BW-Ministerpräsident Kretschmann (Grüne) will die Pläne für ein Antidiskriminierungsgesetz fallen lassen.

Baden-Württemberg Kretschmann will Gesetz gegen Diskriminierung fallen lassen - und löst Zoff bei Grünen aus

Stand: 01.10.2024 19:55 Uhr

Monatelang haben Kommunen, Wirtschaft und Teile der CDU Front gegen das geplante Gleichbehandlungsgesetz gemacht. Es drohe ein "Bürokratiemonster". Nun lenkt der Regierungschef ein - sehr zum Ärger des linken Grünen-Flügels.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will die Pläne für ein Antidiskriminierungsgesetz nach SWR-Informationen fallen lassen - ganz vom Tisch scheint das Vorhaben aber noch nicht zu sein. Nachdem der SWR am Dienstagmorgen einen Brief des Staatsministeriums an Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz mit der Absage an das Gesetz öffentlich gemacht hatte, gab es massiven Protest vom linken Flügel der Grünen.

Die Regierungszentrale sah sich daraufhin am Dienstagnachmittag gezwungen, das Nein zu dem Gesetz zu relativieren. "Wir stehen weiter darüber im Austausch, wie wir die Ziele des Gleichbehandlungsgesetzes wirksam und unbürokratisch erreichen", teilte ein Sprecher mit. Was dies genau bedeutet, blieb offen. In Regierungskreisen hieß es, Kretschmann sei schon länger der Meinung, dass das Gesetz nicht mehr in die Zeit passe.

Diskussion um Gleichbehandlungsgesetz in BW

Was bedeutete das geplante Gleichbehandlungsgesetz in BW?

Hinter dem sperrigen Begriff "Gleichbehandlungsgesetz" steckt die Idee der Landesregierung, dass sich Bürgerinnen und Bürger leichter gegen Benachteiligungen bei Behörden wehren können. Wer also zum Beispiel mit dem Finanzamt, der Ausländerbehörde oder mit der Polizei zu tun hat und dabei das Gefühl bekommt, er wird zum Beispiel wegen seiner Nationalität, einer Erkrankung oder seiner sexuellen Identität benachteiligt, dann soll der oder die Betroffene leichter etwas dagegen unternehmen können. Wenn es klare Hinweise auf eine Diskriminierung gibt, dann liegt es dem Gesetzentwurf nach nämlich an der Behörde, nachzuweisen, dass es keine Diskriminierung gab. Bisher mussten die Bürgerin oder der Bürger eine ungerechtfertigte Benachteiligung beweisen. Das nennt sich "Beweislast-Erleichterung". Zum ersten Mal hätten Betroffene damit einen gesetzlich verankerten Anspruch auf Schadenersatz oder Schmerzensgeld.

CDU zeigt sich erfreut: Kurswechsel vollkommen richtig

Unterdessen hatten CDU, Kommunen und Wirtschaft schon erfreut auf Kretschmanns Kurswechsel reagiert. CDU-Partei- und Fraktionschef Manuel Hagel erklärte, wichtig sei, Bürokratie abzubauen und nicht neue aufzubauen. "Zu diesen beiden wichtigen Zielen stand aus unserer Sicht das Gleichbehandlungsgesetz schon immer in einem Widerspruch." Das geltende Recht reiche aus. "Wenn unser grüner Koalitionspartner nun auf das Gleichbehandlungsgesetz verzichten möchte und auf unseren Kurs einschwenkt, finden wir das vollkommen richtig."

Staatsminister fordert von Grünen-Fraktion Verzicht auf Gesetz

In einem Brief hatte der Chef des Staatsministeriums, Florian Stegmann (Grüne), bereits Ende August angekündigt, dass man den Gesetzentwurf wegen des Protests aus Kommunen, Wirtschaft, Ministerien und Normenkontrollrat nicht weiterverfolgen werde. Wörtlich schreibt der politische Beamte Stegmann: "Sowohl aus grundsätzlichen Erwägungen als auch aufgrund der konkreten Ausgestaltung kann und werde ich den aktuell vorliegenden Entwurf für ein Gleichbehandlungsgesetz nicht in die weitere Regierungsabstimmung bringen."

Er fordere daher "die die Regierung tragenden Fraktionen auf, auf die Umsetzung des Koalitionsvertrags in diesem Punkt vor dem Hintergrund der aktuellen Lage und Diskussion zu verzichten". Diese Formulierung deutet darauf hin, dass Stegmann den gleichlautenden Brief eigentlich auch an CDU-Fraktionschef Manuel Hagel schicken wollte. Doch die CDU hat das Schreiben entgegen ersten Angaben nicht bekommen.

Grünen-Fraktion will Gesetz nicht kampflos aufgeben

In der Grünen-Fraktion hieß es, man werde um das Gesetz kämpfen. Dort sieht man die Verantwortung bei Stegmann. Vor allem beim linken Flügel gibt es Widerstand: Der frühere Landesparteichef und heutige Fraktionsvize Oliver Hildenbrand erklärte: "Ich kämpfe seit den Koalitionsverhandlungen für dieses Gesetz. Und ich gebe es nicht auf." Es gehe darum, "dass niemand aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Religion, Sprache oder anderen Merkmalen benachteiligt werden darf".

Grünen-Co-Chef Pascal Haggenmüller, ebenfalls vom linken Flügel, unterstützte Hildenbrand: "Ich bestehe auf die Umsetzung des Gleichbehandlungsgesetzes. Gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, Menschen mit Diskriminierungserfahrung Sicherheit im Umgang mit staatlichen Behörden zu geben." Bürokratieabbau dürfe nicht zum "Totschlagargument" werden. SPD-Fraktion, Sozialverbände und Gewerkschaften wie ver.di. stehen ebenfalls hinter dem Projekt.

Linker Grünen-Flügel brachte Vorhaben in Koalitionsvertrag

Mit dem Gesetzentwurf sollten sich Bürgerinnen und Bürger künftig leichter gegen eine Benachteiligung durch Behörden wehren können. Vor einem Dreivierteljahr hatte die Regierung den ersten Entwurf aus dem CDU-geführten Innenministerium gebilligt. Das Vorhaben war vor allem auf Drängen von Hildenbrand im Koalitionsvertrag gelandet. Danach soll das Recht auf Gleichbehandlung auch beim Finanzamt, in der Ausländerbehörde oder auf dem Polizeirevier gelten. Damit hätte das Land das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz des Bundes ergänzt, das auf den privaten Bereich zielt - wie etwa die Gleichbehandlung bei der Wohnungssuche oder am Arbeitsplatz.

Bundesbeauftragte rügt Kretschmann als "mutlos"

Ferda Ataman, Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, sagte dem SWR: "Es ist fatal, dass der Ministerpräsident die Menschen im Land nicht vor Diskriminierung durch staatliche Stellen schützen will." Menschen erlebten Diskriminierung auch in Baden-Württemberg. "Zum Beispiel, wenn jüdische Kinder in der Schule antisemitisch gemobbt werden, wenn Eltern keinen Kita-Platz für ihr schwarzes Kind bekommen oder wenn behinderte Menschen in Ämtern auf Barrieren stoßen. Sie alle können dagegen rechtlich nichts tun, weil das Bundes-Antidiskriminierungsgesetz hier nicht gilt." Wenn Kretschmann nun das geplante Landesgesetz fallen lasse, sei das "mutlos": "In einer Zeit, in der rechtspopulistische Parteien von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilen, wirkt Kretschmanns Rückzieher wie eine Kapitulation vor einem neuen, populistischen Trend", so Ataman.

Auch die SPD-Fraktion zeigte sich enttäuscht über Kretschmann: "Das Scheitern des Gleichbehandlungsgesetzes ist ein weiterer Rückschlag für viele, viele Menschen, die in unserem Land tagtäglich von Diskriminierung betroffen sind", sagte Florian Wahl, queerpolitischer Sprecher. Er übte harte Kritik an den Grünen. "Damit lassen Sie auf Kosten des Koalitionsfriedens die Menschen im Stich, und wer einst grüne Ziele gewählt hatte, bekommt jetzt doch nur CDU pur."

Kommunen befürchteten "Misstrauen gegenüber dem Staat"

Die Kommunen reagierten am Dienstag erleichtert auf die Entscheidung der Staatskanzlei. "Wer entbehrliche Aufgaben und Standards abbauen will, darf keine neuen unnötigen Hürden errichten", erklärten Gemeinde-, Städte- und Landkreistag unisono. "Ein Gesetz, das Misstrauen gegenüber dem Staat und den öffentlich Beschäftigten sät, wäre in diesen herausfordernden Zeiten das absolut falsche Signal gewesen."

Staatsminister sieht Fortschritte bei Bürokratie-Abbau in Gefahr

Kretschmann hatte denn auch vor wenigen Monaten erklärt, der Abbau der überbordenden Bürokratie im Land sei zentrales Anliegen seiner Regierung. Nach längerem Drängen von Kommunen und Wirtschaft hatte der Grünen-Politiker eine sogenannte Entlastungsallianz gegründet, in der staatliche Regeln entschlackt werden sollen. Stegmann, der auch Koordinator der Landesregierung für den Bürokratieabbau ist, erklärt dazu: "Diese mühevoll erarbeiteten Erfolge sehe ich nun in Gefahr, wenn ich mir die Stellungnahmen zum Anhörungsentwurf des Gleichbehandlungsgesetzes ansehe."

Der Staatsminister zählt in seinem vierseitigen Brief die Einwände von Normenkontrollrat und Kommunen auf. So habe der Rat vor einem "Generalverdacht" gegen die Verwaltung und dem Aufbau neuer Strukturen gewarnt. Die kommunalen Spitzenverbände hätten zudem kritisiert, dass zusätzliche Klagemöglichkeiten dazu führen könnten, dass Behörden noch langsamer entscheiden - etwa bei der Genehmigung von Bauanträgen.

Gesetz könnte auch Schulen und Lehrkräfte beeinträchtigen

Stegmann befürchtet auch negative Konsequenzen für Schulen und Lehrkräfte: "Für äußerst bedenklich halte ich zudem, dass laut Einschätzungen von Kultusseite der sehr weit gefasste Anwendungsbereich des Gesetzes dazu führen würde, dass sämtliches pädagogisches Handeln umfasst wäre - von Notengebung über Lob und Tadel bis hin zur Durchsetzung von Verhaltensregeln, aber auch bereits Schritte vor Einschulung und die Empfehlung der Schulwahl."

Wenn Eltern angebliche Benachteiligungen anfechten wollten, müssten Lehrkräfte das Gegenteil beweisen. "Folglich müssten Schulleiterinnen und Schulleiter sowie Lehrkräfte sämtliche schulische Maßnahmen laufend dokumentieren - ein riesiger Aufwand." Stegmann schreibt weiter an den Fraktionschef: "Die Regierungskoalition müsste sich zurecht die Frage gefallen lassen, wie viel von ihrem kraftvollen Bildungspaket in den Schulen ankommen würde, wenn gleichzeitig dem Lehrpersonal ein solcher Mehraufwand aufgebürdet würde."

Anspruch auf Schadenersatz war im Gesetz vorgesehen

Durch das Gesetz bekämen die Betroffenen erstmals einen gesetzlich verankerten Schadens- und Schmerzensgeldanspruch, wenn sie durch eine Behörde oder öffentliche Stelle diskriminiert werden. Dabei soll es eine sogenannte Beweislast-Erleichterung geben. Das heißt, wenn es klare Indizien für eine Benachteiligung gibt, muss die Behörde nachweisen, dass keine Diskriminierung stattgefunden hat. Anders als etwa im Land Berlin soll es aber kein Verbandsklagerecht und auch keine Beweislastumkehr geben.

Sendung am Di., 1.10.2024 6:00 Uhr, SWR1 BW Nachrichten

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