Der Landesdatenschutzbeauftragte Tobias Keber

Baden-Württemberg BW-Datenschutzbeauftragter Keber: Digitale Souveränität gibt es "nicht zum Nulltarif"

Stand: 28.06.2024 19:04 Uhr

Seit einem Jahr ist Tobias Keber oberster Datenschützer im Land. Im Interview mit SWR Aktuell erzählt er, warum seine Behörde vor der Fußball-EM unter Hochdruck gearbeitet hat, wo die Tücken digitaler Nachhilfelehrer liegen und wofür es sich lohnt, Geld auszugeben.

SWR Aktuell: Herr Keber, Sie sind - wenn ich Sie zitieren darf - bei Ihrem Amtsantritt auf einen "fahrenden Zug" aufgesprungen. Wie war die Fahrt bisher?

Tobias Keber: Der Zug fährt schnell. Das liegt an den technischen Entwicklungen, die ein gewisses Tempo mit sich bringen. Und die Landschaft, die vorbeizieht, ist sehr unterschiedlich - jeden Tag beschäftigen uns neue Aufgaben. Dabei spielen auch immer wieder die datenpolitischen Weichen eine Rolle, die zum Teil aber gar nicht hier in Baden-Württemberg, sondern in Brüssel bei der Europäischen Union gestellt werden.

SWR Aktuell: Welche Aufgaben stehen denn aktuell an?

Keber: Wir beraten die Landesregierung auch bei Gesetzgebungsverfahren. Aktuell geht es darum, wie man beim Digitalrecht am Ball bleibt und wie man mit Künstlicher Intelligenz umgeht.

SWR Aktuell: Künstliche Intelligenz kann inzwischen unsere E-Mails beantworten oder Ärztinnen und Ärzten bei Diagnosen helfen. Gleichzeitig gilt sie als Datenkrake…

Keber: Bleiben wir mal beim Gesundheitsbereich. Künstliche Intelligenz kann hier Großartiges leisten. Aber was die Daten angeht, ist hier ein sehr sensibler Bereich betroffen. Das fängt schon beim Training von Programmen, die mit Künstlicher Intelligenz arbeiten, an. Da stellt sich die Frage, mit welchen Daten hier trainiert wird. Wo kommen diese Daten her? Wissen die Menschen, wozu ihre Daten genutzt werden? Unproblematisch ist es immer dann, wenn Daten anonymisiert werden. Das müssen die Hersteller aber durch technische und organisatorische Verfahren sicherstellen.

So hat SWR Aktuell Baden-Württemberg über den aktuellen Bericht des Landesdatenschutzbeauftragten berichtet:

SWR Aktuell: Grünen-Fraktionschef Schwarz hat gefordert, Künstliche Intelligenz an Schulen als digitale Nachhilfelehrer einzusetzen. Was halten Sie davon?

Keber: Natürlich ist es eine gute Idee, mit technischen Mitteln ein Stück weit auch Bildungsgerechtigkeit herzustellen. Aber das System muss die Person gut kennen, um individuelle Tipps geben zu können. Deshalb muss ich dem System vertrauen können. Ich hätte zum Beispiel ein sehr schlechtes Gefühl, wenn diese Daten von Schülerinnen und Schülern, die vielleicht auch noch minderjährig und damit besonders vulnerabel sind, zu einem kommerziellen Anbieter wandern und dieser schlimmstenfalls auch noch Geld mit den Daten verdient. Das kann nicht sein. Da muss es Systeme geben, die das unter der Kontrolle der Bildungseinrichtungen tun.

SWR Aktuell: Das ist in der Vergangenheit aber schon ordentlich schief gegangen. Die von der damaligen Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) geplante Bildungsplattform "Ella" ist am Schluss gescheitert - und hat trotzdem Millionen verschlungen. Außerdem hinken wir doch so den aktuellen Entwicklungen auf dem freien Markt immer hinterher, oder nicht?

Keber: Das Argument kann nicht immer sein, dass wir die Schnellsten sein müssen - egal wie gut das System ist. Wir müssen natürlich versuchen, auf aktuelle technische Entwicklungen rechtsstaatlich und angemessen zu reagieren. Das ist ein Kraftakt, weil es viel Arbeit unter hohem Druck bedeutet - und am Ende des Tages kostet es auch Geld. Digitale Souveränität wird es nicht zum Nulltarif geben. Hinzu kommt, wenn man solche Systeme ordentlich an den Start bringen will, zahlt sich das erst auf längere Zeit aus. Kurzfristig gewinnt man damit vielleicht nichts, langfristig stärkt es das Vertrauen in die technische Entwicklung.

SWR Aktuell: Was beschäftigt Sie sonst noch - außer Künstlicher Intelligenz?

Keber: Im Zusammenhang mit der Europameisterschaft haben wir uns zum Beispiel viel mit Videoüberwachung beschäftigt. Also, wie viel Videoüberwachung braucht man? Und wie genau kann die ausgestaltet werden, damit sie grundrechtskonform ist?

SWR Aktuell: Wegen was gab es hier Bedenken?

Keber: Es werden zum Beispiel Besucherströme mit Kamerasystemen beobachtet. Wenn es auf einer Straße zu voll wird, kann der Besucherstrom umgeleitet werden oder es werden zusätzliche Ausgänge geöffnet. Dafür muss ich aber nicht fotorealistische Bilder der Gesichter haben, sondern ich muss einfach nur wissen, wie viele Menschen unterwegs sind. Wir haben uns deshalb im Voraus einen Teil der Kameras angeschaut: welche das sind, mit welcher Software sie laufen, in welchem Winkel sie hängen. Stellenweise hat man uns aber gar nicht oder erst sehr spät eingebunden. Das ist sehr ärgerlich, wenn wir zentrale Informationen erst ganz kurz vor der Veranstaltung erhalten und unter Hochdruck durcharbeiten müssen.

SWR Aktuell: Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) will sich für stärkere Videoüberwachung einsetzen. Hintergrund ist die tödliche Attacke in Mannheim vor mehr als vier Wochen. Die Videoüberwachung auf dem Marktplatz musste zur Tatzeit ausgeschaltet werden, weil eine politische Organisation dort einen Infostand aufgebaut hatte und das als Versammlung gilt. Strobl will diese Regelung ändern. Was halten Sie davon?

Keber: Die Versammlungsfreiheit, die für diese Konstellation eine Rolle spielen kann, ist ein sehr hohes Gut - genauso wie die Informationelle Selbstbestimmung. Auch Sicherheit ist ein wichtiges Rechtsgut. Im Einzelfall ist jeweils bei Grundrechtseingriffen sorgsam abzuwägen. Das kann schließlich auch einen abschreckenden Effekt haben: Wenn ich glaube, unter ständiger visueller Überwachung zu stehen, versammle ich mich dann überhaupt noch? Außerdem ist die Frage, wie eine Videoüberwachung im Fall eines Angriffs auf eine Person überhaupt helfen kann.

SWR Aktuell: Innenminister Strobl sagte, die Polizei sei dadurch bei der Aufklärung von Straftaten auf die Videoaufnahmen angewiesen, die andere Leute machten.

Keber: Auch da würden sich dann mitunter Fragen stellen nach Beweisverwertungsverboten. Ich glaube, es ist in der Einzelfallbetrachtung schon etwas komplexer.

SWR Aktuell: Datenschützer werden oft als Bremser wahrgenommen. Wie gehen Sie mit diesem Image um?

Keber: Das steht immer im Raum. Aber das ist wie bei einem Auto. Das hat auch ein Gaspedal und eine Bremse. Da würde keiner auf die Idee kommen, zu sagen, die Bremse ist grundsätzlich schlecht. Es kommt nur darauf an, wie oft man sie tritt. Beim Datenschutz geht es nicht darum, Techniken wie die Künstliche Intelligenz zu verbieten, sondern immer wieder Risiken abzuwägen. Trotzdem kann man innovationsfreundlich denken. Der Datenschutz könnte sogar als Wettbewerbsvorteil gesehen werden. Wenn die Bremse sehr gut funktioniert, ist das Auto verlässlich und sicher. Bürgerinnen und Bürger sollten Systemen vertrauen können - und Datenschutz liefert Vertrauen.

SWR Aktuell: Ihr Vorgänger Stefan Brink galt als unbequemer Kritiker. Sein Verhältnis zu Teilen der Landesregierung war zerrüttet. Wie ist das bei Ihnen?

Keber: Ich erlebe das bis jetzt als sehr konstruktiv. Es gibt einige Punkte, bei denen man unterschiedlicher Auffassung ist. Aber das finde ich gar nicht schlimm. Wir haben schließlich auch unterschiedliche Rollen. Grundsätzlich fühle ich mich aber schon gut eingebunden. Wir werden bei Gesetzgebungsvorhaben, bei konkreten Vorhaben und Projekten gefragt. Manchmal hat man dann eine Meinungsverschiedenheit, aber dann versucht man, gemeinsam eine Lösung zu finden.

SWR Aktuell: Brink hat immer wieder die Medienöffentlichkeit gesucht. Er hat sich zu aktuellen Debatten geäußert oder mit Aktionen auf sich aufmerksam gemacht - zum Beispiel, indem er sein Twitter-Profil gelöscht hat. Um Sie ist es bisher ruhiger. Ist das auch eine Strategie?

Keber: Ich scheue die Medienöffentlichkeit nicht, aber ich suche sie jetzt auch nicht in jedem Fall und überall. Ich kümmere mich in erste Linie um die Themen und Probleme, die auf meinem Schreibtisch landen. Da habe ich schon genug zu tun. Langweilig ist mir auf keinen Fall. Ich glaube aber schon, dass man bestimmte Themen bewusst setzen muss. Da brauchen wir eine gesellschaftliche Debatte.

SWR Aktuell: Wozu brauchen wir denn gerade eine gesellschaftliche Debatte?

Keber: Ein Thema, das immer relevanter wird, ist hochautomatisiertes Fahren. Sie können ein Auto nicht allein auf der Autobahn fahren lassen ohne Daten. Das sind dann aber personenbezogene Daten. Aber wo werden die gespeichert? Wer darf auf diese Daten zugreifen? Und wo kann hier das Problem liegen? Das muss man den Bürgerinnen und Bürgern erstmal erklären.

SWR Aktuell: Haben Sie bei der Wissensvermittlung als früherer Hochschulprofessor einen Vorteil?

Keber: Das ist tatsächlich so. Es macht mir nach wie vor Spaß, Dinge zu erklären und Fragen zu beantworten. Manche Fragen liefern mir auch neue Denkanstöße, weil ich es so noch nie betrachtet habe. An sowas wächst man.

SWR Aktuell: Was wollen Sie in den nächsten Jahren als Datenschutzbeauftragter noch erreichen? Haben Sie sich ein Ziel gesetzt?

Keber: Ja, nämlich Begleiter zu sein für gute Digitalisierung und Technisierung. Was mich ein bisschen umtreibt: Es gab neulich einen Fachbeitrag über die Google-Rezensionen zu unserer Behörde, die nicht so gut sind. Das bildet wahrscheinlich nicht die Gesamtzufriedenheit ab. Wir haben auch viele Verfahren abzuarbeiten und nicht so wahnsinnig viele Leute. Aber ich will, dass die Bürgerinnen und Bürger gern zu uns kommen.

Wer ist Tobias Keber?

Seit dem 1. Juli 2023 ist Tobias Keber Landesdatenschutzbeauftragter in Baden-Württemberg. Zuvor war er Professor an der Hochschule der Medien in Stuttgart und lehrte dort Medienrecht und Medienpolitik in der digitalen Gesellschaft. Zusätzlich hatte er einen Lehrauftrag an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Vor seiner akademischen Laufbahn war er Rechtsanwalt.

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