Rucksäcke von Kindern vor einem Klassenzimmer in einer Grundschule

Baden-Württemberg Ganztagsbetreuung in der Grundschule? Über Fördergeld entscheidet in BW nun das Los

Stand: 08.08.2024 11:01 Uhr

Ab 2026 müssen Grundschulen Kindern einen Betreuungsplatz garantieren. In BW soll nun per Los entschieden werden, wer Fördermittel bekommt. Ein Fall aus Hemmingen (Kreis Ludwigsburg).

Diese Woche haben viele Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg Post von den Regierungspräsidien bekommen. Darin wurde ihnen mitgeteilt, dass das Investitionsprogramm für den Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung dreifach überzeichnet ist. Nun muss per Los entschieden werden, welche Anträge zunächst geprüft werden. Das Schreiben der vier Regierungspräsidien liegt dem SWR vor.

Das Investitionsprogramm legt der Bund auf. Baden-Württemberg bekommt 380 Millionen Euro aus dem Topf. Nach Angaben verschiedener Kommunalverbände gingen allerdings Anträge in Höhe von 1,2 Milliarden Euro ein und damit dreimal so viele Anträge wie es momentan Geld gibt. Die Fördermittel vom Bund sollen in die Infrastruktur der Schulen fließen. Sie sollen damit unter anderem räumliche Kapazitäten schaffen, um Grundschulkinder ab 2026 auch nach dem Unterricht betreuen zu können. Ab dann tritt der Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung in Kraft.

Hemmingen hat bereits Firmen beauftragt - und geht vielleicht leer aus

Die Gemeinde Hemmingen (Kreis Ludwigsburg) hat sich bereits darauf vorbereitet, mehr Platz für die Betreuung zu schaffen. Sie hat Firmen damit beauftragt, den Hort der örtlichen Grundschule zu vergrößern.

Der Plan war da, die Baugenehmigung auch schon: 2,2 Millionen Euro wird die Vergrößerung in Hemmingen laut Verwaltung kosten. Die Gemeinde ging davon aus, etwa 75 Prozent der Ausgaben vom Bund gefördert zu bekommen. Doch da nun per Los entschieden werden soll, wer Geld bekommt, könnte Hemmingen auch leer ausgehen. Den Bürgermeister von Hemmingen, Thomas Schäfer (CDU), macht das fassungslos. "Da lasse ich auch das Land Baden-Württemberg nicht ganz aus der Verantwortung, auch wenn das ein vom Bund angestoßenes Gesetz ist", sagte Schäfer. "Aber die Länder waren ja auch über den Bundesrat mit beteiligt. Und dann ist man als Kommune wieder das letzte Glied in der Kette. Wir dürfen die Suppe dann auslöffeln!"

Dass gelost werden muss, habe ich nicht für möglich gehalten. Es geht ja auch um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Da war das mit dem Rechtsanspruch eine wichtige gesamtgesellschaftliche Weichenstellung. Thomas Schäfer (CDU), Bürgermeister Hemmingen

In Hemmingen sei es ihm als Bürgermeister und dem Gemeinderat wichtig, beim Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch auf kommunaler Ebene voranzukommen, so Schäfer. Wenn jetzt die Ganztagsbetreuung nicht gewährleistet werden könne und man gelost werde, sei das auch ein schlechtes Signal an die Gesellschaft. "Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass gelost werden muss", sagte er. "Auch beim Thema Fachkräftemangel müssen wir schauen, dass alle möglichst schnell wieder arbeiten können - und trotzdem Kinder kriegen können." Dies für die Menschen gut zu regeln, könne nicht allein den Kommunen überlassen werden.

Kommunalverbände fordern Rechtsanspruch zu verschieben

Kommunale Spitzenverbände kritisieren das Losverfahren. Damit werde der Ganztagesrechtsanspruch zum Offenbarungseid, weil durch den Losentscheid viele 100 Schulträger leer ausgingen, kritisiert der Gemeindetag Baden-Württemberg. Der Landkreistag wirft Bund und Land vor, die Erfüllung des Rechtsanspruchs dem Zufall preiszugeben.

Beide appellieren an das Land, einzuspringen, wenn die Fördermittel des Bundes ausgeschöpft seien. Es dürfe nicht sein, dass die Kommunen in allen Bereichen, von den Krankenhäusern über die Geflüchtetenaufnahme bis hin zur Ganztagsbetreuung, zu Ausfallbürgen des Landes werden. Spätestens jetzt sei zu erkennen, dass der Rechtsanspruch ab 2026 nicht haltbar sei. Ihn zurückzunehmen oder ihn zumindest deutlich zu verschieben, wäre die richtige Maßnahme, so die Verbände.

Das Kultusministerium wies auf SWR-Anfrage darauf hin, dass die Landesregierung in den vergangenen beiden Jahren jeweils 133 Millionen Euro für Betreuungsangebote zur Verfügung gestellt habe.

Verbände halten Pläne wegen Personalmangels für unrealistisch

Vor fast genau einem Jahr hatte der Gemeindetag bereits davor gewarnt, dass die Ganztagsbetreuung in Grundschulen nicht realisierbar sei - wegen Personalmangels. Dafür würden Fachkräfte fehlen, sagte Steffen Jäger, Präsident des Gemeindetags Baden-Württemberg. "Wenn ein Rechtsanspruch in einer Phase verabschiedet wird, in der wir schon wissen, dass der Arbeitsmarkt komplett leergefegt ist, dann haben wir die Sorge, dass damit ein Versprechen gegeben wird, das so nicht haltbar ist."

Bund und Länder haben den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung 2021 beschlossen. Er soll schrittweise eingeführt werden. Ab dem Schuljahr 2026/2027 greift die Regelung bei Kindern der ersten Klasse, ab 2029/2030 bei allen Klassen.

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