Autos in der Innenstadt von Stuttgart

Baden-Württemberg Warum Baden-Württemberg beim E-Auto-Anteil hinterherfährt

Stand: 30.12.2024 05:01 Uhr

Baden-Württemberg gilt als Herz der Autoindustrie und ein Vorreiter der Verkehrswende. Trotzdem läuft die Umstellung auf klimaneutrale Autos schleppend. Eine Datenanalyse zeigt, dass das Bundesland sein eigenes Klimaziel verfehlt.

Es lässt sich nicht schönrechnen: Bis 2030 soll der Anteil klimaneutraler Autos auf den Straßen Baden-Württembergs 50 Prozent erreichen - das hatte sich die Landesregierung mit ihren eigens gesetzten Klimazielen vorgenommen. Doch selbst wenn keine Elektroautos mehr abgemeldet würden und der E-Anteil wie bisher wachsen würde, wird Baden-Württemberg dieses Ziel wahrscheinlich um etwa 20 Prozent verfehlen. Das ergibt eine Datenanalyse der Bestands- und Neuzulassungsdaten des Kraftfahrtbundesamtes. 

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Der Verkehrssektor ist seit 1990 eine der größten und am wenigsten reduzierten Emissionsquellen. Daher versucht die grün-schwarze Landesregierung seit 2013 mit Klimaschutz-Gesetzen den Verkehr sauberer zu gestalten. 2023 erklärte das Land sogar, fünf Jahre vor der Bundesregierung - also bereits 2030 - klimaneutral sein zu wollen. Zumindest beim bundesweiten E-Auto-Ziel erfüllt das Land seinen Beitrag. Die fünf Landesklimaziele im Verkehr sind allerdings deutlich schwerer zu erreichen.

Klimaneutralität nur über Elektroautos
Das Verkehrsministerium will das Ziel "klimaneutrales Fahren" mit etwa 35 Prozent Elektroanteil sowie 15 Prozent Wasserstoff und Biokraftstoffen - etwa in Plug-in-Hybriden - erreichen. Laut dem baden-württembergischen Klima-Sachverständigenrat könnten aber "Wasserstoff und Biokraftstoffe bisher noch weitgehend vernachlässigt werden". Bis 2030 müssten diese beiden Antriebsarten zusammen etwa eine Million Autos ausmachen, um das BW-Klimaziel zu erreichen. Jedoch fehlt hierfür bisher die Infrastruktur. Der Bestand würde laut Ministerium nur "unregelmäßig" gemessen. Henrik te Heesen, Professor am Umwelt-Campus Birkenfeld der Hochschule Trier, betont, dass "alternative klimaneutrale Antriebe wie Wasserstoff oder Biotreibstoffe eine untergeordnete Rolle spielen werden und keinen Anteil von 15 Prozent erreichen". Für ihn sei der Schlüssel zur Klimaneutralität "wissenschaftlich unstrittig" die Elektromobilität.

Baden-Württemberg bleibt Verbrennerland

Verbrenner fahren ist in Baden-Württemberg bisher nicht wegzudenken. Zwar fahren Anfang 2024 nach Hamburg und Hessen die meisten Elektroautos in Baden-Württemberg, doch sie machen nur rund drei Prozent der gesamten Autoflotte aus.

Obwohl in den Neuzulassungen der vergangenen Jahre ein kurzzeitig wachsendes Interesse an Elektroautos zu sehen war, beeinflusste das den E-Auto-Anteil am gesamten Fahrzeugbestand in BW nur marginal.

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Wie sieht es in den Landkreisen in Baden-Württemberg aus?

In Baden-Württemberg sind die Spitzenreiter beim E-Auto-Anteil die Kreise Böblingen, Stuttgart und Calw. Sie sind auch bundesweit unter den 15 besten Landkreisen. Manche Kreise gaben in den vergangenen Jahren verschiedene Anreize zum E-Autofahren. So wurde mancherorts etwa das Ladesäulennetz ausgebaut und es durfte kostenlos geparkt werden.

Die Anreize haben allerdings nicht alle von der Elektromobilität überzeugt. Für E-Auto-Anteile von bis zu fünf Prozent sorgen vor allem gewerbliche Autoflotten. So melden etwa die Autobauer Porsche und Mercedes ihre Test- und Leasing-Wagen in Böblingen und Stuttgart an. Auch das führte dazu, dass 2023 zwar nur jedes vierte Auto einem gewerblichen Besitzer zuzuordnen war, darunter laut Landratsamt aber 62 Prozent aller Elektroautos sind.

Ähnlich sieht es im Landkreis Calw aus, der erst im April zu einer von vier Vorreiter-Kommunen "auf dem Weg zur Klimaneutralität" ausgezeichnet wurde. Dort gehören allein dem Stadtwerk Energie Calw (EnCW) und dessen E-Carsharing-Angebot Deer Mobility rund 20 Prozent aller Elektroautos. Elektroautos fahren also besonders häufig dort, wo auch mehr Dienstwagen angemeldet sind.

Schlusslichter in der E-Mobilität sind die Landkreise Heidenheim, Main-Tauber und Neckar-Odenwald. Dort sind die E-Anteile gering. 

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"Es braucht einen Imagewandel"

Was Menschen vom Kauf eines Elektroautos abhält, bleibt vielerorts unklar. Sprecher der Landkreise vermuten, dass hohe Preise, lange Ladezeiten und geringe Reichweiten Gründe sein könnten, besonders auf dem Land. Benjamin Lutsch, Sprecher des Böblinger Landratsamtes, ergänzt: "Das Image von E-Autos ist beschädigt. Es braucht einen Imagewandel."

Henrik te Heesen, Professor für Technologien der Erneuerbaren Energien am Umwelt-Campus Birkenfeld der Hochschule Trier, stimmt zu: "Die meisten Argumente lassen sich zwar objektiv entkräften, jedoch kommt das bei vielen Menschen nicht an." Elektroautos böten zahlreiche technische Vorteile, seien jedoch zu teuer. Attraktive Geschäftsmodelle fehlten.

Die Bundesregierung reagierte auf die Zurückhaltung beim E-Auto-Kauf mit einer Förderung. Ab 2020 verdoppelte sie die Kaufprämie. Nach Ende der Förderung 2023 brach die Zahl der Neuzulassungen ein. Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) nannte das Förderungsende einen Fehler, den das Bundesland nicht ausgleichen könne.

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Die Landkreise in Baden-Württemberg haben für Förderungen wenig finanziellen Spielraum. Einige Sprecher der Landkreise sehen die Verantwortung vor allem bei der Landes- und Bundesregierung.

Deutschland, Land der Schnäppchenjäger

"Deutschland ist ein Land der Schnäppchenjäger", sagt Martin Doppelbauer, Professor für Hybride und Elektrische Fahrzeuge am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). "Objektiv sind die Preise für Elektroautos ohne Förderung heute nicht höher als vor 18 Monaten mit Förderung. Aber das Gefühl, einen besonderen Vorteil mitnehmen zu können, ist komplett verloren gegangen."

Das Gefühl, einen besonderen Vorteil mitnehmen zu können, ist komplett verloren gegangen. Martin Doppelbauer, Professor für Hybride und Elektrische Fahrzeuge am Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

In vielen europäischen Ländern gibt es weiterhin Förderungen und günstigeren Strom. Das könnte einen Effekt haben: Die E-Auto-Quote bei Neuwagen lag 2023 beispielsweise in Norwegen bei 82 Prozent, in Island bei 50 Prozent. In Deutschland können die Gesamtkosten für E-Autos zum Teil höher als bei Verbrennern sein.

Hohe Preise erschweren Elektroeinstieg

Doppelbauer kritisiert auch den Automarkt: "Es gibt keine günstigen Einstiegs-Elektroautos von deutschen Herstellern." Eine günstigere Alternative zu deutschen Marken waren bisher chinesische E-Autos. Die Europäische Union verhängt gegen diese allerdings seit Anfang November Strafzölle. Das könnte in Zukunft höhere Preise bedeuten.

Die SWR-Datenanalyse der ADAC-Automarktdaten zeigt außerdem: Nur etwa ein Fünftel der angebotenen Modelle in diesem Jahr sind Klein- bis Kleinstwagen. Über das vergangene Jahrzehnt wurden deutlich mehr Mittel- bis Oberklassemodelle auf den Markt gebracht. "Das ist für Otto-Normalverbraucher unbezahlbar", sagt Doppelbauer. Auch der Gebrauchtwagenmarkt ist für E-Autos klein.

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Könnte die E-Auto-Quote doch noch erfüllt werden?

Die aktuellen Bedingungen erschweren das Erreichen der Landesziele bei der Antriebswende. Das Verkehrsministerium Baden-Württemberg schreibt in seinem Klimaziel-Monitoring, dass sich der Rückstand aber noch aufholen ließe.

Verkehrsminister Hermann geht das allerdings nicht schnell genug. Im Oktober erklärte er in einer Mitteilung, die Klimaziele seien nur zu erreichen, wenn Land, Kommunen "und jeder Einzelne im Alltag" mitziehe.

Der Experte Henrik te Heesen sieht das ähnlich: "Das Ziel, bis 2030 einen Anteil von 50 Prozent beim klimaneutralen Pkw-Verkehr zu erreichen, ist sehr ambitioniert, aber erreichbar, wenn politisch die richtigen Rahmenbedingungen vorgegeben werden."

KIT-Experte Martin Doppelbauer sieht den Weg zum klimaneutralen Verkehr ausschließlich in Elektroautos, dem rasanten Ausbau des Ladesäulennetzes und neuen Förderungen für "Schnäppchenjäger" beim Kauf und beim Laden. "Meine pessimistische Einschätzung ist allerdings, dass nichts davon passieren wird", sagt er.

Zumindest in der aktuellen politischen Debatte um E-Mobilität werden diese Maßnahmen zum Teil diskutiert. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schlug neben einer Kaufprämie für Menschen mit geringem Einkommen auch ein Ladeguthaben an öffentlichen Ladesäulen vor. Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (parteilos) wartet auf die Ergebnisse der Bundestagswahl im Februar. Sie hätten demnach auch Auswirkungen auf das Erreichen kommunaler Klimaziele.

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