
Baden-Württemberg Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst vorerst gescheitert: Wie geht es jetzt weiter?
Geschlossene Kitas, Kliniken im Notbetrieb, eingeschränkter Nahverkehr: Rückt ein unbefristeter Streik näher, nachdem sich Arbeitgeber und Gewerkschaften nicht einig geworden sind?
Im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen sind die Tarifverhandlungen nach drei Verhandlungsrunden vorerst gescheitert. Am Montagabend kündigte die Verhandlungsführerin des Bundes, Innenministerin Nancy Faeser (SPD), an, dass die Schlichtung eingeleitet werde.
"Wir sind den Gewerkschaften sehr weit entgegengekommen. Wir sind bis an die Grenze dessen gegangen, was wir für die öffentlichen Haushalte verantworten können", sagte Faeser. "Aber die Gewerkschaften waren nicht zu weiteren Kompromissen bereit. Wir müssen die Schlichtung einleiten."
Der ver.di-Vorsitzende und Verhandlungsführer Frank Werneke erklärte: "Wir haben uns bis an die Schmerzgrenze bewegt. Die Arbeitgeber haben unsere Einigungsvorschläge abgelehnt." Zugleich kritisierte Werneke die Entscheidung für eine Schlichtung. Er habe dafür absolut kein Verständnis, "weil bei Lichte betrachtet die Unterschiede, die auf dem Tisch liegen, so groß nicht sind". Der baden-württembergische ver.di-Landesbezirksleiter Martin Gross sagte: "Wir wären bereit gewesen, auch weiter eine Lösung in freien Verhandlungen zu suchen."
Mehrfach hatte ver.di zu Warnstreiks aufgerufen, auch in Baden-Württemberg. Müll wurde nicht abgeholt, Kitas blieben zu, Flüge fielen aus. Die Arbeitsniederlegungen führten auch in der SWR-Community zu Verärgerung.
Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum aktuellen Stand der Tarifauseinandersetzung:
- Was passiert nun nach dem vorläufigen Scheitern der Verhandlungen?
- Wie läuft die Schlichtung ab?
- Warum wird überhaupt verhandelt?
- Was fordern die Gewerkschaften, was bieten die Arbeitgeber?
- Wie viele Verhandlungsrunden gibt es üblicherweise?
- Was passiert, wenn die Verhandlungen scheitern?
- Wie wahrscheinlich ist ein unbefristeter Streik?
- Wie wirkt sich ein unbefristeter Streik im öffentlichen Dienst aus?
Die Verhandlungen sind vorerst gescheitert - wie geht's weiter?
Nachdem ver.di und den Arbeitgebern keine Einigung gelungen ist, sind nun die Schlichter am Zug, einen Ausweg zu finden. Sie sollen binnen drei Tagen ihre Arbeit aufnehmen. Ab dann gilt die sogenannte Friedenspflicht: Dann sind Warnstreiks, wie sie zuletzt auch in Baden-Württemberg etwa bei der Müllabfuhr, in Kliniken und Kitas zu spüren waren, nicht mehr zugelassen. Bis dahin sind laut ver.di ganz vereinzelt in Deutschland noch kleine Ausstände möglich - sie würden aber keine großen Auswirkungen auf Bürgerinnen und Bürger haben, so ein Sprecher der Gewerkschaft.
Die Arbeitgeber benannten für ihre Seite den früheren hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) als Schlichter. Für die Arbeitnehmerseite soll der frühere Bremer Finanzstaatsrat Hans-Henning Lühr (SPD) Schlichter werden. Laut Innenministerin Faeser soll die Schlichtung Anfang April abgeschlossen werden.
Wie läuft die Schlichtung ab?
Die Schlichter beraten in einer Schlichtungskommission, in der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in gleicher Zahl vertreten sind. Die Kommission muss binnen einer Woche nach ihrem ersten Zusammentreten eine Empfehlung beschließen. Kann sie sich nicht einigen, gibt der stimmberechtigte Schlichter den Ausschlag - das ist der Schlichter der Arbeitgeberseite, also Roland Koch.
Anschließend geht die Empfehlung zurück in eine weitere Verhandlungsrunde. Entweder die Runde nimmt das Ergebnis an oder verhandelt nach. Erst dann, wenn das Ergebnis für eine Seite unannehmbar ist, kann die Urabstimmung eingeleitet werden - mit der Option auf unbefristete Streiks.
Warum wird überhaupt verhandelt?
Der Abschluss für den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD), auf den sich Gewerkschaften, Bund und Kommunen 2023 geeinigt hatten, ist ausgelaufen. Daher wurden Verhandlungen zu einem neuen Tarif angesetzt.
Die Arbeitgeber einerseits und ver.di und der Beamtenbund dbb andererseits streiten seit Wochen über einen neuen TVöD. Er betrifft in ganz Deutschland mehr als 2,5 Millionen Menschen, die beispielsweise in Stadtverwaltungen, kommunalen Kliniken, in Kitas und Pflegeeinrichtungen, an Flughäfen, bei Abfallbetrieben oder im Nahverkehr arbeiten. In Baden-Württemberg sind laut dem Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) rund 385.000 Beschäftigte betroffen. Nicht betroffen sind Beschäftigte der Länder, für die separat verhandelt wird.
Was fordern die Gewerkschaften, was bieten die Arbeitgeber?
ver.di und dbb forderten bisher unter anderem eine monatliche Entgelterhöhung von acht Prozent, mindestens aber 350 Euro mehr für Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Außerdem wollten die Gewerkschaften höhere Zuschläge für Arbeit zu belastenden und ungünstigen Zeiten sowie höhere Ausbildungsvergütungen und Praktikantengehälter durchsetzen. Darüber hinaus sollten Beschäftigte drei zusätzliche freie Tage bekommen. Zuletzt hieß es von ver.di, man sei den Arbeitgebern bei der Laufzeit und den Prozentwerten entgegengekommen und habe auch andere Forderungen aufgegeben.
Die Arbeitgeber von Bund und Kommunen lehnten die Forderungen als "nicht finanzierbar" ab. Aus Verhandlungskreisen verlautete, die Arbeitgeber hätten zuletzt ein Angebot mit Lohnsteigerungen im Gesamtvolumen von 5,5 Prozent vorgelegt, außerdem ein höheres 13. Monatsgehalt und höhere Schichtzulagen. Die Laufzeit blieb offen. Knackpunkt waren dem Vernehmen nach die von den Gewerkschaften geforderten drei freien Tage.
Wie viele Verhandlungsrunden gibt es üblicherweise?
Bei bundesweiten Tarifrunden im öffentlichen Dienst ist es laut Andreas Henke, Pressesprecher des ver.di-Landesbezirks Baden-Württemberg, üblich, dass man von vornherein die Anzahl der Verhandlungsrunden festlegt, in denen man versucht, eine Einigung zu erreichen - in diesem Fall also drei. Gleichwohl gibt es die Möglichkeit, noch weitere Termine zu vereinbaren. Das sei im öffentlichen Dienst aber eher unüblich, so Henke.
Was passiert, wenn die Verhandlungen scheitern?
Sollte das Ergebnis der Schlichtung für eine der beiden Seiten völlig unannehmbar sein, wären die Verhandlungen endgültig gescheitert. Danach liegt es an den Gewerkschaftsmitgliedern, wie weiter verfahren werden soll. Es kommt zur sogenannten Urabstimmung und damit zur Entscheidung über die Frage, ob es zum letzten Mittel kommen soll - dem unbefristeten Erzwingungsstreik.
Wie der Name schon sagt, werden die Beschäftigten dabei aufgerufen, ihre Arbeit auf unbestimmte Zeit niederzulegen. Dafür muss allerdings gewährleistet sein, dass die Mitglieder auch die Gewerkschaftsforderungen mittragen. Daher müssen mindestens 75 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder einem unbefristeten Streik zustimmen.
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Wie wahrscheinlich ist ein unbefristeter Streik?
Ob es zu einem unbefristeten Streik kommen kann, ist laut ver.di-Sprecher Henke aktuell schwer einzuschätzen. Den letzten unbefristeten Erzwingungsstreik in einer bundesweiten Tarifrunde im öffentlichen Dienst habe es 1992 gegeben.
Wie wirkt sich ein unbefristeter Streik auf den öffentlichen Dienst aus?
Dauerhaft geschlossene Kitas, kein öffentlicher Nahverkehr und Kliniken im permanenten Notbetrieb? Ganz ausschließen könne man das zwar nicht, doch ver.di-Sprecher Henke betont, dass ein unbefristeter Streik etwas anderes sei als ein Warnstreik. Bei den Warnstreiks gehe es darum, "Druck aufzubauen und klarzumachen, wie wichtig es den Mitgliedern und Streikenden ist", so Henke. Bei einem unbefristeten Streik wolle man die Arbeitgeber dazu bringen, den Beschäftigten entgegenzukommen. Dabei gehe man auch davon aus, dass er länger als einen oder zwei Tage daure und fahre daher eine andere Strategie.
Da suchen wir natürlich nach Möglichkeiten, wie man die Arbeitgeber mehr treffen kann und die Bevölkerung gegebenenfalls weniger. Und das Ganze so, dass man das auch eine Weile durchführen kann. Andreas Henke, Pressesprecher ver.di Baden-Württemberg
Tief in die Karten wolle man sich natürlich nicht schauen lassen - als Gewerkschaft sollte man aber Möglichkeiten haben, den Druck, wenn es nötig ist, noch erhöhen zu können, so Henke.