nicht mehr der Bundesregierung angehört, wären hier nach Ansicht von Strobl schnell gute Ergebnisse möglich.
Strobl lobte die aus seiner Sicht guten Sicherheitskonzepte der Weihnachtsmärkte in Baden-Württemberg. Am Wochenende hatte er sich ein Bild von der Sicherheitslage auf dem Weihnachtsmarkt in Stuttgart gemacht. In BW seien die Kräfteeinheiten dezent erhöht, die Poller hochgefahren worden und auch die Anti-Terror-Sperren stünden präventiv bereit, sagte Strobl. "Wir haben ein starkes und sehr konkretes Sicherheitskonzept für unsere Weihnachtsmärkte." Zudem gibt es nach Angaben des Innenministeriums trotz anhaltender Pensionierungswelle 300 Polizistinnen und Polizisten mehr als 2016. Bis 2026 solle sich dieser personelle Zuwachs auf mehr als 1.000 fertig ausgebildete Polizistinnen und Polizisten belaufen.
Dennoch rangiert Baden-Württemberg bei der sogenannten Polizeidichte, also der Anzahl der Polizistinnen und Polizisten, die auf 100.000 Einwohner kommen, bundesweit seit Jahren auf dem letzten Platz. Das berichten die "Stuttgarter Nachrichten".
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) warf der FDP im "Spiegel" vor, weitergehende Gesetzesänderungen zur inneren Sicherheit zu blockieren. "All diese Gesetzentwürfe von uns könnten sofort beschlossen werden, wenn Union und FDP sich dem nicht verweigern." FDP-Generalsekretär Marco-Buschmann warnte hingegen vor vorschnellen Schlüssen und einem "Überbietungswettbewerb um symbolische Maßnahmen". Auch SPD-Generalsekretär Matthias Miersch schloss sich der Warnung vor vorschnellen Schlüssen und gesellschaftlicher Spaltung an.
Der baden-württembergische SPD-Innenpolitiker Lars Castellucci (Wahlkreis Rhein-Neckar) forderte nach dem Weihnachtsmarkt-Anschlag von Magdeburg eine konsequente Prüfung möglicher Versäumnisse von Sicherheitsbehörden. "Das muss jetzt minutiös nachvollzogen werden, warum wir da nicht vorher haben wachsam sein können", sagte Castellucci im ZDF-Morgenmagazin. Der Täter sei offenbar zuvor keinesfalls unauffällig gewesen.
Täter von Magdeburg möglicherweise psychisch krank
Die Hinweise auf eine gravierende psychische Erkrankung des Täters von Magdeburg verdichten sich, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Sicherheitskreisen erfuhr. Damit wird es unwahrscheinlicher, dass der Generalbundesanwalt in Karlsruhe die Ermittlungen zu der Todesfahrt über den Weihnachtsmarkt übernimmt. Der Generalbundesanwalt ist zuständig für Verfahren im Bereich des Staatsschutzes, also der politisch motivierten Kriminalität.
Sendung am Mo., 23.12.2024 11:30 Uhr, SWR1 BW Nachrichten - SWR1 BW