Baden-Württemberg Stuttgarter Tatort vom Lautertal: Münsinger kritisieren Darstellung des Landlebens
Die Tote im Stuttgarter Tatort kam von der Schwäbischen Alb. Es wird in Münsingen ermittelt. Doch wie das Landleben im Film gezeigt wird, hat die Menschen vor Ort geärgert.
Mit Spannung haben die Münsinger die Ausstrahlung des Stuttgarter Tatorts "Lass sie gehen" erwartet. Im März 2023 wurde im kleinen Dorf Bichishausen gedreht, das zu Münsingen (Kreis Reutlingen) gehört. Doch was sie dann am vergangenen Sonntag im Ersten gesehen haben, hat sie geärgert. Es gibt Kritik aus dem Ort.
Der Film sei ein "Affront gegenüber den Menschen im ländlichen Raum und insbesondere auf der Schwäbischen Alb", schreibt Jochen Schuster, Vorsitzender des Tennisvereins, an den SWR. Rund 130 Mitglieder und Freunde seines Vereins spielten als Komparsen in einer kurzen Szene des Films mit.
Kritik: Gebete und Besäufnisse unter dem Hirschgeweih
Viele hätten am Sonntag gespannt vor dem Fernseher gesessen und seien größtenteils empört, so Schuster gegenüber dem SWR. Manche hätten frühzeitig abgeschaltet. Der Politikwissenschaftler, der selbst in Münsingen lebt, findet: "Die Art und Weise, wie das dörfliche Leben dargestellt wird, entspricht nicht der Lebensrealität des Jahres 2024."
Schuster nennt einige Beispiele: Die Menschen im fiktiven "Waldingen" fahren mit veralteten Geländewagen, beten viel und essen oft Schweinsbraten mit Knödeln. Es herrsche eine feindliche Stimmung gegenüber der Polizei und Fremden im Ort. Mit der klischeehaften Darstellung würde der Film die Spaltung zwischen Stadt und Land nur verschärfen, so Schusters Kritik.
Auch Emma Riedle (Irene Böhm) war wegen des Wegzugs ihrer Schwester tief verletzt und fühlte sich im Stich gelassen. Mit Thorsten Lannert (Richy Müller,l.) und Sebastian Bootz (Felix Klare) will sie am liebsten gar nicht reden.
Kritik auf Social Media: "Schwäbisches Bauerntheater"
Auch auf Facebook, Twitter und in den SWR3-Kommentarspalten häufen sich kritische Kommentare, die in eine ähnliche Richtung gehen. So bezeichnet ein User den Film als "schwäbisches Bauerntheater". Eine andere Userin schreibt: "Habe mich sehr über die diffamierende und stereotype Darstellung des "Dorflebens" geärgert". Eine andere: "Unglaublich, wie klischeehaft dieser Tatort daher kommt".
Social-Media-Beitrag auf Twitter:
Darum geht es im Stuttgarter Tatort
Im Stuttgarter Tatort "Lass sie gehen" suchen die Kommissare Lannert und Bootz nach dem Mörder einer jungen Frau, die in Stuttgart ein neues Leben als Tischlerin beginnen wollte. Ihre Eltern, den Verlobten und den Familienbetrieb im Dorf hat sie zurückgelassen. Schnell fällt der Verdacht auf den Ex-Verlobten. Doch auch andere Charaktere aus dem Dorf sind verdächtig.
Auf der Alb gibt es einen Mob genauso wenig wie tropfende Wasserhähne oder das all-abendliche Besäufnis im einzigen Lokal, in dem auch noch ein Hirschgeweih hängt. Jochen Schuster, Vorsitzender Tennisverein Münsingen e. V.
Wirt vom Gasthaus Hirsch fühlt sich "veräppelt"
Alfred Tress, der Wirt des Gasthauses Hirsch in Bichishausen, das im Tatort von außen zu sehen ist, fühlt sich "veräppelt". Er war selbst Komparse im Film. Die Drehzeit sei toll gewesen, allerdings hätte er sich eine modernere Darstellung des Gasthofes von innen gewünscht, sagte er dem SWR. Der Tatort zeige eine Gaststätte, wie sie etwa vor 60 Jahren ausgesehen hätte.
In seinem Lokal sucht man ein Hirschgeweih vergebens. "Im Film ist die Uhr stehen geblieben. Ich bin 64 Jahre alt und als Kinder hatten wir schon bessere Fahrräder als die Menschen im Film", sagt er. Der Tatort hätte seiner Meinung nach heißen müssen: "Es war einmal ein Dorf auf der Alb".
Das sagt der SWR zur Kritik am Tatort
Der SWR reagierte in einem Statement auf die Kritik. Man habe nicht die Erwartung, die Realität 1:1 abzubilden, heißt es. Der Film wolle keine Verallgemeinerung über das Leben in ländlichen Gebieten sein. Drehbuchautor Norbert Baumgarten und Regisseur Andreas Kleinert hätten sich die Freiheit der künstlerischen Zuspitzung genommen.
Dass der Mörder am Ende nicht aus dem Dorf kommt, unterläuft die gezeigten Verhältnisse bewusst. SWR
Der Ortsname "Waldingen" sei fiktiv, um auch auf dieser Ebene zu signalisieren: Konkrete Personen oder ihr Umfeld sind keinesfalls mit dem "Tatort" gemeint. Die Kommissare führten mit ihren geteilten Ermittlungen differenziert durch den Krimiplot, so der SWR.
Luise Riedle (Julia Jenkins) hat feste Vorstellungen, wie etwas zu laufen hat und bringt ihren Mann dazu, sich dem anzupassen. Auch bei der Beerdigung der Tochter.
Premiere des Stuttgarter Tatorts beim SWR-Sommerfestival
Der Tatort "Lass sie gehen" hatte seine Premiere während des SWR-Sommerfestivals auf dem Stuttgarter Schlossplatz im Mai. Die Reaktionen der Zuschauerinnen und Zuschauer fielen damals gemischt aus. Einige Besucherinnen und Besucher freuten sich darüber, einen Film aus ihrer Region zu sehen.
Auch Rezensionen in den Medien zeichnen kein einheitliches Bild. Im SWR3-Ranking bekommt der Film vier von fünf "Elchen". Die Süddeutsche Zeitung findet, der Tatort habe einen "Trommelwirbel" verdient. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hingegen kritisierte den Inhalt als "Quatsch" und befindet, die "uralten Stadt-Land-Kontraste" soll man nicht ernst nehmen.
Kritiker wünschen sich Doku über "echtes Landleben"
Jochen Schuster, Vorsitzender des Tennisvereins, der die 130 Komparsen für den Dreh auf der Schwäbischen Alb organisiert hat, sagte dem SWR, er stünde gerne für eine Dokumentation über das echte Landleben in Münsingen bereit. Zum Beispiel würde die Münsinger Notfallpraxis im nächsten Jahr dichtmachen. Ansonsten seien die Probleme auf dem Land die gleichen wie in der Stadt.
Sendung am Mi., 20.11.2024 6:30 Uhr, SWR BW Studio Tübingen - Regionalnachrichten