Symbolbild | Eine Hand fährt mit Bewegungsunschärfe an einem Gerät zur digitalen Zeiterfassung entlang: Ein Mitarbeiter erfasst seine Arbeitszeit digital an einem Terminal.
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Baden-Württemberg Mehr als nur Unterricht: Braucht es die Arbeitszeiterfassung für BW-Lehrkräfte?

Stand: 20.03.2025 11:28 Uhr

Vor der Bildungsministerkonferenz werden in BW Forderungen nach einer Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte laut. Belastungen müssten endlich transparent gemacht werden, so die GEW.

Pädagogen seien massiv überlastet, ohne dass es sichtbar wird: Das ist die Ansicht der Bildungsgewerkschaft GEW im Main-Tauber-Kreis und im Hohenlohekreis. Deshalb haben die Verantwortlichen eine Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte in Baden-Württemberg ins Spiel gebracht. GEW-Kreisvorsitzende Jana Kolberg aus Lauda-Königshofen (Main-Tauber-Kreis) betonte gegenüber dem SWR, dass vor allem die vielen Zusatzaufgaben Zeit kosteten und den Lehrkräften viel abverlangten. Wie sich die zusätzlich auf die Arbeitszeiten auswirken, zeigt sich am Beispiel von Silvia Wolter.

"Als Lehrerin ist man gefühlt dauererreichbar"

Denn als Lehrerin ist man immer erreichbar. So fühle es sich wenigstens an, sagt die 39-Jährige im Gespräch mit dem SWR. Egal, ob man gerade mit der Familie einen Ausflug macht - immer kann eine Nachricht reinkommen. Von Eltern, von Schülerinnen und Schülern. "Das ist manchmal das Schwierige", sagt Wolter, denn man spüre die Verantwortung darauf auch zu antworten. Wolter ist Lehrerin an der Gemeinschaftsschule Lauda-Königshofen. Dort arbeitet die zweifache Mutter in Teilzeit.

Sieben Unterrichtsstunden pro Woche - das ist Wolters Deputat. Klingt nach wenig, aber eine Schule geht davon aus, dass auf jede Schulstunde nochmal die gleiche Zeit an Arbeit obendrauf kommt. Denn der Job als Lehrerin ist viel mehr als der bloße Unterricht: Da sind Korrekturen, Elterngespräche, Konferenzen mit den Kolleginnen und Kollegen, Ausflüge, die vorbereitet werden wollen. Und eben auch mal eine Nachricht in der Freizeit, eine Unterrichtsvorbereitung nach dem abendlichen Ins-Bett-Bringen der eigenen Kinder. Gerade als Teilzeitlehrkraft komme man da schnell über seine eigentlich vorgesehene Arbeitszeit.

Wenn Lehrkräfte ihre Arbeitszeit offiziell erfassen könnten, würde deutlich werden, dass sie seit Jahren jonglieren und Mehrarbeit leisten. Bildungsgewerkschaft GEW
Eine blonde Frau sitzt an einem Esstisch und schreibt in ein Ringbuch, vor ihr liegt ein Tablet, im Vordergrund steht eine Pflanze: Für Lehrerin Silvia Wolter gibt es auch zu Hause immer etwas für die Schule zu tun.

Für Lehrerin Silvia Wolter gibt es auch zu Hause immer etwas für die Schule zu tun.

Der Alltag von Lehrern: Unterrichtszeit ist nicht gleich Arbeitszeit

Bei einem vollen Deputat ist eine Lehrkraft in Baden-Württemberg beispielsweise an einer Realschule zu 27 Unterrichtsstunden in der Woche verpflichtet. Nur die ist zeitlich genau festgelegt. Denn, so schreibt das BW-Kultusministerium auf SWR-Anfrage: Bei der Terminierung ihrer übrigen Tätigkeiten seien Lehrkräfte weitgehend flexibel. "Unsere Schulleitungen sind dazu mit den Lehrkräften im Austausch und bestrebt, die konkrete Aufgabenzuteilung so vorzunehmen, dass Überlastungssituationen bestmöglich ausgeschlossen werden."

Aber wie viel eine Lehrkraft abseits des Klassenzimmers arbeitet, das stellt abseits einzelner Studien niemand standardmäßig fest. Im Auftrag der Max-Träger-Stiftung und der Bildungsgewerkschaft GEW haben Forscher der Universität Göttingen im Jahr 2018 zwanzig Studien zur Arbeitszeit von Lehrkräften in Deutschland ausgewertet. Die legen nahe, dass sich die Arbeitszeit von Lehrkräften zwar wie in vielen anderen Jobs über die Jahrzehnte reduziert hat - im Mittel liegt sie aber über der geforderten Arbeitszeit etwa im Öffentlichen Dienst.

Zum Vergleich: Die Wochenarbeitszeit für Beamtinnen und Beamte beträgt 41 Stunden - zum Beispiel im Schulamt oder im Bildungsministerium. Für Lehrkräfte aber gibt es eine Arbeitszeiterfassung per App oder digitaler Stechuhr bisher nicht. Dabei hat der Europäische Gerichtshof schon 2019 festgestellt, dass Arbeitgeber die Mehrarbeit von Beschäftigten erfassen müssen. Das Bundesarbeitsgericht hat sich dieser Einschätzung 2022 angeschlossen. Ob das allerdings auch für Lehrkräfte gilt, darüber ist sich die Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) nicht einig.

Was machen Kultusministerkonferenz und Bildungsministerkonferenz?
In der Kultusministerkonferenz beraten die zuständigen Länderministerinnen und -minister über die Themen Bildung, Kultur und Wissenschaft. Seit Juli 2024 gibt es für Schulpolitik, die in Deutschland Sache der Länder ist, die eigenständige Bildungsministerkonferenz (BMK).

Metastudie: Großteil der Lehrkräfte mit "überlangen Arbeitszeiten"

Ein Großteil der Lehrkräfte liege weit über der Norm und im Bereich "überlanger Arbeitszeiten", so das Ergebnis der Göttinger Metastudie von 2018. "Dass 'überlange Arbeitszeiten' auf Dauer mit erheblichen Risiken für die Gesundheit verbunden sind, weiß nicht nur der gesunde Menschenverstand", so schreiben die Wissenschaftler, "sondern ist auch durch Forschung nachdrücklich belegt". Auch in Baden-Württemberg ist der Krankenstand unter Lehrkräften laut Schulleitungen hoch.

Natalie Ederer, Rektorin an der Schule von Silvia Wolter, setzt sich dafür ein, dass die Arbeitszeit von Lehrkräften in Zukunft erfasst wird. Um das Vorurteil vom faulen Lehrer zu bekämpfen, ebenso die Arbeitsbelastung und um Transparenz zu schaffen. "Die Schule von heute ist nicht mehr zu vergleichen mit der von vor 20 oder 50 Jahren", sagt sie. "Es geht da weniger um den Unterricht, sondern mehr um die Arbeitsbelastung außerhalb der Unterrichtstätigkeit, die einfach zugenommen hat."

Eine Frau mit kurzen blonden Haaren und Brille sitzt in einem Büro: Auch die Rektorin der Gesamtschule in Lauda-Königshofen (Main-Tauber-Kreis), Natalie Ederer, setzt sich für eine Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte ein.

Auch die Rektorin der Gesamtschule in Lauda-Königshofen (Main-Tauber-Kreis), Natalie Ederer, setzt sich für eine Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte ein.

GEW fordert BW-Pilotprojekt zur Arbeitszeiterfassung wie in Bremen

Als eines der ersten Bundesländer hat Bremen im Februar mitgeteilt, an einem ein Pilotprojekt zur Arbeitszeiterfassung von Lehrkräften teilzunehmen. Ein solches wünscht sich auch die Bildungsgewerkschaft GEW in Baden-Württemberg. "Wir würden uns wünschen, dass das Bildungsministerium nicht länger auf eine bundesgesetzliche Regelung wartet, so wie es das bisher gemacht hat", so ein GEW-Sprecher auf SWR-Anfrage. Im Haus von Bildungsministerin Theresa Schopper (Grüne) verweist man vor der Bildungsministerkonferenz (BMK) am Donnerstag in Berlin aber genau darauf: In Sachen Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte ergebe es Sinn, dass die Bundesländer einheitlich vorgehen. "Daher sind wir zu diesem Thema im Austausch mit der Bildungsministerkonferenz". Ob ein Pilotprojekt auch in Baden-Württemberg an den Start geht - dazu gibt es bislang keine Aussage aus dem Ministerium.

Im vergangenen Jahr hatten eine Lehrerin und ein Lehrer an Gymnasien in Baden-Württemberg sogar Klage wegen zu vieler Überstunden gegen das Land am Verwaltungsgerichtshof eingereicht. Unterstützt wurden sie dabei vom Philologenverband BW, der viele Lehrkräfte an Gymnasien im Land vertritt. Die Klagen wurden zwar später zurückgezogen - aus "juristischen Gründen", wie der Landesvorsitzende des Philologenverbands damals mitteilte - und stattdessen Überlastungsanzeigen bei der Schulverwaltung eingereicht. Aber die fehlende Arbeitszeiterfassung bei Lehrkräften im Land bleibt Gegenstand von Diskussionen. Ein häufig genanntes Argument gegen die Arbeitszeiterfassung: Der Lehrerberuf sei nicht vergleichbar mit der Arbeit in einer Behörde, die Flexibilität für Lehrkräfte dürfe nicht verloren gehen. Denn abseits der Unterrichtszeit können Lehrkräfte wie Sivlia Wolter ihre Arbeitszeit relativ frei einteilen. Wann der Unterricht vorbereitet oder der Klassenausflug geplant wird, ist selten vorgegeben. Doch das ist Fluch und Segen zugleich.

Eine Arbeitszeiterfassung wäre es aus Wolters Sicht gerade für Teilzeitlehrkräfte wie sie von Vorteil. Denn mit einem reduzierten Deputat verringere sich zwar die Zahl der Unterrichtsstunden in der Woche, aber "die anderen Sachen wie Korrekturen, Ausflüge, Konferenzen bleiben ja genauso erhalten". Das könne jedoch erst sichtbar gemacht werden, wenn die Arbeitszeit auch erfasst würde. Die Bildungsgewerkschaft GEW formuliert es so: "Wenn Lehrkräfte ihre Arbeitszeit offiziell erfassen könnten, würde deutlich werden, dass sie seit Jahren jonglieren und Mehrarbeit leisten."

Die Schule von heute ist nicht mehr zu vergleichen mit der von vor 20 oder 50 Jahren. Es geht da weniger um den Unterricht, sondern mehr um die Arbeitsbelastung außerhalb der Unterrichtstätigkeit, die einfach zugenommen hat. Natalie Ederer, Rektorin an der Gemeinschaftsschule Lauda-Königshofen
Menschen stehen mit Transparenten auf einer Treppe. Eine Aktion der GEW im Main-Tauber-Kreis: Die Bildungsgewerkschaft fordert eine Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte.

Eine Aktion der GEW im Main-Tauber-Kreis: Die Bildungsgewerkschaft fordert eine Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte.

Erfassung der Arbeitszeit für BW-Lehrkräfte: Einfache Lösung gefordert

Arbeitszeiterfassung funktioniere bei jedem Arbeitszeitmodell, argumentiert die GEW. Um der Sorge vor zu viel Kontrolle der Lehrkräfte zu begegnen, sollte aus Sicht der Bildungsgewerkschaft nur erfasst werden, was gesetzlich vorgegeben ist. Also Arbeitsbeginn, -ende und Pausen. Die Zeiterfassung müsse unkompliziert sein, so ein GEW-Sprecher, am besten über eine App und nicht über eine elektronische Stechuhr. Denn so ein Lehrkräftealltag sei nun mal nicht vergleichbar mit der Arbeit im Amt - und spiele sich auch an verschiedenen Orten ab.

Nach Silvia Wolters letzter Schulstunde an diesem Dienstag steht für die Lehrerin noch ein Schüler-Treffen an. Arbeitszeit, die nur teilweise durch ihren Lehrauftrag abgedeckt wird. Der Schreibtisch einer Lehrkraft sei nie wirklich leer, sagt auch Rektorin Natalie Eder. Auch für Wolter stehen am Nachmittag noch Korrekturen an. Wenn alle Haken gesetzt sind, ist ihr Arbeitstag vorbei. Zumindest auf dem Papier. 

Sendung am Do., 20.3.2025 12:10 Uhr, ARD Mittagsmagazin

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