Bayern Barrierefreiheit in Bayern: Alltagshilfe und Hindernisse
Über eine Million Menschen mit Behinderung leben in Bayern. Möglichst wenig Barrieren im Alltag wären also wichtig. Aber: Es gibt noch viele Baustellen. Auch wenn digitale Rollstuhl-Karten und Barriere-Scouts jetzt helfen, Hindernisse zu überwinden.
Barrierefreiheit bedeutet Lebensqualität – doch oft stoßen Menschen mit Behinderung auf unerwartete Hindernisse. Heike Mayer aus München weiß das aus eigener Erfahrung. Aufgrund ihrer MS-Erkrankung ist sie häufig auf einen Rollstuhl angewiesen. Als Barriere-Scout prüft und dokumentiert sie deshalb, wie zugänglich alltägliche Orte sind – von Restaurants über Behörden bis zu Bahnhöfen.
"Ich muss nicht überlegen, ob ich überhaupt bleiben kann"
Heike Mayer nutzt die kostenlose App "Wheelmap", eine interaktive digitale Rollstuhl-Karte. "Viele Gaststätten haben Toiletten im Keller – das ist für mich nicht nutzbar", erklärt Mayer. Mit "Wheelmap" findet sie barrierefreie Cafés, die sie problemlos besuchen kann. "Das gibt mir Lebensqualität. Ich muss nicht vorher überlegen, ob ich überhaupt bleiben kann", sagt die 44-Jährige.
Barriere-Scouts: Prüfende Augen für mehr Teilhabe
Barrierefreiheit sei oft ein Lippenbekenntnis. "Nur weil ein Ort als barrierefrei bezeichnet wird, heißt das nicht, dass er es auch ist", sagt Mayer. Häufig stoßen Menschen mit Behinderung auf unerwartete Hindernisse, wie Stufen vor Arztpraxen oder schmale Aufzüge. Auch bedeutet Barrierefreiheit nicht immer nur rollstuhlgerecht – Heike Mayer ist als Barriere-Scout sensibilisiert, auch an Gehörlose und Menschen mit Sehbehinderung zu denken.
Sie prüft nach festen Kriterien: Sind die Türen breit genug? Gibt es Stufen? Ist genügend Platz, um sich mit einem Rollstuhl zu drehen? Diese Daten werden in der "Wheelmap" dokumentiert, oft mit Fotos. Das Ziel: eine Art Wikipedia der Barrierefreiheit.
Und Barrierefreiheit wird immer wichtiger: Experten rechnen damit, dass mit dem zunehmenden Alter der Menschen auch die Zahl der Behinderungen zunehmen wird.
Ein Auszug der Wheelmap aus München
Digitale Hilfen als Schlüssel zu Inklusion
Seit fünf Jahren gibt es die "Wheelmap", eine Anwendung des Vereins Sozialhelden e.V. aus Berlin. CEO Sebastian Felix Zappe betont, dass Barrierefreiheit allen hilft: "Eine Rampe ist nicht nur für Rollstuhlfahrer praktisch, sondern auch für Lieferdienste oder Familien mit Kinderwagen." Projekte wie die "Wheelmap" ermöglichen es, barrierefreie Orte zu finden – und sie machen auf Lücken aufmerksam. Während anfangs jeder die interaktive Karte befüllen konnte, müssen die Beiträge inzwischen freigegeben werden, bevor sie online gehen, betont Zappe.
In Bayern werden derzeit am häufigsten U-Bahneingänge (96 Prozent), Kinos (76 Prozent) und Supermärkte (65 Prozent) als "rollstuhlgerecht" eingetragen.
In Augsburg gibt es, in Zusammenarbeit mit dem Verein Sozialhelden e.V., jetzt übrigens einen eigenen Stadtplan für Barrierefreiheit. Er wird ausschließlich von geschulten Barriere-Checkern befüllt.
Persönliche Gespräche deutlich effektiver
Für mehr Barrierefreiheit könnten auch unkomplizierte Maßnahmen viel bewirken: "Gerade kleine Betriebe wissen oft nicht, wie einfach es sein kann, eine Rampe zu installieren", erklärt Christine Niederreiter, Behindertenbeauftragte im Landkreis Ebersberg. Ihre Erfahrung: Im persönlichen Gesprächen lasse sich oft Verständnis schaffen.
Kritik: Fehlen von Verbindlichkeit
Aber: Trotz vieler Initiativen bleibt Barrierefreiheit in Bayern eine Baustelle. Oft genügen Willensbekundungen, ohne dass bauliche Maßnahmen überprüft werden. Auch an Schulen und öffentlichen Gebäuden fehlen verbindliche Standards, bemängelt Nadja Rackwitz vom Behindertenbeirat München.
Und auch digitale Angebote wie die "Wheelmap" können Barrieren darstellen: "Komplizierte Technik darf niemanden ausschließen", fordert Nadja Rackwitz. Daran müsse gearbeitet werden.
Alltagserfahrungen und Sensibilisierung
Für Barriere-Scout Heike Mayer ist Barrierefreiheit nicht nur eine bauliche, sondern auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Besonders schwerfällt ihr das mangelnde Verständnis vieler Menschen. "Oft wird man schief angeschaut, wenn man als vermeintlich gesunde Person den Aufzug benutzt oder sich hinsetzt", berichtet sie. "Den meisten fehlt das Verständnis dafür, dass es auch unsichtbare Behinderungen gibt."
Mit ihrer Arbeit als Barriere-Scout möchte sie deshalb nicht nur anderen helfen, sondern auch Bewusstsein verändern. Ihr Appell an Politik, Wirtschaft und Bürger gleichermaßen: "Barrierefreiheit hilft uns allen. Sie ist eine Investition in eine inklusive Gesellschaft."
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Quelle: BR24 im Radio 02.12.2024 - 05:21 Uhr