Viele Kommunen in der Region Trier beklagen die kurze Zeit zur Vorbereitung auf die Bundestagswahl am 23.02.2025

Baden-Württemberg Ohne Ampel-Schatten: Kampf um Kretschmann-Erbe unter neuen Vorzeichen

Stand: 16.11.2024 07:13 Uhr

Das Ampel-Aus hat so einiges durcheinandergewirbelt. Auch die politische Ausgangslage in BW vor der Landtagswahl 2026. Klar ist nur das Duell Özdemir gegen Hagel und der große Vorsprung der CDU.

Wer Manuel Hagel auf Instagram folgt, bekam neulich ein Tänzchen zu sehen. Der 36-jährige CDU-Partei- und Fraktionschef schwofte beim Landespresseball ausgiebig mit Gerlinde Kretschmann (77). Es sah ein wenig so aus, als würde der befrackte Christdemokrat stolz seine künftige Schwiegermutter übers Parkett führen.

Dabei will Hagel doch nur den Posten von Gerlinde Kretschmanns Mann übernehmen. Schon länger argwöhnen führende Grüne, der CDU-Mann sei ein "Erbschleicher". Das liegt daran, dass Hagel vor einem Jahr bei seiner Wahl zum Parteichef der BW-CDU vollmundig angekündigt hat: "Das politische Erbe von Winfried Kretschmann wird bei uns in guten Händen sein."  

Wie beeinflussen die aktuellen politischen Ereignisse die Stabilität Deutschlands und die Zukunft Baden-Württembergs? In der SWR-Sendung Zur Sache wurde auch darüber diskutiert:

Ampel-Aus, Wahlkampf an! Wer macht jetzt noch Politik?

Seither ist die Zuversicht der CDU nur noch mehr gewachsen - auch weil der Vorsprung in den Umfragen vor den Grünen von Noch-Regierungschef Winfried Kretschmann immer größer wurde. Die ersehnte Rückkehr in die Staatskanzlei, die vor Kretschmann 58 Jahre in der Hand der CDU war, scheint zum Greifen nahe.

Grüne BW schöpfen seit Ampel-Ende wieder Hoffnung

Doch jetzt schöpfen die Grünen wieder Hoffnung. Über den Bruch der Ampelkoalition dürften bei der Ökopartei nur Krokodilstränen geflossen sein. In Wirklichkeit ist den meisten Grünen in BW ein Stein vom Herzen gefallen. Der Grund: Das miserable Ansehen der Ampel hat auch nach BW ausgestrahlt und die Umfragewerte der hiesigen Grünen nach unten gedrückt.

Zuletzt wurden die BW-Grünen nur noch bei 18 Prozent taxiert, die Landes-CDU dagegen bei 34 Prozent. Alles andere als eine gute Ausgangsposition für den designierten Spitzenkandidaten Cem Özdemir. Der Bundeslandwirtschaftsminister hätte eigentlich noch bis wenige Monate vor der Landtagswahl im März 2026 Ampel-Minister bleiben müssen. Ein Malus, den der 58-Jährige wohl nur schwer losgeworden wäre. 

"Zeit dass sich was dreht" dürfte Grünen-Hymne bleiben

Doch nun ist in etwa 100 Tagen schon Bundestagswahl. Vom 23. Februar bis zur Landtagswahl ist es dann noch ein Jahr – voraussichtlich mit völlig veränderten politischen Vorzeichen auf Bundesebene. Zwar wäre Özdemir nach seinem Ausscheiden als Doppelminister für Agrar und neuerdings auch Wissenschaft dann erstmal Privatier.

Andererseits hätte er dann Zeit, sich auf den Wahlkampf zu konzentrieren. "Zeit dass sich was dreht" von Herbert Grönemeyer dürfte bei vielen Grünen ganz oben auf der Playlist stehen. Mit dem Song hatte allerdings Robert Habeck neulich kein Glück. Als er diesen in einem Post summte, ließ Grönemeyer ihm das untersagen.

Kretschmann will mit Grün-Schwarz solide weiterarbeiten

Aber kann sich noch was drehen? Grünen-Altmeister Kretschmann (76) meinte neulich, seine Erfahrung sage ihm: "Nix wird in anderthalb Jahren so sein wie heute." Die Union habe seit langem gute Umfrageergebnisse auf Bundesebene, aber bei der Landtagswahl in Brandenburg landete sie bei 12,1 Prozent.

Es komme nun darauf an, den Job in der grün-schwarzen Landesregierung in Baden-Württemberg so gut wie möglich zu machen. "Die Leute erwarten, dass wir arbeiten für das Land." So könne man verhindern, dass die Ränder wachsen. Der eingeläutete Wahlkampf dürfte für die grün-schwarze Koalition der erste Testlauf werden, ob man noch miteinander kann. 

CDU BW muss für Merz beten

Die CDU muss jedenfalls ihre Taktik überdenken. Gut vorstellbar, dass Hagel zuletzt für den Verbleib der Ampel und von Kanzler Olaf Scholz (SPD) gebetet hat. Die "Streit-Ampel" hat der CDU im Bund wie im Land so viel Rückenwind beschert, das hätte aus Hagels Sicht wohl gern noch bis in den Herbst nächsten Jahres anhalten können. Nun muss der Polit-Youngster darauf hoffen, dass der CDU-Bundeschef Kanzler wird und sich als solcher bewährt.

Momentan sieht es so aus, als ob Friedrich Merz im Frühjahr Scholz ablösen könnte. Seine Union ist in Umfragen doppelt so stark wie die SPD. Viele rechnen mit einer schwarz-roten Koalition, weil es hier für ein Zweier-Bündnis reichen könnte. Eine Zusammenarbeit zwischen Union und Grünen - wie zurzeit in Baden-Württemberg - gilt als eher unwahrscheinlich. Nicht nur, weil CSU-Chef Markus Söder eine solche ständig ausschließt. Auch rechnerisch sieht es wegen der schwachen Grünen-Werte nicht danach aus.

In der Opposition könnten die Grünen eher entspannt zuschauen, wie Merz und seine Koalition die Krisen Probleme anpacken. Die Steuerung der Migration, die Ankurbelung der Wirtschaft, die Stärkung der Bundeswehr - und das mit leeren Staatskassen. Das ist längst nicht alles: Wie umgehen mit dem neuen US-Präsident Donald Trump? Wie mit dem Ukraine-Krieg?

Politik-Experte sieht die CDU BW weiter im Vorteil

Wie sieht der Politik- und Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider die Auswirkungen der Neuwahlen für die politische Lage in Baden-Württemberg? Im SWR-Interview analysiert der Experte der Universität Stuttgart-Hohenheim die Folgen des Ampel-Aus. 

Prof. Frank Brettschneider, Experte Bundestagswahl 2025 in seinem Arbeitszimmer

Prof. Frank Brettschneider, Experte Bundestagswahl 2025

SWR Aktuell: Wem nutzen die Neuwahlen mehr?

Frank Brettschneider: Die CDU wird vermutlich die nächste Bundesregierung anführen. Die Frage wird sein, ob es ihr dann gelingt, aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger etwas zu verbessern an der aktuellen Wirtschaftslage und darüber hinaus. Wenn ihr das gelingt, ist das Rückenwind für die CDU bei der Landtagswahl. Käme eine CDU-geführte Bundesregierung genauso zäh daher wie die Ampel, wäre das eine Belastung für die Landes-CDU.

SWR Aktuell: Und was bedeutet das für Özdemir?

Brettschneider: Für Özdemir ist das eine Erleichterung. Er muss dann nicht mehr den Ballast der Ampel-Regierung mit sich herumtragen. Wie hätte er das machen sollen, Minister in Berlin und Wahlkampf in Baden-Württemberg? Okay, nun wird er im Landtagswahlkampf nicht mehr als Minister unterwegs sein können. Aber er ist bekannt genug. Jetzt kann er durchs Land reisen und Brezeln verteilen. Er wird sich sicher noch häufiger mit dem Ministerpräsidenten zeigen, um deutlich zu machen, dass er der legitime Erbe ist.

SWR Aktuell: Wie wird sich die neue Bundesregierung auf die Grünen auswirken? 

Brettschneider: Zwar ist Schwarz-Grün auf Bundesebene eher unwahrscheinlich. Wenn es doch dazu käme, wäre das ein Schub für die Landesregierung. Aber auch eine Koalition aus Union und SPD dürfte auf den Landtagswahlkampf eher beruhigend wirken. Dann wird es auch auf Landesebene zwischen den Parteien eher ein Mit- statt ein Gegeneinander geben. Die Grünen könnten durchaus aus ihrem Tief auch wieder auftauchen. Wenn die Wirtschaft besser läuft, wenn die Migration sich abschwächt, dann rücken andere Themen wie der Umwelt- und Klimaschutz wieder weiter nach vorne. Die Chance, dass Themen wiederkommen, die den Grünen nützen, ist nicht gering.

SWR Aktuell: Das Ergebnis der Landtagswahl hängt also stark vom Bund ab?

Brettschneider: Der momentane Umfragewert der CDU Baden-Württemberg von 34 Prozent hat sehr viel mit dem Bund zu tun, aber es hat sich auch im Land etwas geändert. Was die Landes-CDU früher immer wieder geschwächt hat, war die Uneinigkeit im Landesverband. Hagel ist es gelungen, den Streit zwischen Partei und Fraktion zu beenden. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass bürgerliche Wählerinnen und Wähler wieder CDU wählen. Und: Die sinkenden Grünen-Werte haben auch etwas damit zu tun, dass die Menschen wissen, Kretschmann wird nicht Ministerpräsident bleiben.

SWR Aktuell: Freiburgs Ex-OB Salomon hat im Sommer geunkt, dass der Migrationshintergrund von Özdemir bei der Wahl im konservativen BW ein Problem sein könnte. Was denken Sie? 

Brettschneider: Meines Erachtens schätzt Salomon Baden-Württemberg und die hiesige Weltoffenheit falsch ein. Die Frage ist doch: Springen die von Kretschmann erschlossenen, früheren CDU-Wähler wegen des Migrationshintergrunds von Özdemir bei den Grünen wieder ab? Das glaube ich eher nicht. Die springen eher wegen des Bevormundungs-Narrativs ab, das es seit dem Gebäudeenergiegesetz wieder gibt. Das war ein echter Break.

Aber auch wenn Özdemir Teil dieser Ampel war, wird er nicht als Vorschrifteritis-Mensch wahrgenommen. Die Frage wird eher sein, wie gut es ihm gelingt zu zeigen: Ich bin jetzt Landespolitiker. Statt "Ich bin ein Berliner", muss er vermitteln: "Ich bin ein Baden-Württemberger". Mal gucken, ob ihm das abgenommen wird. 

SWR Aktuell: Wie sieht Ihre derzeitige Prognose für die Landtagswahl aus?

Brettschneider: Wenn nichts Disruptives passiert auf der Welt und im Bund, ist die CDU klar im Vorteil. Derzeit ist anzunehmen, dass die CDU die Nase vorne haben wird. Die Grünen werden eher um Platz zwei kämpfen. Özdemir kann schon was drauflegen auf das Bundesergebnis der Grünen, aber sicher nicht so viel wie Kretschmann. Die AfD kann wohl zwischen 15 und 20 Prozent liegen, die Grünen auch in dieser Region. Hinter der FDP sehe ich ein großes Fragezeichen, immerhin ist Baden-Württemberg ihr Stammland, wo die Liberalen immer etwas stärker sind. Wenn sie auf Bundesebene rausfliegen, könnte es ein Comeback im Land geben. Aber das entscheiden am Ende die Wählerinnen und Wähler.

SWR Aktuell: Und was ist mit der SPD?

Brettschneider: Das hängt auch davon ab, wie lange Scholz noch bleibt. Bringt die SPD noch Verteidigungsminister Boris Pistorius als Kanzlerkandidaten? Bringt jemand Scholz bei, dass es besser ohne ihn wäre? Mit dem beliebten Pistorius könnte die SPD Merz unter Druck setzen. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass Olaf Scholz nach einer Wahlniederlage wieder Finanzminister in einer Koalition mit der Union wird. Spannend wird dann sein, wie schnell die SPD die Rückkehr in die Rolle des Juniorpartners verdaut. Gibt es Unruhe? Je nachdem, wie lange diese anhält, hat das Auswirkungen auf Landesebene. Wenn es gut ginge, wäre das auch gut für die SPD hier im Land.

Sendung am Do., 14.11.2024 20:15 Uhr, Zur Sache Baden-Württemberg, SWR BW

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