Prof. Jörg Kinzig (re) vom Institut für Kriminologie an der Uni Tübingen neben Prof. Thomas Bliesener, Kriminologisches Institut Niedersachsen

Baden-Württemberg Kriminologische Gesellschaft trifft sich in Tübingen

Stand: 28.09.2024 08:52 Uhr

Mord und Totschlag als Tagesgeschäft: In Tübingen findet seit Donnerstag die Fachtagung der Kriminologischen Gesellschaft statt. 270 internationale Experten sind dafür angereist.

Ihre Arbeit beginnt dort, wo andere kriminell werden. Ob Kriegsverbrechen, Polizeigewalt, Femizide, Messerangriffe oder die Legalisierung von Cannabis: Die Themen der Kriminologen sind bunt gemischt. Drei Tage diskutieren die Spezialisten und tauschen sich aus. 270 Mitglieder der Kriminologischen Gesellschaft sind dafür in Tübingen angereist. Die meisten kommen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Aber auch Gäste aus den Niederlanden, Großbritannien oder Taiwan sind dabei.

Falsche Zahlen sorgen für Ärger

Ein großes Ärgernis für sie alle: Immer wieder würden Polizeistatistiken von Politik, Medien und der Öffentlichkeit falsch interpretiert – das nervt die Kriminologen. Sie fordern eine bessere Einordnung der Zahlen, ohne sie aus dem Kontext zu reißen.

Mehr Kriminalität? Nicht unbedingt!

Das Beispiel der Fachleute: Steigende Zahlen einer Straftat seien nicht immer negativ zu bewerten. Es könne einfach sein, dass mehr Verbrechen zur Anzeige gebracht und damit aufgeklärt würden. Und das sei ja eigentlich positiv zu bewerten, so die Wissenschaftler.

Ein Hinweisschild zur Tagung der Kriminologischen Gesellschaft in Tübingen

Hunderte Kriminologen aus der ganzen Welt treffen sich derzeit in Tübingen.

Gegen schärferes Strafrecht

Außerdem wünschen sich die Spezialisten ein maßvoll eingesetztes Strafrecht. Höhere Strafen würden – entgegen der öffentlichen Meinung - keinen Rückgang der Kriminalität bewirken, so der Vorsitzende der Kriminologischen Gesellschaft, Prof. Jörg Kinzig aus Tübingen.

Prävention statt höhere Strafen

Was tatsächlich helfen würde, sei Prävention, so Kinzig. Er bemängelt, dass zu wenig Geld in Verbrechensforschung und -vorbeugung investiert werde. So sei das Nationale Zentrum für Kriminalprävention in Bonn nach nur sechs Jahren geschlossen worden. Und verschiedene Lehrstühle an Unis und Hochschulen seien nicht nachbesetzt worden.

Forderung: Mehr Schutz für die Arbeit der Kriminologen

Und noch etwas bewegt die Tagungsteilnehmer: Sie fordern die Einführung des Zeugnisverweigerungsrechts für kriminologisch arbeitende Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Hintergrund: Im Jahr 2020 hatten die bayrischen Behörden Unterlagen eines Kriminologen beschlagnahmt, der an einem Projekt zur islamischen Radikalisierung arbeitete. Er hatte dafür im Gefängnis Interviews mit Inhaftierten geführt und ihnen vorher Anonymität und Nichtweitergabe ihrer Daten zugesichert. Das Bundesverfassungsgericht urteilte danach zwar, dass durch kriminologische Forschung gewonnene Daten besonders schützenswert seien. Ein Zeugnisverweigerungsrecht gibt es bis jetzt dennoch nicht.

Sendung am Fr., 27.9.2024 6:00 Uhr, SWR4 BW am Morgen, SWR4 Baden-Württemberg

Mehr über kriminologische Forschung

Schwerpunkt: Messerkriminalität