Landtagssitzung

Baden-Württemberg Neubau des Landtags und Millionenkosten? FDP warnt vor XXL-Landtag in BW

Stand: 12.10.2024 05:10 Uhr

Nach der nächsten Wahl in BW könnten wegen der Wahlrechtsreform viel mehr Abgeordnete im Landtag sitzen. Es drohen Mehrkosten von 200 Millionen Euro und im Plenarsaal könnte es eng werden.

Nach der nächsten Wahl könnten sehr viel mehr Abgeordnete in den Landtag einziehen. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke geht nun davon aus, dass bei mehr als 200 Abgeordneten der Plenarsaal nicht mehr reichen würde. "Ich fürchte, dass es dann zu einem Neubau kommen muss", sagte Rülke dem SWR. Es könne keine Alternative sein, dass man künftig ohne Zuschauer auf der Besuchertribüne tage oder die Presse aussperre.

Seit der Wahlrechtsreform befürchtet die FDP, dass ein XXL-Landtag droht. Hintergrund ist das neu eingeführte Zwei-Stimmen-Wahlrecht, womit es mehr Überhangs- und Ausgleichsmandate geben könnte. Die FDP stützt sich dabei auf Berechnungen des Politikwissenschaftlers Joachim Behnke von der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Er hatte aufgrund des Wahlverhaltens in Baden-Württemberg bei der vergangenen Bundestagswahl eine mögliche Größe des Landtags berechnet und war zu dem Schluss gekommen, dass der Landtag auf 216 Abgeordnete anwachsen könnte. Momentan gibt es 154 Abgeordnete.

Aufgeblähter Landtag

Mit mehr als 200 Abgeordneten wäre aus Rülkes Sicht das Parlament zu groß. Es sei schlicht nicht notwendig, so viele Abgeordnete zu haben - nicht für die Erledigung der Aufgaben, für die Entscheidungsfindung und auch nicht für den Kontakt zur Bevölkerung. "Vor diesem Hintergrund ist es nicht notwendig, dass dieses Parlament immer größer und eben auch teurer wird", sagte Rülke.

BW-Landtag: Wie kommt es zu Überhang- und Ausgleichsmandaten?

Wählerinnen und Wähler haben bei Landtagswahlen in Baden-Württemberg seit einer Änderung des Landtagswahlrechts 2022 eine Erst- und Zweitstimme - genauso wie bei der Bundestagswahl. Das Kräfteverhältnis der Parteien im Landtag von Baden-Württemberg richtet sich in erster Linie nach dem Ergebnis der Zweitstimmen. Mit der Zweistimme wählt man eine bestimmte Partei. Mit der Erststimme entscheidet man, welche Person aus dem eigenen Wahlkreis in den Landtag kommt. Hier ein vereinfachtes Beispiel: Die A-Partei gewinnt durch die Erststimmen mehr Wahlkreise und damit Sitze für sich, als ihr eigentlich prozentual durch die Zweitstimmen zustehen. Trotzdem ziehen alle direkt gewählten Kandidatinnen und Kandidaten der A-Partei in den Landtag ein. Dadurch sind sogenannte Überhangsmandate entstanden. Bliebe es so, wäre die A-Partei viel zu stark im Landtag vertreten. Darum erhalten alle anderen Parteien zusätzliche Sitze, sogenannte Ausgleichsmandate. Es wird also so lange aufgefüllt, bis die Mandate der A-Partei wieder dem prozentualen Teil aller Sitze entsprechen, den sie über die Zweistimmen errungen hat.

Drohen Mehrkosten von 200 Millionen Euro?

Der Landesrechnungshof hatte die Mehrkosten eines aufgeblähten Landtags im Oktober 2023 in einem internen Prüfbericht modellhaft berechnet. Dieser Bericht wurde lange unter Verschluss gehalten. Mitte September machte die Stuttgarter Zeitung ihn öffentlich. Demnach rechnet der Landesrechnungshof mit bis zu 200 Millionen Euro an Mehrkosten in der kommenden Legislaturperiode, sollte der Landtag auf 216 Abgeordnete anwachsen.

In die vom Rechnungshof veranschlagten 200 Millionen Euro an Mehrkosten sind zusätzliche Abgeordnetenentschädigungen, zusätzliches Personal in der Landtagsverwaltung und zusätzliche Büroräume miteingerechnet. Die Kosten für eventuell notwendige bauliche Veränderungen des Plenarsaals und des Landtags sind nicht berücksichtigt. Der Landesrechnungshof weist in seinem Prüfbericht aber darauf hin, dass die bestehende Kapazität des Plenarsaals bereits bei 160 Abgeordneten erschöpft wäre.

Landtagspräsidentin: Möglicherweise Besucherzahlen reduzieren

Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) steht nach wie vor hinter der Wahlrechtsreform. "Die Reform dient dem Ziel, dass der nächste Landtag jünger, diverser und weiblicher wird", sagte sie dem SWR. Die vom Rechnungshof aufgestellten Szenarien seien nur Modellrechnungen. "Deshalb ist das alles Spekulation. Keiner von uns kann heute seriös sagen, wie die Wahl im Frühjahr 2026 ausgehen wird."

Aras geht davon aus, dass der Landtag auch im Fall von 216 Abgeordneten nicht baulich verändert werden muss. Zusätzliche Plätze könnten gewonnen werden, indem die Regierungsmitglieder in Zukunft auf ihren Sitz im Plenum verzichteten und nur noch auf der Regierungsbank säßen, sagte die Grünen-Politikerin. Im schlimmsten Fall müsse man den ganzen Plenarsaal nutzen, so Aras. Sie meint damit auch die Besuchertribüne. "Das hätte zur Folge, dass die Besucherzahlen deutlich reduziert werden müssten."

Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung: "Politik müsste reagieren"

Der Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, Joachim Dorfs, findet, dass das politische Gespür nicht so ausgeprägt ist, wie es sein müsste. "Ich glaube, dass eine schwierige Diskussion auf uns zukommt, wenn sich die Effekte, die zu einer Vergrößerung führen, nach der nächsten Landtagswahl so zeigen, wie es jetzt auf fundierter Basis prognostiziert wird", sagte Dorfs dem SWR. Das werde das Thema Politikverdrossenheit auf jeden Fall weiter befördern. "Ich glaube, dass verantwortliche Politik da jetzt auch reagieren müsste."

Es sei ein ungewöhnlicher Schritt gewesen, den internen Bericht des Landesrechnungshof zu veröffentlichen, sagte Dorfs. Die Stuttgarter Zeitung hatte ihn in kompletter Länge zugänglich gemacht. "Das sehen wir auch als unsere Rolle an, für Transparenz zu sorgen - auch vor dem Hintergrund des Volksbegehrens, das läuft", so der Chefredakteur. Die Leute müssten in der Lage sein, sich darüber zu informieren.

FDP unterstützt Bürgerinitiative zur Verkleinerung des Landtags

Eine Bürgerinitiative um Dieter Distler aus Bietigheim-Bissingen (Kreis Ludwigsburg) versucht derzeit über ein Volksbegehren, einen XXL-Landtag zu verhindern. Seit August sammelt sie dafür Unterschriften. Die FDP unterstützt die Initiative, nachdem ihr eigenes Volksbegehren im vergangenen Dezember vom Innenministerium gestoppt wurde. Die Liberalen hätten zwar ausreichend Unterschriften eingereicht, der angestrebte Gesetzentwurf sei aber aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig, teilte das Innenministerium damals mit. Die FDP klagt derzeit gegen die Entscheidung.

FDP vs. Distlers Initiative: Worin unterscheiden sich die Vorschläge?

Die Initiative von Dieter Distler will genauso wie die FDP die Wahlkreise von 70 auf 38 reduzieren. Die Wahlkreise wären dann die gleichen wie bei der Bundestagswahl und teilweise deutlich größer als jetzt. Durch die Änderung sollen weniger Überhang- und Ausgleichsmandate entstehen. Dieter Distlers Gesetzentwurf sieht allerdings auch vor, den Landtag auf eine Mindestgröße von 68 Mandaten (derzeit: mindestens 120 Mandate) zu verringern. Die FDP hat das in ihrem Vorschlag nicht vorgesehen. Das ist der Grund, warum das Innenministerium den Gesetzesentwurf der Initiative um Dieter Distler mit dem Grundgesetz und der Landesverfassung für vereinbar hält und den Vorschlag der FDP nicht. Es führt in seiner Begründung an, dass der Landtag nach einem Verfahren gewählt werden müsse, das die Persönlichkeitswahl (Erststimme) mit den Grundsätzen der Verhältniswahl (Zweitstimme) verbindet. Bei Dieter Distlers Gesetzesentwurf ist das aus Sicht des Innenministeriums der Fall (38 Direktmandate bei einer Mindestgröße von 68 Mandaten), weil der Anteil vergleichbar mit dem im geltenden Landtagswahlgesetz sei (70 Direktmandate bei einer Mindestgröße von 120 Abgeordneten).

Sendung am Mi., 9.10.2024 19:30 Uhr, SWR Aktuell Baden-Württemberg, SWR BW

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