Angehörige der syrischen Sicherheitskräfte patrouillieren auf einer Straße in der Stadt Jableh in Syrien. Nach Assads Sturz morden Islamisten in Syrien.
Player: audioDie Angst der Alawiten in BW nach Massakern in Syrien

Baden-Württemberg Nach Massakern an Alawiten in Syrien: Deutsch-Syrer in BW besorgt um Angehörige in der Heimat

Stand: 16.03.2025 06:09 Uhr

Nach dem Sturz des syrischen Diktators Assad herrscht dort eine islamistische Regierung. Wegen Massakern an religiösen Minderheiten wie den Alawiten sind Deutsch-Syrer auch in Baden-Württemberg sehr besorgt.

Auf einer Kundgebung am Stuttgarter Schloßplatz am vergangenen Donnerstag haben sich etwa 200 Menschen versammelt. Die meisten von ihnen sind syrische Alawiten. Sie fordern internationale Hilfe für ihre Angehörigen in Syrien, die seit den Gewaltexzessen durch islamistische Milizen in Todesangst leben. Unter den Teilnehmern ist Ali Muhammad. Er könne nicht mehr schlafen, denn jede Nacht kreisen seine Gedanken um seine Verlobte und seine Eltern in Syrien, die in Todesangst lebten, erzählt der Deutsch-Syrer. Der 33-Jährige, der in der Stuttgarter Region als Zahnarzt arbeitet, gehört auch der alawitischen Minderheit an.

Ali Muhammad kam vor zehn Jahren mit einem Visum nach Deutschland. Heute spricht er perfekt Deutsch und hat sich vor vier Jahren einbürgern lassen. In Deutschland fühle er sich wohl. Aber er könne trotzdem kein "normales" Leben wie andere in seinem Alter führen, denn die Sorgen um seine Angehörigen in der Heimat überlagerten oft sein Glück, in Deutschland leben zu können, ein gutes Auskommen zu haben und die Freude über seinen beruflichen Erfolg.

Ich fühle mich ultraohnmächtig. Ich zittere und merke beim Autofahren, dass ich unkonzentriert bin. Die ersten drei, vier Tage konnte ich nicht schlafen, bin völlig übermüdet und habe immer Angst. Klar Ali Muhammad
Ali Muhammad demonstriert auf dem Stuttgarter Schlossplatz für internationale Hilfe für Alawiten in Syrien.

Ali Muhammad demonstriert auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Er macht sich Sorgen um seine Angehörigen in Syrien, die Teil der religiösen Minderheiten der Alawiten sind.

Die Situation in Syrien eskalierte schnell

Vor drei Monaten wurde der syrische Ex-Diktator Baschar al-Assad gestürzt. Damals habe er gehofft, dass sich nun alles zum Besseren wende. Doch schon nach kurzer Zeit gab es erste Vorfälle und Anzeichen, dass religiöse Minderheiten, wie Alawiten, Drusen, Christen oder Armenier in einem Staat unter islamistischer Führung nicht sicher sind. Und das habe sich jetzt bewahrheitet, sagt Muhammad.

Nachdem am Donnerstag vergangener Woche Anhänger des ehemaligen Assad-Regimes Stützpunkte in der Region attackiert hatten, startete die islamistische Regierung noch am selben Tag einen brutalen Gegenangriff. Sie bombardierte von der Marinebasis in Dschabla, setzten Kampfhubschrauber ein. Die Lage eskalierte schnell. Am Abend wurde landesweit zum Dschihad aufgerufen, erzählt Muhammad. Am Freitag sah er die ersten Nachrichten im Netz und erfuhr von seinen Angehörigen, dass islamistische Milizen überall in den westsyrischen Küstenprovinzen Massaker verübten. Alawiten, ganze Familien, wurden in ihren eigenen Häusern abgeschlachtet – Frauen, Kinder, Alte. Auch Sunniten oder Christen wurden Opfer der Gräueltaten, die Alawiten halfen, sie versteckten und in den Gewaltstrudel gerieten.

Leben in Todesangst vor Terror

Der 33-jährige Zahnarzt liebt seine Arbeit in einer großen, gutgehenden Praxis in der Stuttgarter Region, doch momentan könne er keine Patienten behandeln. Muhammad ist ständig in Kontakt mit seiner Verlobten und seinen Eltern. Zwei Mal habe er sich von seiner Familie verabschiedet, weil sie glaubten, Milizen klopften an ihrer Tür. Dieses Auf und Ab, die ständige Angst um seine Liebsten mache ihn fast verrückt.

Als der Alptraum begann, war seine Verlobte bei seinen Eltern zu Besuch, erzählt er. Seither haben sie ihre Wohnung nicht mehr verlassen. Die Lage beruhige sich zwar, aber sie lebten weiterhin in Todesangst vor Willkür und Terror.

Sein Schwiegervater in spe wurde von Islamisten erschossen, die die Wohnung ausplünderten und nach Geld und Gold durchsuchten. Ein Freund schickte ihnen als Beweis ein Video. "In unserer Familie herrscht große Trauer", sagt Ali Muhammad. Nach den Dschihad-Aufrufen suchten seine Schwiegermutter und Schwäger wie tausende alawitische Zivilisten Schutz auf dem Gelände des nahegelegenen russischen Militärstützpunkts. Dort herrschen nach einer Woche katastrophale Zustände.

Es gibt wenig Decken, es ist kalt, sie schlafen auf offener Straße, das Flughafengebäude ist zu klein. Wenn es regnet, dann wird es schlimm. Es gibt keine Zelte, wenig Essen. Frauen trauen sich nicht zu trinken, denn es gibt keine richtigen Toiletten. Es ist ultraunhygienisch. Ali Muhammad

Seine Verlobte, die Apothekerin ist, habe Angst, dass sich Krankheiten ausbreiteten und die Welt sie einfach hier vergesse. Auch wenn in den meisten Orten mittlerweile eine fast unheimliche Ruhe eingekehrt sei, verlassen die Menschen nicht das Flughafengelände oder ihre Wohnungen, aus Angst vor neuen Gewaltexzessen. Es gebe keinen Strom, kein Wasser, kaum Medikamente und nur wenig zu Essen, erklärt Muhammad. Geschäfte und Häuser seien geplündert und niedergebrannt.

Die Verbrechen der islamistischen Kämpfer in Syrien
Viele Verbrechen sind bereits dokumentiert. Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge töteten islamistische Kämpfer in der Küstenregion mehr als 1000 Menschen, die tatsächliche Zahl dürfte weit höher sein. So nennt die Menschenrechts-organisation "Christian Solidarity International" aufgrund von Berichten aus der Region etwa 4000 Tote, darunter auch Christen. Beobachter sprechen von ethnischen Säuberungen.

Wie geht es weiter in Syrien?

Ahmet Al Scharaa, Syriens neuer Machthaber und Anführer des Bündnisses islamistischer Milizen Hayat Tahrir al-Scham, verspricht Aufklärung und Gerechtigkeit. Doch Muhammad glaubt nicht mehr daran, dass Alawiten in Zukunft in Syrien sicher leben könnten.

Und dann werde ich daran arbeiten, meine Familie aus dem Land rauszuholen, erstmal aus der Region, nach Damaskus. Das ist nicht viel sicherer, aber besser. Ali Muhammad

Eine Ausreise nach Deutschland ist schwierig. Denn Entscheidungen über Asylanträge von Syrerinnen und Syrern werden seit dem Sturz Assads bis auf weiteres aufgeschoben, Entscheidungen über Familienasyl, unabhängig der Lage im Herkunftsland, nicht getroffen, so das Bundesamt für Migration. Doch Muhammad gibt nicht auf. Er werde eines Tages seine Verlobte in Deutschland oder anderswo heiraten und bis dahin werde er alles tun, um seine Liebsten in Sicherheit zu bringen.

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